VEBA Macht uns kaputt
Bonns Kraftprotz wurde schwach -- noch ehe er seine Stärke zeigen konnte.
Nur drei Monate nach der mit 780 Millionen Mark aus der Bundeskasse geförderten Fusion von Veba und Gelsenberg muß die zum »nationalen Ölkonzern« hochgejubelte Energiefirma auf eine Katastrophe von VW-Ausmaßen gefaßt sein.
Dem seit kurzem größten Unternehmen der Bundesrepublik (Jahresumsatz 1974: rund 25 Milliarden Mark, 58 500 Beschäftigte) drohen für 1975 Verluste von über einer halben Milliarde, sollte der Preisverfall auf dem Olmarkt anhalten: Seit Monaten setzen die Mineralölunternehmen der Bundesrepublik bei jeder verkauften Tonne Ölprodukte mindestens dreißig Mark zu. Scharf reagierte die Börse auf die bedrohliche Schieflage des vom Bund (rund 43 Prozent) beherrschten Volksaktienunternehmens, an dem immerhin 1,2 Millionen Kleinaktionäre beteiligt sind. Von Anfang Mai bis Monatsultimo sackte der Veba-Kurs um 18 Prozent auf 98 Punkte.
Längst spielen Minister und Spitzenbeamte Denkmodelle durch, wie dem angeschlagenen Energie-Imperium -- der Ölkonzern ist zugleich nach dem Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk zweitgrößter westdeutscher Stromerzeuger und größter Einzelaktionär der Ruhrkohle AG -- zu helfen ist.
Gerade recht kam ihnen ein Plan, mit dem Finanzminister Hans Apel seine ramponierten Bundesfinanzen aufbessern könnte: eine Sondersteuer auf die heimische Erdgasförderung und jene 6,2 Millionen Tonnen in Westdeutschland gefördertes Mineralöl, das nach der Ölpreis-Explosion auf dem Weltmarkt den glücklichen Eigentümern, vor allem Esso, Shell, Texaco, Mobil Oil und Wintershall (BASF), zu den ansehnlichen Netto-Gewinnen verhilft.
Verzichte der Staat selber auf die Steuer, argumentieren Apels Finanzbeamte, so würde der notleidenden Veba gar eine neue Subventionsquelle erschlossen, die Sonderabgabe käme also der Energiesicherung zugute. Shell-Chef Welbergen: »Da wird über etwas mehr als eine halbe Milliarde geredet.«
Um Bonns Steuerpläne zu torpedieren, streuten die potentiellen Opfer unauffällig, Veba-Chef Rudolf von Bennigsen-Foerder, am Geschäft mit den westdeutschen Quellen nicht beteiligt. habe Bonn zu einer »Lex Veba« animieren wollen. Der feinnervige Edelmann reagierte gereizt: »Kommt die Unterstellung noch einmal, so antworten wir mit einer Einstweiligen Verfügung.«
Doch auch der gekränkte Veba-Boß weiß, daß er seinen Konzern aus eigener Kraft kaum mehr vor einem folgenschweren Desaster bewahren kann. Zu stark ist -- gerade ein Jahr nach der dramatischen Ölverknappung -- der Strom billiger Ölprodukte aus dem Ausland angeschwollen. Vor allem über Rotterdam fließen Millionen von Tonnen auf den deutschen Markt und ruinieren so Preise und Erlöse. Kamen vor der Ölkrise Benzin, Heizöl und andere Raffinerieprodukte nur zu 30 Prozent aus dem Ausland, so versorgen sieh deutsche Abnehmer derzeit zur Hälfte aus fremden Quellen. Die Ölschwemme führt dazu, daß die auf einen Öldurchsatz von jährlich 149 Millionen Tonnen eingerichteten heimischen Raffinerien nur noch zu 55 Prozent ausgelastet sind. Bennigsen: »Wir sind Abfallplatz für Überschußmengen. So etwas macht uns kaputt.«
Um ihre Anlagen überhaupt noch in Gang zu halten, bieten die Gesellschaften Ölprodukte vielfach unter ihren Einstandspreisen für das Rohöl an, die Veba legte bereits einen Teil ihrer Raffinerieanlagen (Ingolstadt und Gelsenkirchen) still und trennt sich von einer Gemeinschaftsraffinerie mit der französischen Ölgesellschaft Elf.
Bennigsens Öltochter Veba Chemie macht bei jeder verkauften Tonne Öl einen Verlust von mindestens 35 Mark, die -- anders als bei den Töchtern der Ölmultis -- nicht durch Gewinne der Mutter abgefangen werden können.
