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MINISTER Leicht schlucken

Bei dem Geschachere um den Streikparagraphen 116 verliert Norbert Blüm zusehends an Glaubwürdigkeit. *
aus DER SPIEGEL 12/1986

Den Bundeskanzler quälten andere Sorgen als die Käuflichkeit der Republik. Während der Bundestag vorigen Donnerstag über die Flick-Spenden debattierte, stieg Helmut Kohl von der Regierungsbank herab und zwängte sich auf einen Abgeordnetensitz.

Heftig redete er da auf seinen Nebenmann ein, den rheinischen Abgeordneten Heribert Scharrenbroich. Zusammen mit Kollegen vom Arbeitnehmerflügel hatte Scharrenbroich - ein ehemaliger Hauptgeschäftsführer der CDU-Sozialausschüsse (CDA) - eine Nachbesserung der erst zwei Tage zuvor von der Regierungskoalition beschlossenen Regelung zum Streikparagraphen 116 des Arbeitsförderungsgesetzes gefordert.

Das sei unmöglich, fuhr Kohl den linken Christdemokraten nun im Bundestagsplenum an. Wenn jetzt schon wieder an dem Kompromiß herumgefummelt werde, dann würde auch die FDP neue Forderungen präsentieren. Der Streit um die Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit würde von vorn beginnen.

Über Nacht muß Kohl dann anderen Sinnes geworden sein. Am Freitagvormittag zog er sich mit Arbeitsminister Norbert Blüm und FDP-Chef Martin Bangemann in eine Ecke des Bundeshausrestaurants zurück und trug vorsichtig dem Koalitionspartner die Wünsche aus seinem Arbeitnehmerflügel Vor.

Doch Bangemann blockte ab. Nun müsse endlich Schluß sein. Der vereinbarte Text des Paragraphen 116, der in dieser Woche vom Bundestag verabschiedet werden soll, gelte endgültig.

Mit dem vorläufig letzten Versuch aus den Reihen der Sozialausschüsse, die Bonner Regierung auf einen gewerkschaftsfreundlicheren Kurs zu bringen, ist für Blüm und Kohl das Thema noch lange nicht erledigt. Denn was die Koalition vorigen Dienstag als endgültige Fassung erdachte, kann die Gewerkschaften nicht beruhigen.

Schlimm ist die Bilanz für den neben Finanzminister Gerhard Stoltenberg stärksten Mann in Kohls Kabinett, den Arbeitsminister und CDA-Vorsitzenden Norbert Blüm. Ihm droht bleibender Schaden. Ein Kollege aus den Sozialausschüssen: »An dieser Sache kann Blüm sich erledigen.«

Dabei hatte es zu Beginn der vorigen Woche noch so ausgesehen, als nähme der seit Monaten anhaltende Streit um den Paragraphen 116 für Blüm noch einen glimpflichen Ausgang.

Als vorvorigen Sonntag, rechtzeitig vor dem entscheidenden Koalitionsgespräch, der CDA-Vorstand darüber diskutierte, gab Blüm sich besonders entgegenkommend. Fleißig half er mit, Verbesserungen an jenem Regierungsentwurf anzubringen, den er vorher selbst durchs Kabinett gebracht und als große Leistung gefeiert hatte.

Nach dem alten Regierungsentwurf sollte schon dann an mittelbar von einem Streik betroffene Arbeitnehmer aus derselben Branche kein Kurzarbeitergeld gezahlt werden, wenn eine Hauptforderung im bestreikten und nichtbestreikten Gebiet übereinstimmte.

Das war genau der Fall in jener Auseinandersetzung des Sommers 1984, von der die ganze Diskussion um die Neutralität der Arbeitslosenversicherung in Gang gesetzt wurde. Damals hatte die IG Metall für die gesamte Branche die 35-Stunden-Woche gefordert - auch dort, wo nicht gestreikt wurde. Mit ausdrücklicher Billigung Blüms sperrte der Präsident der Bundesanstalt, der Christdemokrat Egon Franke, aus diesem

Grund die Zahlungen. Erst Sozialgerichte hoben die Sperre wieder auf.

Statt eine Hauptforderung, so schlug Blüm nun seinen CDA-Kollegen vor, sollte ins Gesetz geschrieben werden, daß »die Hauptforderungen« nach Art und Umfang im bestreikten und mittelbar betroffenen Tarifgebiet gleich sein müßten, wenn das Kurzarbeitergeld entfallen sollte.

Der Plural hätte in der Tat einen großen Unterschied gemacht. In Zukunft hätte die IG Metall dann durchaus bundesweit etwa für die 35-Stunden-Woche streiken können, ohne Gefahr zu laufen, daß die Nürnberger Anstalt nicht zahlt. Eine nicht übereinstimmende zweite oder dritte Hauptforderung hätte den mittelbar von Streik oder Aussperrung Betroffenen geholfen.

