ENERGIE-KONFERENZ Macht den Multis
Mit dem Plan, ihre Pläne zu verschweigen, bestiegen die Minister Scheel und Schmidt vergangenen Sonnabend eine Luftwaffenmaschine und flogen zum großen Bruder nach Washington.
In der US-Hauptstadt wollen Watergate-Präsident Richard Nixon und sein behender Außenminister Henry Kissinger Europäer und Japaner am Montag davon überzeugen, daß es nur den amerikanischen Weg aus der unvermittelt ausgebrochenen Energie-Krise gibt.
»Die Energie-Krise des Jahres 1973«, hatte der schnelle Kissinger schon am 12. Dezember vergangenen Jahres vor der Pilgrims Society in London die Richtung bestimmt, »kann das wirtschaftliche Äquivalent zur Sputnik-Herausforderung des Jahres 1957 werden. Das Ergebnis kann das gleiche sein.«
Besonders Frankreichs Regenten erinnerten sich scharf daran, welches das Ergebnis der Sputnik-Herausforderung gewesen ist: die Vorherrschaft der Amerikaner im Weltraum. Deshalb setzten die Franzosen vergangenen Dienstag auf einer Tagung des EG-Ministerrats durch, daß den amerikanischen Träumen von einem großen Energie-Kartell unter Führung der USA zumindest Zurückhaltung entgegengebracht werde: Ratsvorsitzer Scheel und Kommissions-Präsident Ortoli wurden zu Passivität vergattert. Finanzminister Schmidt ("Ich fliege auf Wunsch des Kanzlers") gab sich verdrossen.
Die Stimmung der Westdeutschen ist zwiespältig, weil ihre EG-Partner mehr auf Unabhängigkeit von den USA spielen, die deutsche Interessenlage aber das Zusammengehen mit den Amerikanern begünstigt. Die USA nämlich wollen die Energie-Krise, ähnlich wie die Bonner, mit den multinationalen Konzernen der Ölindustrie lösen, Franzosen, Italiener und Briten einstweilen im Direktverkehr mit den Arabern.
So besprach Frankreichs Außenminister Jobert mit dem Ölstaat Saudi-Arabien ein langfristiges Lieferabkommen über 800 Millionen Tonnen Erdöl für 93 Prozent des jeweiligen Steuerverrechnungspreises (seit 1. 1. 1974: 11,65 Dollar je Barrel), gegenwärtig also 10,83 Dollar. Ähnliche Abkommen versprechen sich Italiens Außenminister Moro von seinen Besuchen am Persischen Golf und Britanniens Schatzkanzler Barber von der Visite beim Schah des Iran.
»Ich muß der deutschen Regierung ein Kompliment machen«, bekannte Johannes Welbergen, holländischer Vorstandsvorsitzender der Deutschen Shell AG, »daß sie fast als einzige hinter den Arabern nicht hergerannt ist.«
Amerikaner, Deutsche und Holländer beanstanden, daß zweiseitige Abkommen mit den Golf-Ländern einen lästigen Bilateralismus in das sonst recht bewegliche Ölgeschäft hereintragen, die Abhängigkeit von den arabischen Ölquellen verschärfen und die Rohölpreise unangemessen nach oben treiben.
Gegenwärtig nämlich bekommen die Ölgesellschaften den ihnen zustehenden Anteil arabischen Öls für 7,11 Dollar je Barrel. Von dem Anteil der Förderländer, »Participation Oil« genannt -- bei Saudi-Arabien 25, bei Kuweit 60 Prozent, bei Persien 100 Prozent -, können sie zu einem höheren Preis zukaufen. Und schließlich gibt es noch arabische Auktionsware, die vorübergehend Spitzenpreise bis 17 Dollar erzielte. Durch Direktverträge mit den Golf-Ländern, so fürchten Ölfachleute, könne sich der Preis der Participation Oil höher schaukeln, als es der Marktlage entspreche.
Vor allem aber verübeln Amerikaner und Holländer den Pilgerfahrern in die Wüste, durch vorschnelle Verträge die landeseigenen Fördergesellschaften der Araber so zu stärken, daß die multinationalen Konzerne dort das Feld räumen müssen, bevor sie woanders genügend Ersatzenergie aufgetan haben.
Die vorzugsweise in Amerika stationierten Multis wiederum sind zumindest mit der Preistreiberei am Persischen Golf so unzufrieden nicht. Sie nämlich besitzen schon jetzt einen großen Teil der entwicklungsfähigen Ersatzenergien außerhalb Arabiens, die bei steigenden Rohölkosten wirtschaftlich werden. Der gegenwärtige Ölweltmarktpreis von acht bis neun Dollar je Barrel aber ermöglicht den raschen Ausbau von Energiequellen, die sonst erst in zehn oder gar 20 Jahren wirtschaftlich gewesen wären: Öl aus Teersand kostet vier Dollar, Öl aus Schiefer und der Nordsee acht Dollar je Barrel.
Mit den großen Aufgaben begründen die Multis ihren Trip nach dem großen Geld. Gegenwärtig verdienen sie am Liter Ölprodukt weltweit rund zwei Pfennig. Um die Erträge national und regional aufzubessern, steigen sie gerne auch in die Niederungen des Geschäfts ein. So glaubt das Bundeskartellamt in Berlin Beweise für eine absichtliche Marktspaltung durch die Konzerne gefunden zu haben.
Vom Rotterdamer Ölmarkt aus, so teilten die Kartellbeamten vergangene Woche in einem Achtseitenbrief der Brüsseler EG-Kommission mit, hätten die Konzerne freien Händlern doppelt soviel Geld abgenommen wie den eigenen Tochtergesellschaften. BP etwa -- zur Hälfte im britischen Staatsbesitz -- habe der deutschen BP leichtes Heizöl für 218 Mark je Tonne verkauft, freien Händlern jedoch für 397 Mark.
In der Fernsehsendung Insyn ("Einsicht") führten schwedische Journalisten vergangenen Donnerstag ein Konzernspiel zwischen Stockholm und Rotterdam vor: Dort erhielt die schwedische Esso AB vom Rotterdamer Markt Leichtbenzin zu überhöhten Preisen und bekam dafür von einem staatlichen Clearingfonds Ausgleichszahlungen, damit der Superpreis nicht auf den Verbraucher durchschlägt. Die niederländische Esso wiederum, so die Schweden. sei neben anderen Multis kräftiger Lieferant des Rotterdamer Marktes.
Über hohe Krisengewinne der Multis in Europa, die dann den USA nationale Energiequellen mitfinanzieren, beschwerte sich vergangenen Mittwoch auf einer Kabinettssitzung in Bonn denn auch Wissenschaftsminister von Dohnanyi bei dem konzernfreundlichen Wirtschaftsminister Hans Friderichs. Der aber wiegelte ab: »Es gibt keine Anhaltspunkte für Überhöhungen im deutschen Bereich.«
Vorsichtshalber wies der Minister seinen Wettbewerbsexperten Wolfgang Kartte nach der Kabinettssitzung an, sich über bessere Öffentlichkeitsarbeit Gedanken zu machen. »Wir dürfen die Sache nicht so dramatisieren«, so ein Friderichs-Beamter, »daß wir Versorgungsschwierigkeiten bei Öl kriegen«
Mit den Multis und den Amerikanern zu leben, ist denn auch das stille Konzept der deutschen Washington-Equipe. »Das sind Einsichten in ein paar Fakten«, so Kanzlerberater Manfred Lahnstein, »die niemand ändern kann -- auch die Franzosen nicht.«