Lobbyismus Wie Tabakkonzerne Kohl und Bangemann einspannten
Die strategischen Vorgaben des Marktführers waren so militärisch-knapp, als ginge es darum, einen bösen Feind zu bezwingen. Beamte in Brüssel untergraben, Politiker bearbeiten, Seilschaften schmieden und Strippen ziehen, so lautete der Auftrag aus Amerika. Konzentrieren müsse sich die Tabakindustrie besonders auf Deutschland und Großbritannien, schwor der Tabak-Multi Philip Morris seine Mitstreiter noch ein. "Nutzt allen erdenklichen deutschen Einfluss", um erfolgreich zu sein, lautete die Formel, und "arbeitet mit Kanzler Kohl zusammen".
Rund neun Jahre nach diesem Feldzug kommt nun durch US-Dokumente heraus, was Firmen wie Philip Morris und deren Interessenvertretungen alles anstellten, um unangenehme Verordnungen mit aller Macht zu verhindern. Als die Gesundheitsminister einiger EU-Staaten 1989 den Kampf gegen den Zigarettenkonsum forcieren wollten, entwarfen sie einen genauen Plan. Ziel der massiven Lobbyarbeit sollten besonders vier Politiker "auf höchster Ebene" sein: Helmut Kohl, die britische Premierministerin Margaret Thatcher, der britische Minister Kenneth Clarke und der deutsche EU-Kommissar Martin Bangemann.
"Was wir nun erkennen", sagt Derek Yach, Direktor bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO), sei beispielhaft für gnadenlosen Lobbyismus; es sei aber auch eine "Lehrstunde dafür, warum sich der Tod immer weiter ausbreiten kann". Nach Berechnungen der WHO sterben jährlich allein in Europa 500.000 Menschen an den Folgen des Rauchens.
Yach stützt seine Kritik auf der laschen Anti-Tabak-Haltung der Politiker auf die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe der University of California in San Francisco, die jetzt im seriösen US-Wissenschaftsmagazin "The Lancet" veröffentlicht wurden. Drei Wissenschaftler hatten Hunderttausende von internen Seiten ausgewertet, die die größten Tabakhersteller der Welt herausrücken mussten. Amerikanische Anwälte hatten die Konzerne im Rahmen der Raucherprozesse in den USA dazu gezwungen.
Danach sollte die Strategie der Tabakkonzerne in drei Richtungen gehen:
erstens neue Richtlinien wie das Tabakwerbeverbot bekämpfen und verzögern;
zweitens neue Richtlinien verwässern, indem tabakfreundliche Gegenvorschläge untergeschoben werden;
drittens neue Richtlinien juristisch bekämpfen.
Als besonderen Verbündeten sah die Tabakindustrie stets Helmut Kohl an. Schon 1978, als Kohl noch Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU im Bundestag war, hatte er sich mit dem Verband der Cigarettenindustrie (VdC) verständigt. Es sei "das erste Mal", schwärmte der damalige VdC-Chef Dieter von Specht in einem Brief an Kohl, "dass sich ein Fraktionsvorsitzender in dieser Form persönlich an die Wirtschaft gewandt hat".
Die guten Kontakte zahlten sich aus, als sich die EU im Jahr 1989 auf die Richtlinie 89/43 verständigte. Danach sollte ab 1998 keine Tabakwerbung mehr erlaubt sein. Da den Tabakmanagern klar war, dass sie Veränderungen nicht ganz verhindern konnten, entwarfen sie den so genannten "German compromise" - eine Liste von Zugeständnissen, mit denen sie hätten leben können. Die CECCM, eine Vereinigung der größten Tabakfirmen Europas, lancierte diese Vorschläge in die EU, aber so, wie ihr Chef damals intern berichtete, dass sie nach außen "nicht der Tabakindustrie zugeschrieben" werden konnten.
Bangemann mit Drei-Jahres-Plan gefüttert?
Besonderes Ziel der Bemühungen von Philip Morris, so die Autoren der Studie, war Bangemann und dessen EU-Ressort. Der FDP-Mann sollte nach einem genauen Drei-Jahres-Plan so gefüttert werden, dass er mit seinen tabakfreundlichen Gegenvorschlägen das bis dahin beabsichtigte totale Werbeverbot aushöhlen würde. Wenig später vermeldete ein Philip-Morris-Mann ersten Vollzug: Der Entwurf würde "vertraulich gehalten, um ihn spontan als Entwurf der Kommission präsentieren zu können". Dann wurde das geheime Tabak-Papier auf einer Konferenz von Gesundheitsexperten sogar als neuer EU-Vorschlag präsentiert. Die Raucherlobby glaubte nun Bangemann sicher auf ihrer Seite, um ihre Ideen "als 'seinen' Vorschlag" zu präsentieren.
Der CECCM konnte stolz in die USA vermelden, dass es wieder einmal geklappt habe, die Deutschen vor ihren Karren zu spannen: Das wichtigste EU-Mitglied würde in Brüssel nun Anträge stellen, "die weitestgehend auf dem Plan des VdC basieren".
"Corpsgeist mit der Tabakindustrie ist eine große Tragödie"
Und noch ein zweites Mal funktionierte der Plan: Der CECCM wollte zusätzlich auch juristisch gegen härtere Werbeverbotsregeln vorgehen. Wieder seien die deutschen Politiker so weich geklopft worden, so fanden die amerikanischen Rechercheure heraus, dass sie vor den Europäischen Gerichtshof zogen und das Werbeverbot zu Fall brachten.
"Dieser Corpsgeist mit der Tabakindustrie ist eine große Tragödie", sagt WHO-Mann Yach. Denn nun sei belegt, wie die Industrie die Gesundheitspolitik mitbestimmt und dazu beiträgt, durchs Rauchen allein in Deutschland jährlich einen geschätzten Schaden von mindestens jährlich 17,5 Milliarden Euro zu verursachen.