HANDEL Lücke im Bahnhof
Eigentlich hält Horten-Chef Bernd Hebbering die per Gesetz vorgeschriebenen Öffnungszeiten für »die beste Regelung«. Sowohl die Interessen der Kundschaft als auch die Belange der Firmen, vor allem des Verkaufspersonals, seien bei den geltenden Zeitvorschriften hinlänglich berücksichtigt. Im Hause Horten sieht das offenbar anders aus: Am vergangenen Montag, pünktlich 7.00 Uhr, eröffnete Hebbering seine neueste Filiale. Während die lokalen Einzelhändler und ihre Verbandsfunktionäre noch beim Frühstück saßen, gab der Chef des viertgrößten deutschen Warenhaus-Konzerns (Jahresumsatz 1977: rund 3,7 Milliarden Mark) unter dem Namen »City-Markt« sein erstes Bahnhofs-Kaufhaus frei. Auf einer Fläche von 700 Quadratmetern bietet Hebbering rund 5000 Artikel des täglichen Lebens an -- von der Schuhbürste für 85 Pfennig bis zum tragbaren Farbfernseher für 1298 Mark.
Ihre Kunden bedienen die Horten-Händler deutlich länger als die Konkurrenz: Zwischen sieben Uhr morgens und neun Uhr abends, an Sonn- und Feiertagen von neun bis 20 Uhr wird verkauft.
Wenn der Wuppertaler Test-Markt einschlägt, wollen die Düsseldorfer Projektplaner gezielt weitere Bahnhöfe in stark frequentierten Ballungsräumen ansteuern. Für zehn Bundesbahn-Stationen im dichtbesiedelten Rhein-Ruhr-Raum haben sie die Pläne bereits bis ins Detail ausgearbeitet. »Ich glaube, wir haben da eine wirkliche Lücke entdeckt«, frohlockte der 39 Jahre alte Hebbering.
Der Neuling unter den Warenhaus-Konzernchefs will mit seinem City-Kaufladen vor allem bei den Hunderttausenden von Berufspendlern abkämmen, die wegen der Arbeit nicht so recht zum Einkaufen kommen.
Bundesbahn-Präsident Wolfgang Vaerst war für die Horten-Idee leicht zu gewinnen. Wegen der roten Zahlen in der Bilanz und der toten Winkel in vielen der im vorigen Jahrhundert üppig ausgelegten Bahnhofspaläste reservierten Vaersts Beamte Hebberings Ladentestern einen verödeten Trakt in ihrem Wuppertaler Altbau.
Die Zeit drängte, denn längst hatten andere vorgemacht, wie die Vorschriften des Ladenschlußgesetzes zu unterlaufen sind. So mauserten sich viele Tankstellen zu regelrechten Gemischtwarenläden, in denen nicht nur Zapfkunden oft und rund um die Uhr neben Bier und Spirituosen auch Sport- und Camping-Zubehör, Spielzeug, Geschenkartikel und Musikkassetten mitnehmen können.
Allen voran baute die mehrheitlich vom Staatskonzern Veba kontrollierte größte deutsche Tankstellen-Gruppe, die Bochumer Aral AG, in den letzten Jahren zusammen mit dem Kaufhof ihre »Mini-Märkte zu einer professionell geführten Ladenkette aus. In ihrem über 1300 Artikel großen Sortiment finden sich Radios und Parfüm, Uhren und Lebensmittel; auch Stereo-Anlagen für über 800 Mark sind in manchen Aral-Tankstellen zu haben.
Zwar wiesen die Aral-Manager ihre Pächter darauf hin, ihren Nebenverdienst pünktlich um halb sieben einzustellen. Doch mehr als eine wohltönende Floskel ist das kaum: Die meisten bedienen die Kundschaft auch später.
Auch die Bauherren neuer Großflughäfen planen in ihre geräumigen Passagierhallen teilweise ganze Ladenzeiten ein -- und sorgten so für den ersten Musterprozeß.
Frankfurter Textilhändler registrierten erbost, daß im 1200 Quadratmeter großen Bekleidungshaus Adler auf dem Rhein-Main-Airport selbst an Sonn- und Feiertagen heftig verkauft wird. Ganze Familien, so beobachten Adler-Konkurrenten, nutzen den Flughafen-Trip am Wochenende gleich zum Großeinkauf.
Auf Betreiben der Ladenbesitzer will der hessische Einzelhandelsverband gerichtlich klären lassen, ob der vielgefragte Flughafen-Händler mit seinem Großangebot nicht ständig gegen das Ladenschlußgesetz verstößt.
Denn eigentlich dürfen Einzelhändler auf Bahnhöfen und Flughäfen außerhalb der allgemeinen Ladenschlußzeiten lediglich typischen Reisebedarf anbieten. Eine aus dem Jahre 1953 stammende Verwaltungsvorschrift begrenzt den Umfang dieses Angebots eng auf unmittelbar während der Reise benötigte Artikel wie Zeitungen, Blumen, Tabakwaren und Genußmittel.
Diese Auslegung erscheint Hortens Hebbering viel zu eng: »Wer spätabends von der Reise zurückkommt, muß wenigstens seinen Kühlschrank auffüllen können.«
Um wenigstens in der Anlaufperiode Proteste der Wuppertaler Händlerschaft abzufangen, versprach Hebbering, seinen Textiltrakt sowie die Regalzone für Elektrogeräte, Autozubehör, Haushaltwaren bis auf weiteres nach halb sieben abzuschotten.