Kalte Progression Lindner will Inflationsgewinne des Fiskus nur teilweise an die Deutschen zurückgeben

Finanzminister Christian Lindner
Foto: Reto Klar / FUNKE Foto Services / action pressFinanzminister Christian Lindner (FDP) will die Inflationsgewinne des Fiskus aus dem vergangenen Jahr nach Informationen des SPIEGEL nicht komplett an die Steuerzahler zurückgeben. Bei der Anpassung der Tarife ging das Bundesfinanzministerium (BMF) für 2021 von einer Inflation von 1,2 Prozent aus, tatsächlich lag sie bei 3,1 Prozent. So rutschen Steuerzahler nach einer Lohnerhöhung, die nur ihren Kaufkraftverlust ausgleicht, in höhere Progressionsstufen.
Ökonomen bezeichnen dieses Phänomen als »kalte Progression«. Sie kommt zustande durch ein Zusammenspiel von Steuertarif und Preissteigerungen. In der Einkommensteuer gilt ein sogenannter progressiver Tarif. Das bedeutet, dass die Steuerzahler von jedem zusätzlich verdienten Euro einen größeren Anteil an das Finanzamt abführen müssen. Wenn Arbeitnehmer eine Gehaltssteigerung bekommen, die nur die Inflation ausgleicht, stehen sie in Wirklichkeit nicht besser da, müssen aber höhere Steuern bezahlen.

Ein Quantum Angst
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Mehreinnahmen von zwei Milliarden Euro
Lindners Fachleute beziffern die Mehreinnahmen des Fiskus durch die kalte Progression auf rund zwei Milliarden Euro. Die BMF-Experten begründen ihre Zurückhaltung, dieses Geld an die Bürger zu erstatten, damit, dass der Staat in früheren Jahren bei der Anpassung der Tarife zuweilen zu hohe Inflationsraten unterstellt habe. Als Folge davon seien die Steuerzahler übermäßig entlastet worden. Dennoch habe der Fiskus darauf verzichtet, dieses Geld später wieder einzusammeln. Deshalb gebe es jetzt auch keinen Grund, das zu viel kassierte Geld zurückzugeben.
Lindner kann die zusätzlichen Einnahmen gut gebrauchen, weil er für etliche Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag noch Geld auftreiben muss. Anders als bei den Einkommensgrenzen des Tarifs hat Lindner bei der Anpassung des steuerfreien Existenzminimums keine Wahl. Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zwingen ihn dazu, den Grundfreibetrag gemäß der tatsächlichen Preissteigerungsrate anzuheben. Das BMF erklärte auf Anfrage, es habe »die Problematik im Blick«.