KAPITALMARKT Lob für Zauderer
Selbst den Bankiers fällt in diesem Sommer nicht viel ein, wenn sie über Geld und Geldpreise sprechen. »Der Zins befindet sich in einer Zitterphase«, meint der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Wilfried Guth. »Das Spiel«, ergänzt der Frankfurter Privatbankier Michael Hauck, »ist dem Schiedsrichter aus der Hand geglitten.«
Aufregend ist es in der Tat, das Spiel der Anleihen- und Aktienkäufe, der Renditen und Kurssprünge. Fast hilflos mußte Notenbank-Chef Otmar Emminger mit ansehen, wie die Kurse der mit festem Zins und langer Laufzeit ausgestatteten Wertpapiere in wenigen Wochen absackten.
Selbst mit millionenschweren Stützungskäufen konnte die Bundesbank die »panikartigen Verkäufe« ("Handelsblatt") der Großanleger, der Ranken, Fonds und Versicherungen, nicht auffangen. Um einen weiteren Anstieg des Zinsniveaus -- und den damit zwangsläufig verbundenen Kursverlust
abzubremsen, ließ Emminger allein in der dritten Juli-Woche Rentenpapiere im Werte von 960 Millionen Mark aufkaufen.
Doch diese Interventionen brachten
nicht viel, im Gegenteil: Die Stützungskäufe, meinte Mitte letzter Woche der Frankfurter Privatbankier Philipp von Bethmann, »provozieren geradezu weitere Verkäufe«.
So massiv warfen Bankiers und Fonds-Manager ihre Bestände auf den Markt, daß Händler und Makler fast Tag für Tag die Kurse der Hochprozenter um fast eine halbe Mark zurücknahmen. Folge: Die Renten-Renditen zogen erstmals seit zwei Jahren wieder kräftig an und trieben damit gleichzeitig die Zinssätze für langfristige Kredite wie Grundstückshypotheken wieder in die Höhe (siehe Schaubild Seite 24).
Als Mitte letzter Woche das Bonner Finanzministerium neue Schuldscheine zu Höchstzinsen in den Handel einzuschleusen versuchte, war für neue Nervosität gesorgt. »Die Bonner schöpfen fast alles am Markt ab und beschleunigen den Zinsauftrieb«, kritisierte der Wertpapier-Vorstand der Bayerischen Landesbank, Gerhard Tremer. Die neuen Konditionen (6,85 Prozent für ein Zehnjahrespapier) lagen deutlich über denen der letzten Verkaufsaktion im Juni, als der Staat kaum mehr als sechs Prozent anbot.
Bonns neues Angebot schockte die Börsianer so gründlich, daß sie allein am vergangenen Mittwoch bei der kursregulierenden Bundesbank Staatsanleihen im Werte von 300 Millionen abluden. »Die neuen Konditionen haben den ganzen Markt verhagelt«, kritisierte Horst Kunert, Börsenchef der Bank für Gemeinwirtschaft (BfG).
Die Geldverwalter sehen in der Bonner Zinsofferte inzwischen eine endgültige Abkehr von der fast vierjährigen Talfahrt von Zinsen und Renditen. Gerhard Seiz von der Westdeutschen Landesbank: »Die Zinskurve hat ihren Tiefststand hinter sich.« Auch bei den Frankfurter Großbanken sind sich die Vermögenschefs nahezu einig: »Der Wind hat sich gedreht« (Dresdner Bank).
Viele Geldanleger interessieren sieh derzeit nur mäßig für Anleihen. weil
* die von Bonn geplanten Konjunkturspritzen über 13 Milliarden Mark nur zu besseren Anleihekonditionen finanziert werden können, > auch die Privat-Wirtschaft erheblichen Kreditbedarf hat.
ausländische Großanleger ihre Gewinne aus der Markaufwertung realisieren und in höher verzinste Währungen wie Franc und Dollar umsteigen,
* sie auf Kursgewinne bei Aktien setzen.
