Lehren der Finanzkrise Legt die Bonus-Banker an die Kette
Hamburg - Einen besonders aufschlussreichen Kommentar zur sich ständig steigernden Krise an den Finanzmärkten lieferte der Franzose Jérôme Kerviel. Zur Erinnerung: Das ist jener Jung-Banker, der seinem Arbeitgeber, der Société Générale, einen satten Verlust von 4,9 Milliarden Euro eingespielt hat. Gegenüber der Staatsanwaltschaft begründete Kerviel sein Handeln gut nachvollziehbar: "Man verliert das Gefühl für Summen, wenn man in diesem Beruf arbeitet." Und er fügte hinzu: "Man lässt sich ein bisschen davontragen."
Die traurige und für viele Zeitgenossen so teure Wahrheit ist: Das gesamte Geldgewerbe hat offenbar in den vergangenen Jahren das Gefühl für Summen verloren. Wir alle sind in der Hand Zehntausender Kerviels, die in den Banken rund um den Erdball ihren Geschäften nachgehen.
Seit Monaten fliegen uns die Milliarden (es sind wirklich Milliarden, nicht lumpige Millionen) nur so um die Ohren. Kein Teil des Geldbusiness scheint wirklich sauber. Nach Investmentbanken wie Merrill Lynch oder Bear Stearns sind nun die Hedgefonds dran. Schon wird gemunkelt, in den USA wackelten die ersten Kreditkartenfirmen.
Eine Krise, wie sie zum Auf und Ab des kapitalistischen Wirtschaftens gehört? Solche Verniedlichung passt nun, ein Jahr nach Ausbruch des Subprime-Debakels, wahrlich nicht mehr zum Sachverhalt. Die Zunft der Banker, die sich doch so gern als die wahren Herrscher der Weltwirtschaft verstehen, hat die globale Ökonomie in ein Desaster getrieben, das sich zu einer fundamentalen Systemkrise ausweitet.
Es ist dies eine Erschütterung, aus der, gleichgültig wie sie endet, schnellstmöglich Lehren zu ziehen sind. Vor allem die eine: Dass das Geschäft mit dem Geld viel zu wichtig ist, als dass wir es den flinken Geldhändlern in Frankfurt, London oder New York überlassen dürften.
Das Geldgewerbe nimmt nun mal in einer Marktwirtschaft eine besondere Rolle ein. Eine Krise in der Autobranche oder der Chemieindustrie ist eingrenzbar. Eine Erschütterung des Banksystems aber trifft alle und kann sogar politische Gefüge zum Einsturz bringen, wie 1929 und die Folgen bewiesen haben.
Wo war der selbstgewisse Jochen Sanio?
Die Geschichte des modernen Kapitalismus ist auch und gerade die einer Wirtschaftsordnung, die seit ihrem Start im 19. Jahrhundert aus Erschütterungen und Verwerfungen klüger geworden ist. Nicht immer wurden aus der Erfahrung die richtigen Schlussfolgerungen umgesetzt, aber doch häufig genug, um den Siegeszug der freiheitlichen Wirtschaft zu ermöglichen.
Wir haben gelernt, dass ungezügelte Märkte zur Monopolbildung neigen und folgerichtig Kartellgesetze geschaffen. Wir haben auch längst gewusst, dass Banken einen gesetzlichen Rahmen und staatliche Überwachung brauchen "um Fehlentwicklungen vorzubeugen, die das Funktionieren des Bankenapparates stören können", wie die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ihre Aufgabe so schön beschreibt.
So haben wir uns in der Gewissheit gewiegt, dass uns eine Erschütterung, die das feingesponnene Netz der globalen Wirtschaft wie in der Weltwirtschaftskrise zerreißen könnte, erspart bleiben würde. Sollte diese Erwartung womöglich zu naiv und blauäugig gewesen sein?
Die Zuversicht jedenfalls, dass die Großrisiken des marktwirtschaftlichen Systems beherrschbar sein könnten, ist abhanden gekommen, seit wir nun fast jeden Tag nachlesen können, dass die Banker die Welt tatsächlich als Spielcasino begreifen. Niemals hätten wir für möglich gehalten, dass ein Geldinstitut wie die kleine Sachsen LB Kreditrisiken von sagenhaften 20 Milliarden Euro in einem Dubliner Ableger verstecken könnte; Beträge, die das Eigenkapital der Bank um ein Vielfaches überstiegen, für die das Dresdner Haus aber voll haftete.
Mit ungläubigem Staunen müssen wir zur Kenntnis nehmen, welches riesige Rad beste Adressen des Bankgewerbes mit Hedgefonds gedreht haben. Ein Fonds der Betreibergesellschaft Carlyle Capital, beispielsweise, hat mit 670 Millionen Dollar eigenem Geld Hypothekenanleihen im Wert von fast 22 Milliarden gekauft. Für jeden Dollar Eigenkapital wurden also 31 Dollar fremdes Geld geliehen. Die Kredite stellten Geschäftsbanken freudig bereit.
