WERFTEN Lautes Geschrei
Der Bremer Bundestagsabgeordnete Claus Grobecker, in Bonn als Anführer der norddeutschen Küstenlobby bekannt, trauert vergangenen Zeiten nach.
Früher, meint der Sozialdemokrat, sei es leichter gewesen, Gelder aus der Staatskasse in den Norden abzupumpen. Die am Rhein regierenden Genossen hätten stets geholfen, wenn Grobecker ihnen die Not der deutschen Werftindustrie schilderte - und das tat er oft.
Heute dagegen können Grobecker und seine in Bonn als »Weser-Gang« bekannte Lobby nicht mehr viel bewegen. Trotz lauten Geschreis von Politikern, Unternehmern und Gewerkschaften weigern sich Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff und sein Finanzkollege Gerhard Stoltenberg, die Werften mit weiteren Bundeshilfen zu stützen.
So sind Pleiten und Massenentlassungen nicht auszuschließen. Zwar schrumpfen die deutschen Werften schon seit Jahren, aber so schlecht wie in diesem Sommer ging es ihnen noch nie. Vor 25 Jahren arbeiteten noch 113 000 Menschen in den Docks und Werkstätten an der Küste. Heute ist nicht einmal mehr die Hälfte da.
Und selbst für die gibt es kaum noch Arbeit. Allein von Januar bis Juli dieses Jahres gingen die Aufträge um 39 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres zurück. »Schon Anfang 1984«, befürchtet ein Sprecher des Verbandes der Deutschen Schiffbauindustrie, »werden die meisten mittleren und kleineren Werften überhaupt keine Aufträge mehr haben.«
Die Großwerften sind kaum besser dran. Die Hamburger Werft Blohm + Voss, deren Schiffe früher in alle Welt gingen, kann sich nur noch mit Hilfe von Rüstungsaufträgen halten. Größere Handelsschiffe werden bei Blohm + Voss schon seit Jahren nicht mehr gebaut.
Im Hamburger Betrieb der größten deutschen Werft, den Howaldtswerken-Deutsche Werft (HDW), rutschte im Februar dieses Jahres zum letzten Mal ein neugebautes Schiff vom Stapel. Bis Ende 1983 sollen auf den HDW-Werften Hamburg und Kiel rund 3400 Mann entlassen werden.
Noch schlimmer als an Elbe und Ostsee sieht es in Bremen aus. Obwohl der Senat der Hansestadt seit Mitte der siebziger Jahre mehr als 200 Millionen Mark in die Werften an der Weser steckte, stehen zumindest die beiden Bremer Großwerften AG Weser und Bremer Vulkan kurz vor dem Bankrott.
Letzte Rettung sollte die Fusion der AG Weser und der Vulkan mit den Bremerhavener Werften Seebeck und Hapag-Lloyd bringen. Nur eine von überflüssigen Betrieben befreite Großwerft, so hatten die Bremer, spät, aber doch erkannt, könnte angesichts der weltweiten Schiffbauflaute überleben.
Doch am vorvergangenen Wochenende platzte der Rettungsplan. Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza, mit 25 Prozent an der Bremer Vulkan-Werft beteiligt, erklärte seinen verblüfften Verhandlungspartnern, er wolle sich aus dem Schiffbau zurückziehen.
Thyssen-Bornemisza, an der Küste Baron Heini genannt, bot dem Land Bremen, das bereits 33 Prozent der Vulkan-Aktien besitzt, die Anteile seiner Gruppe zum symbolischen Preis von einer Mark an. Doch damit wäre der Bremer Werftindustrie nicht geholfen. Sie braucht zusätzliches Kapital - eben das aber will Thyssen-Bornemisza nicht herausrücken.
Der Rückzug von Thyssen-Bornemisza, der noch 1980 mehr als 75 Prozent der Vulkan-Aktien besaß, paßt genau in die von ihm gepflegte Anlage-Strategie. Der Multi-Millionär, der 1977 aus dem Tessin nach Monte Carlo übersiedelte, weil ihm die Steuerbelastung in der Schweiz zu hoch geworden war, baut sein Engagement in Deutschland schon seit Jahren systematisch ab.
Bereits Anfang der Siebziger verkaufte der Enkel des Stahlmagnaten August Thyssen den größten Teil seines westdeutschen Industriebesitzes. Er legte sein Geld vor allem in den Niederlanden und den Vereinigten Staaten an.
Als Firmensitz für seine Finanzholding wählte Thyssen-Bornemisza, der - laut eigener Aussage - ein Viertel seiner Zeit für alte Gemälde, ein Viertel für junge Frauen und den Rest für seine Geschäfte braucht, eine steuerfreundliche Adresse: die niederländische Antillen-Insel Curacao. Der 62jährige Thyssen-Bornemisza ist inzwischen mit einem Vermögen von 1,5 Milliarden Mark einer der reichsten Männer der Welt.
Ohne Thyssen-Bornemisza geht nun in Bremen gar nichts mehr. Die Fusionsplaner hatten die neue Großwerft nicht mit alten Verlustquellen belasten wollen. Durch Abschreibung überflüssiger Anlagen und durch 40 Millionen Mark in bar hatten die bisherigen Eigentümer die Voraussetzungen für einen Neuanfang schaffen sollen.
Überdies, so das Ergebnis der monatelangen Verhandlungen zwischen den Werften-Managern, sollten die Altgesellschafter sämtliche Verluste begleichen, die in diesem Jahr bis zum Fusionsstichtag am 30. September anfallen. Zwei weitere Jahre sollten sie für eventuelle Verluste aus früheren Geschäften haften. Sowohl die Bonner Regierung als auch der Bremer Senat hatten denkbare weitere Staatshilfen davon abhängig gemacht, daß die privaten Eigentümer sich auf den Fusionsplan verständigten. Nun, da das Konzept erst einmal geplatzt ist, schieben sich alle Beteiligten den Schwarzen Peter zu.
Wirtschaftsminister Lambsdorff beschuldigt den Bremer Senat, er habe die Angelegenheit »schlampig und nachlässig«
verfolgt. Die Fusionspläne seien noch längst nicht ausgereift gewesen.
Auch die Werften-Manager attackieren den Senat: Das Land Bremen sei als Hauptaktionär der Vulkan-Werft dafür verantwortlich, daß die Firma sich an die Fusionsabsprachen halte. Notfalls müsse die Landesregierung für Thyssen-Bornemisza einspringen.
Bremens Bürgermeister Hans Koschnick dagegen weigert sich, den Part des flüchtigen Industriellen zu übernehmen. Er forderte die privaten Anteilseigner der Fusionspartner auf, die ungeliebten Vulkan-Aktien unter sich aufzuteilen.
Das Nachsehen werden die Bremer Werftarbeiter haben. Wenn nicht bald etwas geschieht, kann keine der Bremer Werften mehr lange überleben. Dann wird, so prophezeit AG-Weser-Chef Peter Giesers, von Ende dieses Jahres an »alle vier Wochen eine Werftenbeerdigung« stattfinden.