COMPUTER Magere Margen
Das Wachstum ist uns treu geblieben«, jubelte im Frühsommer 1974 Jean-Pierre Brulé, Generaldirektor von Honeywell Bull. Wenige Monate später war es dem Computerkonzern untreu geworden: Die Wachstumsprognose für 1975 wurde von 15 auf null zusammengestrichen.
Auch den Branchenriesen IBM -- die Amerikaner kontrollieren zwei Drittel des Weitmarktes -- erwischte es unvorbereitet: Die Planzahlen für dieses und das nächste Jahr bleiben aufgrund der »unsicheren allgemeinen Wirtschaftslage« unerreichbar, so ein Firmensprecher. Das Soll mußte kräftig ermäßigt werden.
Nach Wachstumraten von 50 Prozent und mehr scheint sich die Computerbranche nun ernsthaft verrechnet zu haben. Die teuren Riesenrechner vom Typ »Argus«, »Sigma« oder »Century 200«, die in Sekunden erledigen. wofür ein Buchhalter Tage brauchte, die ganze Versandhäuser und Hüttenwerke steuern, sie alle finden derzeit kaum noch zahlungskräftige Interessenten.
Die Branche muß -- so die Experten der US-Beratungsfirma John Diebold -erfahren, daß »der Ruf, Wachstumsindustrie zu sein, kein Dauerrecht für alle Zeiten begründet«.
Mit einem gegenüber dem Vorjahr um 20 bis 25 Prozent eingedampften Auftragsbestand des Gewerbes rechnet etwa Honeywell-Direktor Dieter Frank. Und für die deutschen Hersteller errechnete der Zentralverband der Elektrotechnischen Industrie (ZVEI) im dritten Quartal 74 erstmals einen Rückgang der Bestellungen um fast 14 Prozent. Noch im letzten Jahr waren es 32 Prozent Plus gewesen.
Längst müssen die bislang hochdotierten Computerexperten um Arbeitsplätze und Einkommen fürchten. Wie die meisten Firmen, die Rechner und Programme vermieten und verkaufen, verordnete auch Marktführer IBM und der auf dem deutschen Markt zweitstärkste Konzern Honeywell Bull den totalen Einstellungsstopp.
Der Frankfurter Personalberater Dieter Tolz, der sich auf die Vermittlung und Beratung von EDV-Personal spezialisiert hat, meldet Rekordnachfrage nach den wenigen offenen Stellen. Die von ihm annoncierte Stelle des Leiters einer EDV-Abteilung ("Heute nur noch ein 45 000-Mark-Job") wollten über 120 Bewerber haben. »Vor einem Jahr wäre ich noch über fünf oder sechs Bewerber froh gewesen.«
Viele Firmen haben bei flauer Beschäftigung und mageren Margen zunächst einmal ihr EDV-Programm gekürzt. So verringerte ein Frankfurter Unternehmen seine Computer-Besatzung innerhalb von drei Monaten von 27 auf fünf Mann. Seit Monaten stagnieren auch die Saläre für die jahrelang als Zukunftsberufe gepriesenen Jobs. 50 000 bis 60 000 Mark gelten heute als Schallgrenze. Als »halbwegs verbrecherisch« kritisiert denn auch der Unternehmensberater Dieter Heyde den unablässigen Versuch vieler privater Schulen und Institute, ständig weitere, vielfach halbqualifizierte Kräfte auf die unterbeschäftigten Rechner loszulassen.
In der Misere rächen sich auch die Verkaufsfehler der Boomjahre. Unter der Regie des Branchenführers IBM waren den Käufern allzuoft überdimensionierte Anlagen aufgeschwatzt worden. »Es wurde ein Rolls-Royce verkauft, obwohl es ein VW auch getan hätte«, krittelt Hans-Joachim Bohn. Siemens-Direktor und Vorsitzender der EDV-Fachgruppe im ZVEI, diese »overselling« genannte Verkaufspraxis.
Um gegen den Riesen IBM auch nur die Spur einer Chance zu haben, drangen die Konkurrenten mit Billigangeboten auf die potentiellen Kunden ein. Sie verkauften kleine, den betrieblichen Anforderungen auf Dauer nicht gewachsene Rechner -- ein Verkaufstrick, den die Experten als »underselling« abtun.