Grundregeln des Bankgeschäfts außer Kraft gesetzt
Was einem den Glauben an die Zunft der Banker raubt, ist der Umstand, dass die Gentlemen nonchalant alle Grundregeln des Bankgeschäfts außer Kraft gesetzt haben. Beispielsweise den Lehrsatz, dass hohe Renditen nur mit hohem Risiko zu erzielen sind. Und keiner aus dem Gewerbe schrie laut auf, machte uns darauf aufmerksam, dass der Kaiser ja gar keine Kleider anhat.
Wo waren die hochbezahlten Wirtschaftsprüfer, die all diese Bankbilanzen testierten? Wo der so selbstgewisse Jochen Sanio von der BaFin? Was trieben die omnipotenten Rating-Agenturen? Was die sonst so weisen Aufsichtsräte der Geldhäuser - und das waren nicht nur die Politiker in den Kontrollgremien der Landesbanken, sondern auch so ehrenwerte Manager wie Ex-E.on-Chef Ulrich Hartmann, der Aufsichtsratsvorsitzende der Mittelstandsbank IKB , oder der Allianz-Vorsteher Michael Diekmann, der den Aufsichtsrat der Dresdner Bank leitet.
Entmachtet die Banker
Was ist nun zu tun, neben den aktuellen Rettungsarbeiten, für die vor allem die Notenbanken zuständig sind? So schwer es einem liberalen Ökonomen fällt - die Devise kann nur lauten: Entmachtet die Banker! Die Geldhändler müssen in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt werden, nach Jahren der Deregulierung ist jetzt Reregulierung angesagt.
Der Erfindungsreichtum der Finanzindustrie ist ja, ganz ohne Ironie, wahrlich bewundernswert. Sie schuf, vor allem im vergangenen Dezennium, immer neue Instrumente. Allerdings mit dem Schönheitsfehler, dass sich diese grandiosen Innovationen immer weiter von der Basisaufgabe des Bankgeschäfts entfernten: Geld von Anlegern einzuwerben und an Kreditnehmer herauszureichen. Die Vielfalt der Kreditverbriefungen, der Derivate, der Hedgegeschäfte vermögen selbst die Verantwortlichen in den Bankvorständen nicht mehr zu überblicken oder gar zu verstehen. Die staatliche Aufsicht erweist sich erst recht als überfordert.
Dieses wild gewucherte System muss zurückgestutzt werden, was natürlich, wie Finanzminister Peer Steinbrück zu Recht betont, nur im globalen, zumindest im europäischen Akkord geschehen kann. Die Kompetenz der Bankaufsicht muss gestärkt, international verbindliche Bilanzierungsregeln wie Basel II müssen nachhaltig verschärft werden.
Nicht zuletzt müssen die Geldinstitute ihre eigenen Honorierungssysteme nachhaltig reformieren. Alles in den Banken ist derzeit darauf angelegt, den Erwerbstrieb der einzelnen Bankmitarbeiter, bis hinunter zum Sachbearbeiter, für die Gewinnmaximierung des gesamten Apparats zu nutzen: die Gier als oberstes und geheiligtes Geschäftsprinzip. "Dieses Rattenrennen nach immer höheren Gewinnen kann das System buchstäblich erschüttern", sagte Steinbrück zu Recht in einem SPIEGEL-Gespräch.
"Rattenrennen kann System erschüttern"
Das Rattenrennen ist derzeit intern institutionalisiert: durch Profitcenter mit extremen Gewinnvorgaben; durch Bonussysteme, bei denen häufig nur noch ein geringer Teil des Einkommens garantiert ist, der überwiegende Teil vom Erfolg am eigenen Schreibtisch abhängig ist. Solche Strukturen potenzieren die Neigung, massiv ins Risiko zu gehen und Sicherheitsregeln mit Nichtachtung zu bedenken. Sie können in ihrer jetzigen extremen Ausformung nicht Bestand haben.
Vielleicht wäre es schon ganz nützlich, wenn die Bonuszahlungen oder Gewinnbeteiligungen auch von der Nachhaltigkeit der jeweiligen Deals abhängig gemacht würden. Soll heißen: Falls die Geschäfte, die für schöne Gewinne und entsprechende Tantiemen bei den dafür verantwortlichen Mitarbeitern gesorgt haben, im weiteren Verlauf fallieren, darf das Geld zurückgefordert werden.
Bei der Düsseldorfer IKB-Bank konnte sich der Vorstandsvorsitzende Stefan Ortseifen noch nach der Fast-Pleite der Bank und seiner Entlassung über einen millionenschweren Bonus freuen. Der war vertragsgemäß für das erfolgreiche Jahr 2006 fällig. Da hatten die Papiere, die das Bankhaus ein Jahr später ins Desaster zogen, noch wunderschöne Renditen abgeworfen.
Ein bisschen Denken in Nachhaltigkeitskategorien - das wäre doch mal eine ganz ungewöhnliche Innovation für Bankvorstände und ihre Mitarbeiter. Es würde fraglos, um auf Monsieur Kerviel zurück zu kommen, das Bewusstsein für große Summen schärfen.