EG-KOMMISSION Lukrativer Posten
Der Angriff galt dem Mann, traf aber die Institution.
Als die englische Wirtschaftszeitschrift »Economist« vergangene Woche dem deutschen EG-Kommissar Wilhelm Haferkamp Verschwendung im Amt vorwarf, wurde die Enthüllung in den Bonner Bürokraten-Stuben zunächst mit kollegialer Häme aufgenommen.
Beim zweiten Hinsehen kam den Regierungsbeamten der Verdacht, daß hinter der Haferkamp-Schelte mehr stecken könnte: eine konzertierte britische Aktion. »Das war nicht nur ein Schuß gegen Haferkamp«, mutmaßte ein Bonner EG-Experte, »das war auch ein Schuß gegen dessen Politik.«
Wie am Rhein, so wird auch in der Brüsseler Kommission selbst vermutet, daß die von der britischen Zeitschrift veröffentlichten Details über Haferkamps weltweites Spesenleben nur aus der unmittelbaren Umgebung der EG-Spitze stammen können. Präsident aber ist der Engländer Roy Jenkins und Finanzkontrolleur sein Landsmann Christopher Tugendhat.
Schon seit langem ist bekannt, daß der 55jährige Ex-Gewerkschaftsfunktionär Haferkamp, der bereits im zwölften Jahr den lukrativen Posten eines Brüsseler Kommissars (gegenwärtiges Monatssalär: über 20 000 Mark) hält, gern gut lebt -- auf Spesen.
So charterte der EG-Funktionär am letzten Tag der Weltwährungskonferenz 1976 in Manila, als die meisten Offiziellen bereits abgereist waren, ein Schiff, ließ es auf- und abschippern und feierte mit Freunden Europa; so mietete er nahe Genf eine Limousine mit Fahrer und ließ sich in 14 Tagen über 3000 Kilometer durch die Gegend chauffieren, durchaus nicht nur dienstlich, wie Kenner genüßlich berichten.
Verärgert registrierten Kommissionskollegen, daß sich der EG-Außenminister seit Jahren souverän über das Spesenlimit hinwegzusetzen pflegt, das sich die Kommission selbst gesetzt hat.
Weniger emsig zeigte sich Haferkamp stets dann, wenn es um die Amtsgeschäfte ging. Von dem ehemaligen EG-Präsidenten, dem Franzosen Francois-Xavier Ortoli, wird das Wort überliefert, Haferkamp habe bei ihm endgültig den Glauben zerstört, daß alle Deutschen fleißige Leute seien.
Entsprechend gering schätzte auch Bundeskanzler Helmut Schmidt seinen Parteifreund in Brüssel ein. Als Ende 1976 der designierte EG-Präsident Jenkins im Bonner Kanzleramt anfragte, ob man Haferkamp nicht gegen den emsigen Hans-Jürgen Wischnewski austauschen könne, hätte Schmidt gerne den Genossen Haferkamp abgeschoben. Doch der Kanzler wollte Wischnewski nicht hergeben und nahm Rücksicht auf Haferkamps mächtige Fürsprecher: den SPD-Vorsitzenden Willy Brandt und DGB-Chef Heinz Oskar Vetter.
So erhielt der SPD-Kommissar das EG-Außenressort, das zuvor von Jenkins kräftig beschnitten worden war. Die Restkompetenzen reichten Haferkamp allerdings, um die Engländer gründlich zu verärgern und sein Image beim Kanzler aufzubessern.
Während London wünschte, die EG-Wirtschaft mit rigorosem Protektionismus vor unliebsamer Konkurrenz zu schützen, versuchte der Deutsche stets, die Bonner Vorstellungen von einer möglichst liberalen Handelspolitik durchzusetzen. Haferkamp bremste beispielsweise Großbritanniens maßlose Forderungen, den europäischen Markt gegen Textileinfuhren aus Drittländern total abzuschotten. Und er stemmte sich gegen das britische Ansinnen, schwedische und finnische Stahlexporteure aus EG-Europa auszusperren.
Bei den Protektionisten in Washington machte Haferkamp gut Wetter für den weltweiten Abbau von Zöllen, über den derzeit in der Gatt-Runde verhandelt wird. Kanzler-Sprecher Klaus Bölling lobend: »Bei seinem nationalen Dienstherrn, dem Bundeskanzler, hat sich Haferkamps Reputation im letzten Jahr sehr gebessert.«
Die Brüsseler Enthüllungen beschreiben daher nach Bonner Auslegung nicht nur einen einschlägig bekannten deutschen Spesenritter. Sie geben zugleich Aufschluß über den beklagenswerten Zustand des höchsten europäischen Verwaltungsgremiums.
Den Ministern und Staatssekretären aus der Bundeshauptstadt, die häufig genug in das. gewaltige EG-Zentrum nach Brüssel reisen, entging nicht, daß es dem als Labour-Politiker hochgeachteten Ratspräsidenten Jenkins an Führungsqualitäten mangelt. Jenkins schaffte es nicht, aus den zwölf Kommissaren mit den Nationalitäten der EG-Mitgliedsstaaten ein europäisches Team zu formen. Ein Bonner Brüssel-Kenner: »Die marschieren nicht zusammen, sondern laufen nebeneinander her.«
Die Kritik an Haferkamp wird deshalb am Rhein zum Anlaß genommen, über die offenkundigen Schwächen der EG-Spitze nachzudenken.
Zwar sind die Kommissare nach dem 21 Jahre alten Vertrag von Rom finanziell und personell so ausgestattet, als ob sie Europa zu regieren hätten. In Wahrheit aber dürfen sie lediglich den diversen europäischen Minister-Räten zuarbeiten. »Die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit«, urteilt ein Brüssel-erfahrener Bonner Ministerialbeamter, »ist zu groß geworden.«
Statt der überkommenen sollte nach Bonner Überlegungen eine zeitgemäßere Konstruktion der Kommission eingeführt werden: Eine starke politische Figur müßte als Präsident und oberster europäischer Repräsentant an die Spitze des Brüsseler Apparats. Diese Persönlichkeit müßte die Kompetenz haben, für die einzelnen Ressorts fähige Verwaltungschefs zu engagieren.
Von solchen Spitzenkräften, die einem politisch starken Präsidenten zuarbeiten, erwarten die Bonner, daß sie eher als die jetzigen politischen Kommissare in der Lage sind, die mit über 15 000 Beschäftigten weit ausgeuferte EG-Bürokratie zu einem wirksamen Service-Instrument umzugestalten. Schillernde Figuren wie Haferkamp hätten in einem solchen System keinen Platz mehr.
Eine solche Lösung setzte allerdings voraus, was es bislang in Europa nicht gab: Die Mitgliedsländer müßten bei der Besetzung der Kommission auf Proporzdenken und nationalen Eigensinn verzichten. Die neun Regierungen müßten damit aufhören, die gutbezahlten Brüsseler Jobs mit Politikern zu besetzen, für die sie zu Hause keine Verwendung mehr haben.
Den Bonner Sozialliberalen wäre es recht, wenn eine andere EG-Regierung solche Reformpläne offen vertreten würde. Sie selbst möchten sich zurückhalten. Zu leicht könnte die Bundesregierung in den Verdacht geraten, aus Eigennutz zu handeln, Denn die Bonner rechnen sich Chancen aus, in zwei Jahren, nach Ablauf der Jenkins-Amtszeit, den nächsten EG-Präsidenten zu stellen.