Den Kollegen vom Arbeitnehmerflügel der Union machte Blüm Hoffnung, daß auch die anderen Wünsche der CDA im Koalitionsgespräch am Dienstag durchsetzbar seien - getreu der Maxime der Sozialausschüsse, daß die gesetzliche Neuregelung des Paragraphen 116 die Position der Gewerkschaften nicht verschlechtern dürfe.

Erleichtert verließ CDA-Vorstand Gustav Fehrenbach an jenem Abend die Tagungsstätte der Sozialausschüsse in Königswinter. Der stellvertretende DGB-Vorstandsvorsitzende Fehrenbach: »Wenn sich Blüm immer so verhalten hätte, dann gäbe es den ganzen Konflikt nicht.'

Der DGB-Mann und die anderen CDA-Vorständler hatten sich zu früh gefreut. Zwei Tage später lag das Ergebnis der Verhandlungen in der Koalition vor, und da war von Blüms netten Zugeständnissen kaum noch was wiederzufinden. »Mogelpackung«, erboste sich Hans-Jürgen Peters, Vorstandsmitglied der CDA-Rheinland.

Zufrieden dagegen kommentierte Otto Graf Lambsdorff in der FDP-Fraktion die Vereinbarung. Damit sei eindeutig sichergestellt, daß die Gewerkschaften nicht die Gelder der Arbeitslosenversicherung als Streikkasse mißbrauchen könnten. Lambsdorff: »Das ist genau das, was wir wollten.« Die kleinen Zugeständnisse, die man Blüm gemacht habe, so der Graf großzügig. »können wir leicht schlucken«.

Die Gründe für Leid und Freud sind im dritten Absatz des neuen Paragraphen 116 nachzulesen. Danach entfällt der Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn für mittelbar betroffene Arbeitnehmer »eine Forderung erhoben worden ist, die einer Hauptforderung des Arbeitskampfes nach Art und Umfang gleich ist, ohne mit ihr übereinstimmen zu müssen«.

Diese »kabarettreife Formulierung aus dem Bereich der Sprachkünstler« (FDP-MdB Burkhard Hirsch) besagt nichts anderes, als daß der Erlaß Frankes aus dem Jahre 1984 nachträglich legalisiert wird. Genau das aber wollten die Gewerkschaften und auch die Sozialausschüsse verhindern.

Vergeblich versuchten der Abgeordnete Scharrenbroich und seine Freunde vorigen Donnerstag, den neuen Text ein wenig zu schönen. Statt unbestimmt von »einer« Hauptforderung zu sprechen, sollte jedenfalls bestimmt von »der« Hauptforderung die Rede sein. Damit würden die Möglichkeiten, daß die Nürnberger Anstalt nicht zahlt, jedenfalls etwas eingeschränkt. Vergeblich.

Zu allem Überfluß mußte Blüm auch noch zulassen, daß jener Franke, mit dessen Erlaß die Gewerkschaften den Angriff auf ihr Streikrecht verbinden, auch zukünftig in Streitfällen über Zahlung oder Nichtzahlung entscheiden soll. Der Präsident der Nürnberger Anstalt soll als siebter Mann einem Neutralitätsausschuß vorsitzen, dem im übrigen je drei Vertreter der Gewerkschaften und der Arbeitgeber aus der Selbstverwaltung der Bundesanstalt angehören. Das verstehe er nicht, kommentierte Franz Josef Strauß die Berufung Frankes, »der ist doch Partei«.

Während Blüm vorige Woche versuchte, die Koalitionsvereinbarung als großen Erfolg der Sozialausschüsse zu feiern, zogen um ihn herum Wolken auf. DGB-Vize Fehrenbach, Chef der DGB-Gewerkschafter innerhalb der Sozialausschüsse, rief seine Geschäftsführer nach Königswinter. Die Leitung der stärksten Gruppe in der CDA stellte fest: Die Koalitionsabrede gehe zu Lasten der Arbeitnehmer. Um Schaden von der Union in den bevorstehenden Wahlkämpfen abzuwenden, fordern die Unions-Gewerkschafter die CDU-Spitze auf, »eine den sozialen Frieden sichernde Gesetzesfassung durchzusetzen«.

Unterdes sagte Fehrenbach den Ministerpräsidenten der Union in einem Brief »heftige Diskussion in der Öffentlichkeit und anhaltende Gefährdung des sozialen Friedens« voraus. Falls, so Fehrenbachs Wink, der ungeliebte Koalitionskompromiß diese Woche im Bundestag verabschiedet wird, sollen die Ministerpräsidenten über den Bundesrat nachbessern.

Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Intern haben Baden-Württembergs Lothar Späth und der Bayer Franz Josef Strauß schon signalisiert, daß sie für solche Pläne ein offenes Ohr haben. Und Ernst Albrecht, der am 15. Juni Wahlen zu bestehen hat, fürchtet nichts mehr als einen bis dahin andauernden Protest gegen den Streikparagraphen.

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