Auf das ganze Jahr hochgerechnet, würde der Konzern, der seine Raffinerie-Kapazität durch die Gelsenberg-Übernahme auf 30 Millionen Tonnen Durchsatz hochputschte, mindestens 500 Millionen Mark Verlust machen. bei voller Auslastung gar noch mehr. »Wir müßten eigentlich jedem, der eine Tonne Öl nicht abnimmt, noch etwas draufzahlen«, sinniert der Veba-Boß.
Noch im letzten Jahr konnte Bennigsen Verluste im Ölgeschäft mit Gewinnen seiner profitablen Petrochemie-Sparte aufrechnen und durch die Höherbewertungen von Vorräten bei der Veba-Tochter dem Konzern sogar noch einen Buchgewinn von 40 Millionen Mark bescheren. Nachdem inzwischen auch die Chemie in den Sog der allgemeinen Konjunkturflaute kam und die Ölverluste außer Kontrolle gerieten, ist das Defizit kaum noch auszugleichen. Bennigsen: »Ich muß das Geld bei den Beteiligungsfirmen zusammenkratzen.«
Wirksame Hilfe kann die Veba nur aus Bonn erhoffen, sei es durch direkte Zuschüsse oder durch staatliche Behinderung der Billigöl-Einfuhren. Apels Sonderabgabe, diesen Mittwoch zum drittenmal auf der Tagesordnung des Kabinetts, hat dabei kaum noch Chancen. Vor allem Wirtschaftsminister Hans Friderichs will -- notfalls mit seinem Veto -- die Pläne des Kollegen durchkreuzen. Für anrüchig hält der Liberale die Steuer vor allem aus ordnungspolitischen Gründen: »Wir laufen in die Frage rein, was ein Zusatzgewinn denn eigentlich ist.«
Auch Hans Apel ist sich einer der Vorteile der Steuer nicht mehr sicher. Ohnehin müssen die Konzerne auf ihren Gewinn 67 Prozent Körperschaft- und Gewerbesteuer zahlen. Wegen der vielleicht verbleibenden 600 Millionen Mark möchte es der Sozialdemokrat nicht auf einen Koalitions-Zwist ankommen lassen.
Um ihren lahmen Energiekonzern doch noch flottzumachen, ersannen Bonner Spitzenpolitiker einen anderen Ausweg, der freilich auch zu Lasten der Verbraucher geht. Sie wollen gegen die Ölschwemme aus dem Ausland Importschranken aufrichten. So arbeiten Hans Friderichs' Energie-Beamte, von der Ölindustrie ermuntert, derzeit an Verordnungen, die langfristig vereinbarte Öllieferungen passieren lassen, kurzfristig abgeschlossene Mengen jedoch abwehren sollen. Veba-Chef von Bennigsen wäre das gerade recht: »Nicht nur wir wollen endlich wissen, ob man dieser Industrie eine Chance lassen will, ihr Kapital zu verzinsen und die Arbeitsplätze zu erhalten.«
Wissen wollen es vor allem die Aktionäre, die Bennigsens Fusionsprogramm inzwischen heftig kritisieren.
In seiner Not steht der 48jährige Jurist, der -- wie der designierte Veba-Aufsichtsrats-Chef Ernst Wolf Mommsen fand -- in den letzten Monaten »sehr nervös wirkte«, ziemlich allein. Selbst Bennigsen-Freunde machen dem Veba-Boß den Vorwurf, daß er seinen Vorstand zuwenig auf das riskante Gelsenberg-Projekt einschwor.
In der Krise, klagte der Veba-General denn auch, vermisse er die nötige Rückendeckung seiner Kollegen.
Am Vorstandstisch ist Bennigsen -- neben dem für Personalfragen zuständigen, oft abwesenden CDU-Abgeordneten Hermann Josef Russe -- der einzige Repräsentant der Konzernspitze. Die restlichen fünf Vorstandsposten werden von den starken Spitzen-Mana-gern der Veba-Töchter besetzt -- allen voran Günter Winkelmann, Chef der Handelsfirma Hugo Stinnes, und Erhard Keltsch, Chef der Strom-Tochter Preußenelektra. Keltsch widersetzte sich bislang allen Versuchungen, durch den Abschluß eines Organschaftsvertrages mit der Veba die Preußenelektra-Gewinne automatisch in die Konzernkasse fließen zu lassen.
Die Risse im Management fielen sogar dem Kanzler auf. Ein Schmidt-Vertrauter letzte Woche nach dem Besuch Bennigsens im Palais Schaumburg: »Der Kanzler zeigte deutlich seine Abneigung gegen Bennigsens Ein-Mann-Show.«