AUTO-INDUSTRIE Letzter Versuch
Vor zwei Wochen endlich schien die deutsche Autoindustrie Klarheit zu haben. Der Bonner Innenminister Friedrich Zimmermann ließ die Autobauer wissen, wie stark die Autoingenieure die Abgase entgiften müßten.
Künftig sollten die Autos auf bundesdeutschen Straßen ähnlich umweltfreundlich wie Amerikas Autos fahren. _(Autoabgase dürfen danach, bezogen auf ) _(eine bestimmte Teststrecke von vier ) _(Kilometer Länge, höchstens 1,5 Gramm ) _(Kohlenwasserstoffe, 15 Gramm ) _(Kohlenmonoxid und 1,5 Gramm Stickoxide ) _(enthalten. )
Damit wären die Autoabgase zu rund 90 Prozent entgiftet - ein beachtlicher Schritt im Kampf gegen die Luftverschmutzung.
Doch vergangenen Mittwoch zuckte Zimmermann wieder zurück. In einer interministeriellen Arbeitsgruppe zum Thema Abgasentgiftung wurde von Zimmermanns
Abgesandten vorgeschlagen, einen wichtigen Bestandteil der Pläne des Ministers, die am 1. Januar 1986 Vorschrift werden sollen, zu ändern.
Die Autos nämlich, die von 1986 an neu zugelassen werden, sollen zuvor nicht nach dem bislang vorgesehenen europäischen, sondern nach dem amerikanischen Verfahren getestet werden.
Die auf den ersten Blick so unscheinbare Änderung bedeutet, daß der angeblich so unbeugsame Innenminister der Autoindustrie entgegenkommt. Das Resultat: Im Stadtverkehr werden die Autoabgase allenfalls noch um drei Viertel entgiftet.
Der Hintergrund: Die bessere Entgiftung, so behaupten jedenfalls einige Hersteller, wäre mit der derzeit verfügbaren Technologie zu dem geplanten Termin nur zu erreichen, wenn die Deutschen, wie es in Amerika seit Jahren üblich ist, eine Geschwindigkeitsbegrenzung in Kauf nehmen würden.
Der Zusammenhang zwischen Tempolimit und dem Katalysator ist so kompliziert, daß Zimmermann gute Chancen hat, sein Nachgeben zu vernebeln.
Im Kern geht es darum, daß die heutigen Katalysatoren erst von einer bestimmten Temperatur an, ab etwa 600 Grad Celsius, am besten wirken.
In amerikanischen Autos, die auf den autobahnähnlichen Straßen mit bis zu 90 Stundenkilometern durch die Großstädte rollen, erreichen die Katalysatoren sehr rasch diese Temperatur. Der amerikanische Zulassungstest, der in der Bundesrepublik nun angewendet werden soll, simuliert diese Fahrverhältnisse.
Doch die Verhältnisse hierzulande sind ganz anders. Der europäische Test geht davon aus, daß die verstopften Großstädte Westeuropas nur ein ungleich langsameres Fortkommen ermöglichen. _(Herkömmliche Auspuffanlage (l.), ) _(Auspuffanlage mit Katalysator (r.). )
Beispielsweise stehen deutsche Autofahrer morgens und abends fast ein Drittel ihrer Fahrzeit zum Arbeitsplatz und nach Hause, über 60 Prozent länger als die Amerikaner, im Leerlauf an Ampeln oder im Stau.
Die Folge: Unter bundesdeutschen Fahrverhältnissen erreicht die Temperatur der Autoabgase im Stadtverkehr im Schnitt allenfalls 400 Grad, mithin nicht den besten Entgiftungswert.
Für diesen mißlichen Effekt gäbe es eine Abhilfe: Der Katalysator müßte näher am Motor angebracht werden.
Der naheliegende Gedanke könnte freilich für deutsche Hochgeschwindigkeitsfahrer eine unangenehme Folge haben: Fährt ein Autolenker seinen Wagen, der gerade in der Stadt auf beste Katalysator-Touren gekommen ist, auf die Autobahn und jagt sein Gefährt alsdann mit 160 Stundenkilometern über die Piste, nimmt der Katalysator Schaden: Still, ohne daß der Autofahrer es merkt, gibt das nützliche Gerät weitgehend seinen Dienst auf.
Eine interne Studie der Sportwagenfirma Porsche kommt zu dem Ergebnis, daß für Autos mit kleineren Motoren, deren Abgase bei vollem Tempo eine Hitze von bis zu 1100 Grad erreichen, schon »die heutige Richtgeschwindigkeit von 130 km/h zu hoch wäre, um den Katalysator vor Überhitzung zu schützen«.
Techniker von Ford sind der Ansicht, die Einführung des Katalysators verlange eine »Begrenzung der Geschwindigkeit auf 100 Kilometer oder weniger«, andernfalls gehe das Gerät schon nach wenigen Tagen oder allenfalls Wochen kaputt.
Die düsteren Prognosen der Autobauer betreffen zwar besonders hochgezüchtete deutsche Kleinwagen, die mit Vollgas über die Autobahn sausen oder vollbesetzt über die Alpenpässe klettern. Aber sie gelten schon für Katalysatoren, die nach amerikanischem Vorbild weitab vom Motor montiert sind. Noch viel größer wären die Probleme, argumentieren die Autobauer, wenn der Katalysator näher am Motor sitzt, um im dichten deutschen Großstadtverkehr die nötige Hitze zu erreichen.
Kritiker meinen, daß die Debatte um eine Geschwindigkeitsbegrenzung, die bei vielen Bundesbürgern so unpopulär ist, gezielt angefacht worden ist. Axel Friedrich vom Umweltbundesamt vermutet »einen letzten verzweifelten Versuch einiger Hersteller, den Katalysator doch noch zu verhindern«.
Der Umweltexperte ist sich allerdings ganz sicher, daß »das denen nichts mehr helfen wird«. Denn: Innenminister Zimmermann stehe »fest wie ein Fels«.
Doch Zimmermanns Schwenk zu dem US-Testverfahren, das der Wirklichkeit auf den deutschen Großstadt-Straßen nicht gerecht wird, belegt eher das Gegenteil: Der Fels bröckelt.
Autoabgase dürfen danach, bezogen auf eine bestimmte Teststrecke vonvier Kilometer Länge, höchstens 1,5 Gramm Kohlenwasserstoffe, 15Gramm Kohlenmonoxid und 1,5 Gramm Stickoxide enthalten.Herkömmliche Auspuffanlage (l.), Auspuffanlage mit Katalysator (r.).