Liebesaffäre Boeing-Chef gefeuert
Chicago - Interne Ermittlungen wegen einer persönlichen Beziehung Stoneciphers mit einer weiblichen Führungskraft hätten gezeigt, dass sein Verhalten nicht dem Verhaltenskodex des Unternehmens entsprochen habe, teilte Boeing heute vor Eröffnung der Wall Street mit. "Das Direktorium ist zu dem Schluss gekommen, dass die Fakten ein schlechtes Licht auf Harrys Urteilsfähigkeit werfen und seine Fähigkeit zur Führung des Unternehmens eingeschränkt ist", sagte der Vorsitzende des Direktoriums, Lew Platt. Der Manager wurde mit sofortiger Wirkung von all seinen Ämtern beim US-Luft- und Raumfahrtkonzern entbunden.
Das Direktorium habe Stonecipher nach internen Ermittlungen wegen der Beziehung zum Rücktritt aufgefordert, hieß es in einer offiziellen Mitteilung. Dem habe der 68-jährige entsprochen. Stonecipher trete auch von seinem Posten im Direktorium zurück.
Die namentliche nicht genannte weibliche Führungskraft habe Stonecipher nicht direkt unterstanden. Die Informationen über Stoneciphers Verhältnis sind dem Konzern nach eigenen Angaben anonym zugespielt worden. Boeing habe daraufhin eine interne Untersuchung eingeleitet.
Vorübergehend übernehme Finanz-Chef James Bell die Funktion als Präsident und CEO, teilte der Konzern mit. Der Rücktritt stehe aber nicht im Zusammenhang mit der Unternehmensentwicklung oder der Finanzlage, die beide weiterhin stark seien, sagte Verwaltungsratschef Lew Platt.
Stonecipher war 1997 zum Chief Operating Officer (COO) berufen worden, als Boeing McDonnell übernahm. 2002 ging er in den Ruhestand. Nach den Skandalen um seinen Vorgänger Phil Condit holte der Flugzeughersteller den Manager ins Unternehmen zurück, nicht zuletzt um das Image des Flugzeugbauers wieder aufzupolieren.
Doch viel Gelegenheit dazu hatte Stonecipher nicht. Sein Rausschmiss markiert einen weiteren Höhepunkt im Chaos, das schon seit längerer Zeit an der Spitze des einst weltgrößten Flugzeugherstellers herrscht. Vornehmlich mit sich selbst beschäftigt, übersah das Management wichtige Entwicklungen auf dem Flugzeugmarkt und verlor schließlich seine Stellung als Nummer eins auf dem Weltmarkt an den europäischen Airbus-Konzern. Daneben führten Mauscheleien mit der amerikanischen Regierung sogar zu einem handfesten Skandal.
So hatte etwa der frühere Finanzvorstand, Mike Sears, der ranghohen Ex-Pentagon-Mitarbeiterin Darleen Druyun einen mit 250.000 Dollar dotierten Arbeitsvertrag bei Boeing verschafft, nachdem sie über Milliardenprojekte zu Gunsten von Boeing entschieden hatte. Rechnungsprüfer des US-Kongresses kamen Ende Februar zu dem Ergebnis, dass der Auftrag rechtswidrig zu Stande gekommen war. Sears selbst musste für vier Monate ins Gefängnis, eine Geldstrafe in Höhe von 250.000 Dollar bezahlen und 200 Stunden Sozialarbeit leisten.
Auch was die Modellpolitik betrifft, hatte das Boeing-Management wenig Fortune. So reagierte es auf die Entwicklung des A380 vom Erzkonkurrenten Airbus zu halbherzig - mit dem Ergebnis, dass allein die Aussicht auf den neuen Großjet die Bestellungen für das einstige Vorzeigemodell 747 in den vergangenen Jahren dramatisch haben einbrechen lassen. Mit der Ankündigung, einen Nachfolger für die 747 zu präsentieren, versuchte Boeing im Januar Punkte zu machen. Doch Experten sind skeptisch, ob sich dadurch verlorenes Terrain zurückgewinnen lässt.
Die 747 ist nicht das einzige Modell, dessen Zukunft ungewiss ist. Boeing muss in den nächsten sechs Monaten entscheiden, ob die 767-Reihe eingestellt wird. Die Existenz des 767 ist bedroht, nachdem der Auftrag der amerikanischen Regierung für Tankflugzeuge auf Basis dieses Modells wieder in Gefahr geraten ist.
Erst Ende vergangenen Jahres hatte Boeing die Produktion für das Modell 757 eingestellt, weil zu wenige Bestellungen eingegangen waren. Vor wenigen Wochen verkündete die Gesellschaft außerdem das Ende für die Kleinserie 717.