SEKT Leicht bonbonartig
Nichts geht, so das Bonner Weingesetz von 1971, über »Prädikatssekt«, das Spitzenprodukt deutscher Schaumwein-Kellerkunst -- mit einer Ausnahme: Sekt nach EWG-Rezept, hergestellt aus Weinen, die reiner sind.
Nach dem neuen deutschen Weinrecht dürfen die Winzer an Mosel und Rhein, an Neckar und Main mehr denn je mit chemischen Konservierungsmitteln hantieren. Auf dem Verordnungs-Wege wollen jetzt die Brüsseler Europa-Kommissare den Misch-Eifer der deutschen Kellerkünstler dämpfen.
So soll das Tränengas Pyrokohlensäurediäthylester, das die Nachgärung in der Flasche stoppt, verboten und die Zugabe schwefliger Säure zu Wein und Sekt EWG-einheitlich gedrosselt werden. Prompt barmte der Mainzer Weinbau-Minisrerialdirigent Dr. Fritz Renz: »Es droht eine große Gefahr.«
Das Reinheitsgebot aus Brüssel schreckt allerdings nur die Winzer. Sekthersteller hingegen hören gerne davon. Sie liegen in einem »erbitterten Kampf gegen die Schwefelhöchstgrenze im Wein«, seit sie -- so Direktor Max Peiler von der Oetker-Kellerei Söhnlein Rheingold -- beim 1971er Weingesetz »ein bißchen vergewaltigt« wurden.
Nur Qualitätsschaumwein, so der neue Kellerei-Kodex, darf sich hinfort noch Sekt nennen; »Qualität« aber hat nur das, was in deutschen Landen fabriziert wurde. Französischer Champagner etwa ist damit zu ordinärem Schaumwein deklassiert, ohne Chance, jemals auch nur Sekt zu heißen. Witzelte die »Süddeutsche Zeitung": »Dein Sekt sei deutsch.«
Frisch diskriminiert war freilich für die Sekt-Aufschäumer nur halb gewonnen. Die Winzer-Lobby, weniger auf Qualitäts- als auf Selbstschutz bedacht, mischte nämlich »in letzter Minute klammheimlich« (Peiler) eine fatale Ermächtigung ins neue Gesetz. Mit ihr kann den Sektbereitern, die ihre Grundweine meist importieren, jederzeit -- sobald der deutsche Weinmarkt überschwappt -- das Privileg »entzogen werden, ihren Sekt als »Sekt« zu bezeichnen, sofern er nicht »zu einem bestimmten Mindestanteil aus inländischen Weintrauben stammt«.
»Prädikatssekt« ist schon ohne Ermächtigung überwiegend ein deutsches Getränk. Denn er muß wenigstens zu 60 Prozent aus inländischen Weinen bereitet sein. Jedes Gemansche aus Obermoselmiesling und Hinterhaardter (Winzerregel: »Verdünnste, verdienste") ist zu Prädikatsehren berufen -- Sekt aus schönem französischen Loire-Wein erreicht sie nie.
So finden sich elitäre Marken-Sekte der Preisstufe um acht Mark wie Henkell Trocken, Kupferberg Gold oder Deinhard Kabinett im gleichen Prädikatsrang wie gängige Konsumware zu 3,98 Mark. »Ich sehe im Prädikatssekt rein gar nichts«, murrt Söhnleins Peiler, und er weiß: »Jedem ist es ungut.«
Das Befinden der Sektfabrikanten leidet vor allem an den Schwefelmengen, mit denen die heimischen Weinproduzenten ihre Kreszenzen haltbar machen. »Da wird uns Leid angetan«, jammert René von Bach, Keller-Vorstand des Branchenführers Henkell: »Es ist mühsam, minder geschwefelte Weine zu finden« -- aber ohne sie kein Prädikatssekt.
Westdeutschlands Winzer lieben süße Weine, und was die Natur versagt, ersetzt Küferkunst. Schwefel hemmt im Kleinbetrieb als Hefe-Killer die Gärung und tötet die Schimmelpilze in den Holzfässern. Weil süßer Wein, mit Traubensaft ("Süßreserve") abgeschmeckt, eher zum Verderb neigt als herber und alkoholsatter, muß Schwefel ihm noch in der Flasche beistehen.
Je Liter genehmigt das deutsche Gesetz süßem Trank 300 bis 400 Milligramm schweflige Säure. Zum Vergleich: Ein durchgegorener ("trockener") Wein kommt mit 50 bis 100 Milligramm aus.
200 bis 300 Milligramm Schwefel, meint jetzt die EWG-Kommission, seien genug, 350 Milligramm nur in Sonderfällen zulässig. Auch der freischöpferische Umgang mit dem Konservierungsmittel wird beschränkt: Künftig darf schweflige Säure dem Wein nur noch in einem ganz bestimmten Verhältnis zu seinem Restzuckergehalt zugemischt werden.
Beim Qualitätsschaumwein will Brüssel die Schwefelwerte sogar auf 200 bis 150 Milligramm vermindern. Doch die deutschen Prädikatssekt-Hersteller kommen durch den Zwang zu schwefelgeschwängerten Inlands-Grundweinen schon mit der bisherigen Höchstmenge von 250 Milligramm nur schwer zurecht.
Denn: Der deutsche Weinbauer bereitet seinen Traubensaft mittels viel Schwefel zunächst zu süßem Trinkwein auf, da er mit ihm mehr erlösen kann. Erst wenn er auf seiner Trinkmischung sitzenbleibt, ist er zum Verkauf an Sektfabriken geneigt. Deren Kellermeister brauchen aber je Liter weitere 80 Milligramm Schwefel, um den Grundwein schäumen zu lassen. Dem französischen Winzer an der Loire hingegen, der nur Sekt-Grundwein produziert, genügen weniger als 100 Milligramm.
Durch Brüssels Schwefel-Restriktionen »wird unser 6/10-Prädikat-Neger«, freut sich Söhnlein-Direktor Peiler, »endlich ermordet, zum allgemeinen Wohle«. Anders dagegen wertet Weinbau-Ministerialdirigent Renz die Entschwefelung und das Verbot des Pyrokohlensäurediäthylesters, der dem Wein einen leicht bonbonartigen Hautgout verleiht.
»Ich stehe auf dem Standpunkt, unser Recht ist maßgebend«, interpretierte der oberste rheinische Weinbürokrat die aus Brüssel drohende Verordnung, »ob die Kommission dieserhalb die Bundesrepublik jemals in Luxemburg verklagen wird, möchte ich sehr stark bezweifeln. Man kann es abwarten.« Inzwischen freilich, gab Renz zu, würden deutsche Chemie-Weine wohl an allen Grenzen zurückgewiesen.
»Die Winzer haben seit Kaiser Wilhelm recht gehabt«, philosophiert derweil Dr. Fritz Müller-Gastell, Chef des Hauses Matheus Müller ("MM"): »Aber die müssen ja nicht immer recht haben.«