Während die über Bedarf mit Speicher- und Rechenkapazität Ausgerüsteten nun angesichts der hohen Kapitalkosten die ungenutzte Kapazität gern loswerden würden und als Neukunden ohnehin ausfallen, können die Minderbestückten nur unter erheblichen Aufwendungen ihre Anlage ausbauen. Sie müssen meist beim gleichen Hersteller bleiben, der sie mit seinem Billigangebot schon einmal verladen hatte.
Auf dem Markt, der für Bohn »wegen der Dominanz von IBM eigentlich keiner ist« und der in Deutschland nach vorsichtigen Schätzungen jährlich etwa sechs Milliarden Mark hergibt, macht sich Ernüchterung breit. »Wir sind in einer Phase der Entmystifizierung«, konstatiert der Siemens-Experte.
Mit atemberaubenden Rechenzeiten, schön anzusehenden Computerkästen und elektronischen Spielereien können die Hersteller den aufgeklärten Kunden nicht mehr imponieren. Während in den Anfangszeiten die Computer »dem Herrn Direktor angedreht« wurden -- erinnert sich ein IBM-Verkäufer -, ist heute meist der Leiter der EDV-Abteilung eines Unternehmens oder ein Unternehmensberater der Gesprächspartner. Folge: Überflüssige Einrichtungen werden nicht mehr bestellt, Computer länger genutzt.
Image- und Prestigegewinn sind schon lange keine Argumente mehr beim Verkaufsgespräch. Gefragt ist nur noch Rationalisierung, wobei die Kosteneinsparungen freilich für viele Kunden wegen der hohen Aufwendungen für Umstellung und Einarbeitung erst spät, vielfach erst nach Jahren. sichtbar werden.
Der Spezialmarkt -- laut Diebold-Statistik waren Mitte 1974 in der Bundesrepublik allein 11 436 universelle Rechner installiert -- hat zudem zu einem regen Informationsfluß zwischen den Spezialisten geführt. So tauschen etwa in der Wiesbadener »Lochkartenrunde« EDV-Anwender ihre Erfahrungen mit den »Hochgeschwindigkeitstrotteln« verschiedenster Hersteller aus. Sie decken Lücken« Fehler und Tricks auf, mehr als es manchem Hersteller lieb sein kann. »Nirgends sprechen sich Mißerfolge so schnell herum wie in der EDV-Branche«, weiß Unternehmensberater Heyde.
Zunehmender Wettbewerb und kritische EDV-Kunden führten schließlich dazu, daß »overselling und underselling nicht mehr geht« (Honeywell-Frank). Zudem drücken die Hersteller erste Sättingungssorgen. So stellt Diebold fest, daß im Großcomputerbereich Stagnation beginnt. Grace Hopper, 68, Commander der US-Navy und Computer-Expertin im Pentagon, hatte schon vor drei Jahren auf einem Symposium in München die Branche gewarnt, die Zeit der »Dinosaurier« sei vorüber.
Mut machen sich die Hersteller mit neuen Techniken, die den Computer vor allem näher an den Arbeitsplatz rücken lassen. Die Rechner sollen nicht nur als Eingabe- und Ausgabegerät an der Peripherie des Produktionsprozesses dienen, sondern selbst begrenzte
Prozesse ausführen, ehe ihr aufbereitetes Material in die Zentraleinheit fließt.
Überhaupt sehen die Hersteller, uneins im Urteil, ob die gegenwärtige Misere allein konjunkturelle Ursachen hat, in neuen Anwendungsgebieten und bei den Kleincomputern bis 20 000 Mark Monatsmiete derzeit das einzig einträgliche Geschäft. 14 der 17 großen Produzenten beurteilen den Auftragseingang hier noch als positiv.
Nicht so optimistisch scheint die Börse die Zukunft der Branche zu sehen. Führende Computerwerte verloren an New Yorks Wallstreet gegenüber Jahresbeginn 1974 zeitweise bis zu zwei Drittel ihres Kurswertes. Allein im zweiten Halbjahr 1974 rutschte sogar der Kurs der IBM-Aktien in New York um 20 Prozent ab. Selbst Gerüchte. arabische Ölmillionen lägen für die einst edlen Computeraktien bereit, halfen den Kursen nicht nachhaltig auf die Sprünge. Trocken wertet der Diebold-Report: »Mit Computeraktien ist nichts los.«