Zur Ausgabe
Artikel 28 / 81

Automobile Links raus

Die Firma Daimler-Benz bringt eine Art Anti-BMW auf den Markt. Ein aufwendig konstruierter Hochleistungsmotor treibt den Neuling an.
aus DER SPIEGEL 17/1972

Jahrelang«, so analysierten jüngst die Werber für Schwabens »Guten Stern« in doppelseitigen Proklamationen die Lage, »war das Auto ein Jungmacher, Straßen rückten zu Pisten, Familienväter zu Rallyesiegern auf.« Sie verkündeten: »Die »Sportwelle« ist tot.«

Jahre hindurch hatte es Lenker von Mercedes-Mittelklassewagen in der Tat vergrämt, daß sie durch spritzigere, leichtere und wendigere Konkurrenten, besonders der Marke BMW, von der Überholspur gewiesen wurden. Ein BMW 2002 tu mit Zweiliter-Vierzylindermotor schickte selbst einen Mercedes-Sechszylinder mit 2,5-Liter-Motor respektlos rechts ran. Das Mercedes-Image galt als verwaschen, die solide und schwer, gebauten Stuttgarter Nobelmarken-Autos hatten im Vergleich zu der von den Daimler-Werbern verdammten Jungmacher-Konkurrenz eher den Ruch von Altmachern.

Nun aber, gleichsam am Grabe der »Sportwelle«, präsentieren just die Stuttgarter die spritzigsten, stärksten und schnellsten Mittelklassemodelle, die sie je auf die Räder gehoben haben. Mercedes-Sprecher William Reinert: »Wir stocken auf.«

Aufgestockt wird einstweilen nur in der »Neue Generation« genannten Daimler-Mittelklasse: durch eine Sportlimousine und ein Sportcoupé, wie sie reinrassiger kaum denkbar sind. Äußerlich heben sich die neuen Limousinen nur durch ihre bis an die Radkästen verlängerten Heck-Stoßstangen von den bekannten Bautypen MB 200/250 ab. Die eigentliche Neuheit liegt unter dem Haubenblech verborgen: ein ungewohnlich aufwendig konstruierter, 2,8 Liter großer Sechszylindermotor mit zwei obenliegenden Nockenwellen, technischem Merkmal eines Hochleistungsmotors, wie es im deutschen Serienbau selbst Porsche und BMW nicht aufweisen. Seine Leistungen sind so sportlich, daß die von ihm angetriebenen neuen MB 280 mit der Mercedes-Kurzkarosse auf der Überholspur nur schwerste Kaliber oder Porsche-Sportwagen zu fürchten haben werden.

Die Käufer können wählen zwischen einer 160 PS starken Vergaser-Version und einem 185 PS starken Triebwerk mit elektronisch gesteuerter Kraftstoffeinspritzung. Die stärkste Version ermöglicht den neuen MB 280 E und MB 280 CE über 200 km/h Höchstgeschwindigkeit und eine Beschleunigung von Null auf 100 km/h in nur zehn Sekunden.

Preise liegen noch nicht fest. Nach Schätzungen sollen sich die neuen Typen, die von Mai an geliefert werden, gegenüber den bisherigen MB-250-Typen um 1000 bis 1500 Mark verteuern. »Endlich wird das Fahrgestell mal richtig ausgenutzt«, freute sich der Hamburger Mercedes-Verkaufschef und einstige Fünfkampf-Olympiasieger Gotthard Handrick.

Die kostspielige Aufstockung bildet nur den Anfang einer großangelegten Neuordnung des Mercedes-Typenprogramms. Obwohl die Firma für alle Modelle vier Monate Lieferfrist hat, soll die seit sechs Jahren produzierte große Limousine MB 280/300 im Herbst einer Nachfolgerin weichen. Immer häufiger zeigten sich in letzter Zeit getarnte Prototypen auf den Autobahnen.

Als Premiere der erst 1973 lieferbaren neuen Limousine MB 300, die wahlweise auch mit dem 3,5-Liter-V-Achtzylindermotor bisheriger Modelle zu haben sein wird, ist der Pariser Autosalon am 5. Oktober vorgesehen. Das neue Standard-Triebwerk aber wird dann längst von Käufern getestet sein: Es ist die gleiche Maschine, die Daimler-Benzens demnächst zu erwartende Aufstock-Modelle im kleinen Kleid so spritzig macht.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 28 / 81
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren