GOLD Macht sinnlich
Vier Jahre lang quälten sich 128 Staaten der Erde um eine Reform des Weltwährungssystems. Ihr Ziel: Das Gold, bislang Grundlage des internationalen Finanzsystems, sollte seine Allmacht verlieren. Nach zwei Tagen unter karibischer Sonne war letzten Donnerstag auf Jamaika das Werk vollendet.
Stolz verkündeten die Finanzminister und Notenbankpräsidenten der Mitgliedsländer im Internationalen Währungsfonds (IWF), die sich in der Halle des »Pegasus«-Hotels zu Kingston versammelt hatten, den Abschied vom Edelmetall als Fixpunkt des internationalen Geldhandels. Denn, so der Bonner Delegat Hans Apel, es wäre doch »wegen der Schwankungen des Goldpreises anachronistisch, in der modernen Welt die Währungsordnung weiter auf dem Gold aufbauen zu wollen«.
Doch gerade die Deutschen, und mit ihnen die Franzosen, sind dem zur Schau gestellten Frohmut zum Trotz ziemlich sicher, daß sich in Wahrheit kaum etwas ändern wird. Nach ihrer, freilich nur leise geäußerten Ansicht wird Goldbesitz der Gradmesser monetärer Macht bleiben, für wie tot die Finanzexperten das Währungssystem von Bretton Woods auch immer erklärt haben.
In der amerikanischen Kleinstadt Bretton Woods war 1944 der IWF aus der Taufe gehoben worden. Die USA verpflichteten sich damals, alle Dollar, die ihnen zum Kauf angeboten würden, zum Festpreis von 35 Dollar je Unze (31 Gramm) in Gold einzutauschen. Dafür waren die Amerikaner als einziges IWF-Mitglied nicht gezwungen, das Austauschverhältnis des Dollar zu anderen Währungen, also den Wechselkurs, durch An- oder Verkäufe von Devisen zu garantieren.
Alle anderen Staaten hingegen mußten ihre Währung im Verhältnis zum Dollar und mithin zum Goldpreis stabil halten und verteidigen, notfalls auch Ab- oder Aufwertungen in Kauf nehmen, wenn Angebot und Nachfrage bei einer bestimmten Währung nicht mehr harmonierten.
Den Zerfall der alten Ordnung markierten drei Stationen: Am 14. März 1968 lösten sich die USA aus ihrem Obligo, alle von privater Seite angebotenen Dollar in Gold zu tauschen. Seitdem bildete sich ein freier Goldpreis.
Nach dem 15. August 1971 weigerten sich die Amerikaner, alle auch von Notenbanken offerierten Dollar in Goldbarren zu wechseln. Grund: Die im amerikanischen Fort Knox gelagerten Goldschätze waren von chronischer Auszehrung befallen -- vor allem durch kräftige Hortungskäufe der goldgläubigen Franzosen. Seitdem geriet die Gold-Devisen-Relation außer Kontrolle, der freie Goldpreis schnellte in die Höhe.
Der Niedergang des alten Systems war perfekt, als im Frühjahr 1973 auch die festen Wechselkurse zwischen den IWF-Mitgliedern zerbrachen, weil der Dollar wegen der US-Inflation immer tiefer sank und stärkere Währungen, wie die Deutsche Mark, mit ihren Aufwertungen nicht mehr nachkommen konnten.
Dennoch hielten die internationalen Währungspolitiker weiter an der Fiktion fest, es gäbe noch immer einen offiziellen Goldpreis (inzwischen 42,22 Dollar je Unze). In Wahrheit wurde aber zu diesem Kurs kaum noch Gold bewegt, denn jedes Land hütete sich, seine Schätze, für die je Unze auf dem freien Markt bis zu 200 Dollar gezahlt wurden, zu verramschen.
Nach der Finanz-Charta von Jamaika ist nun wenigstens diese Schizophrenie beseitigt. Gold ist jetzt Ware wie jede andere. Alle Notenbanken dürfen künftig, wenn sie mögen, ihre Goldreserven zu Marktpreisen versilbern -- oder neue anhäufen. Aus den Satzungen des Währungsfonds wurde das Wort Gold getilgt. Die bei der IWF niedergelegten Bestände (4800 Tonnen) müssen den Einlageländern zurückerstattet werden.
Basis für den Preis von Währungen ist schon jetzt ihre Relation zum Sonderziehungsrecht (SZR), dem eigens geschaffenen Kunstgeld des IWF, dessen Wert wiederum aus einem gewogenen Durchschnitt der 16 wichtigsten Welthandels-Valuten berechnet wird. Das SZR erscheint lediglich in den Kontobüchern des Fonds und kann in Panzerschränken nicht gestapelt werden: Die Behörden des Fonds teilen jedem Staat seine Anrechtscheine zu, über die er dann als Zahlungsmittel zwischen Notenbanken verfügen kann.
Mit dieser Operation soll eine Verrechnungsgröße geschaffen werden, die durch Beschluß der Fondsgremien knapp gehalten, bei Bedarf aber auch ausgeweitet werden kann. Gold dagegen ist nicht so leicht zu vermehren und faktisch gar nicht international gerecht zu verteilen: Insgesamt wurden bisher ganze 80 000 Tonnen gefördert.
Ob das Kunstgeld freilich eine bessere Weltwährungsordnung begründen kann, scheint zweifelhaft. Eine beliebige Vermehrung der Ziehungsrechte müßte die internationale Liquidität, wenn sie sich nicht am Gegenwert von Waren und Dienstleistungen orientiert, lediglich auf blasen und die Inflation überall anheizen.
Der Goldersatz, so dämpft Finanzminister Apel die offizielle Zuversicht, wird »in wenigen Jahren die Welt überschwemmen«.
Einstweilen wehren sich die Bonner noch mit Erfolg gegen das Verlangen der Dritten Welt, breitgestreute Sonderziehungsrechte als Ersatz für individuelle Entwicklungshilfe zu erhalten. In Kingston setzten sie sich mit ihrer Weigerung durch, das »Schwundgeld« (Apel) zum vollwertigen Gold-Ersatz umzumünzen: Kein Land ist in Zukunft verpflichtet, fremde Sonderziehungsrechte anstelle von Devisen unbegrenzt aufzukaufen.
Die Reichen, soviel steht nach der Jamaika-Konferenz fest, werden reich bleiben. Ob die Armen weniger arm werden, steht indessen dahin. Als Ersatz für reichliche Ausstattung mit Sonderziehungsrechten boten die Gold-Eigentümer -- allein die großen Drei: USA, Frankreich und Bundesrepublik besitzen mit 14 900 Tonnen (siehe Graphik) genausoviel Edelmetall wie der Rest der westlichen Welt -- den Armen ein Geschenk an.
Der IWF zahlt allen Staaten zunächst ein Drittel der in Gold entrichteten Mitgliedsbeiträge (damaliger Wert: 35 Dollar die Unze) zurück. Die Hälfte dieses Drittels wollen die Industrieländer zum neuen Marktpreis (derzeit 140 Dollar) verkaufen und den Erlös in die ärmsten der unterentwickelten Weltregionen überweisen: 4,5 Milliarden Mark wurde durch einen Buchungskniff neu geschaffen und gönnerhaft verschenkt. Die Dritte Welt stimmte zu.
Die andere Hälfte wandert zu den schon vorhandenen Goldvorräten in die Tresore der Industriestaaten. Die Bundesrepublik zum Beispiel erhält als erste Rate Goldbarren im Wert von 700 Millionen Mark, die als »nationaler Schatz« (Staatssekretär Karl Otto Pohl) für eine unsichere Währungszukunft zurückgelegt werden sollen.
»Langsam wird jeder begreifen, daß Gold als einziges immer wertbeständig bleibt«, begründete Apel in Kingston seine Pläne -- nachdem er gerade mitgeholfen hatte, das Gold offiziell aus dem Geldhandel zu kippen. Dann bot er Wetten darauf an, daß Gold seinen Rang im Währungsgefüge behalten wird, denn, so Apel: »Nur wer Gold hat, kann seine Wechselkurse garantieren.«
Wenn diese 800 Tonnen jetzt auf den Markt kommen, wird denn auch der Goldpreis nicht, wie die Spekulanten seit Monaten fürchten, fallen. Denn zumindest Frankreich wird kaufen, was es kriegen kann. Auch Apel will mithalten. Nach dem Motto »Gold macht sinnlich« hat der Minister den widerstrebenden Bundesbankpräsidenten Karl Klasen schon angehalten, beim neuen Goldrausch mitzubieten.
Und möglich erscheint dem deutschen Währungsminister, was seine Vorgänger Helmut Schmidt und Karl Schiller noch· erbittert bekämpften: daß in wenigen Jahren, zumindest in Europa, ein neues Währungssystem auf der Basis des Gold-Devisen-Standards wiederentstehen könnte -- nach dem Vorbild des gerade für tot erklärten Modells von Bretton Woods.
Den ganzen Widersinn der Operation, das Währungsgold erst außer Funktion zu setzen, um es dann um so besser horten zu können, beklagte der US-Währungsexperte Henry Reuss: »Das Gegenteil der eigentlichen Weltwährungsreform ist erreicht.«