Schon seit Wochen beobachten die Vermögenschefs der Banken, daß vor allem Assekuranz-Manager Rentenkäufe immer wieder hinausschieben: Wenn der Zins -- so deren Kalkül -- im Jahresverlauf weiter steigt, wären die jetzt gekauften Festverzinslichen am Jahresende weniger wert und müßten in der Bilanz wertberichtigt werden.
Insbesondere die renditebewußten Lebensversicherer haben überdies ihre Prämieneinnahmen in den letzten drei Jahren so konsequent in Staatspapieren angelegt, daß die Berliner Versicherungsaufsicht die »einseitige Ausrichtung der Vermögensanlagen« schriftlich rügte. »Die Zauderer fühlen sich inzwischen so bestätigt«, will BfG-Kunert beobachtet haben, »daß sie auch weiter zuschauen wollen.« Bei renditestarken Aktientiteln dagegen wollen sie dabeisein. »Die Versicherer haben plötzlich wieder eine positivere Einstellung zur Aktie gewonnen«, weiß der Düsseldorfer Börsenchef der Deutschen Bank. Joseph Gerhard. Auch Wolfgang Röller, Vorstandsmitglied der Dresdner Bank, setzt auf Assekuranz: »Die Versicherungsunternehmen haben einfach zuwenig Aktien in ihrem beachtlichen Vermögen.
Das jählings erwachte Interesse für Aktien knackte eine alte Börsenregel, nach der ein steigendes Zinsniveau die Aktienkurse sacken läßt: In der letzten Börsenwoche verging kaum ein Tag, an dem nicht neue Umsatz- und Kursrekorde gemeldet wurden. Schon zwei Tage vor Monatsultimo stand fest, daß der Juli der umsatzstärkste Aktienmonat der Nachkriegszeit (Umsatz: 1,4 Milliarden Mark) sein wird.
Dabei waren die Vermögensverwalter der Versicherungen und Großbanken, der Investmentfonds und Landesbanken durchaus wählerisch. Nur die Aktien jener Unternehmen, die »nachhaltig hohe Dividenden-Renditen versprechen« und »konstant steigende Gewinne erzielen« (Joseph Gerhard von der Deutschen Bank), sind gefragt.
Gezielte Aktienkäufe der Assekuranz beobachten die Deutsch-Bankiers vor allem in Standardwerten wie Veba, Bayer, VW und Siemens. Auch ausländische Großanleger engagieren sich in deutschen Wachstumsaktien von BMW bis Schering.
Selbst die bislang nur vorsichtig bewerteten Papiere des Maschinenbaus haben, schon wegen der neuen Konjunkturspritzen, unverhofften Auftrieb. Der Maschinenbau hat immer noch die größten Zukunftschancen«, prophezeit BfG-Kunert, »denn die Investitionsanreize nehmen ständig zu.« Andere ziehen Bauzulieferer wie Zementfabriken oder Teppichboden-Produzenten vor. Ekkehart Schwartzkopff, Aktien-Analyst der Kölner Privatbank Oppenheim, schließlich setzt auf die Verbrauchsgüterindustrie: »Gerade die gehobenen Konsumgüter werden vom neuen Bonner Konjunkturprogramm am stärksten profitieren.«
Deutlich vorsichtiger sind die Börsenprofis zwischen Hamburg und Mimchen, Düsseldorf und Frankfurt, wenn sie nach Dauer und Verläßlichkeit der Aktienhausse gefragt werden. Voraussichtlich zum Jahreswechsel, meint Bayerns Landesbankier Tremer, werde die Kurslinie einen Knick nach unten haben. Sein Argument: Die Bundesbank »hat inzwischen schon so viel Geld in die Kreditwirtschaft gepumpt, daß sie schon früher auf die Bremse treten muß, als es der Konjunktur und dem Anleihenmarkt lieb sein kann«.
Insbesondere die milliardenschweren Stützungsoperationen für Inlandsanleihen und den chronisch schwachen Dollar haben laut Tremer den Spielraum für Spekulanten eingeengt: »Das Inflationsbecken ist gefüllt, der Überlauf kommt zwangsläufig.«