Massenentlassungen in Bochum Gewerkschaft wirft Nokia blanke Profitgier vor
Bochum - Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Werner Hammer nennt es einen "K.o.-Schlag", die IG-Metall-Bevollmächtigte Ulrike Kleinebrahm findet es "ungeheuerlich". Die Schließung des Nokia-Werks hat die 2300 Mann starke Belegschaft völlig unvorbereitet getroffen. "Das ist eine absolute Sauerei", ereifert sich Barbara Wisniewski vor den Werkstoren. Geahnt habe sie nichts von den Plänen der Konzernführung. Wie viele ihrer Kollegen hat sie erst aus dem Radio von der geplanten Stilllegung der Handy-Produktion erfahren.
Das Nokia-Werk ist nach Opel der größte industrielle Arbeitgeber in Bochum. Das Unternehmen will die Produktion nach Ungarn, Rumänien und Finnland verlegen. Damit fallen auf einen Schlag zwei Drittel der Nokia-Stellen in Deutschland weg. Zu den von von der Entlassung bedrohten 2300 Beschäftigten im Werk kommen der Gewerkschaft IG Metall zufolge auch noch bis zu 1000 Leiharbeitnehmer.
In den vergangenen Jahren sei versucht worden, die Produktion in Bochum effizienter zu gestalten, rechtfertigt der Aufsichtsratsvorsitzende Veli Sundbäck die Schließung. Trotzdem sei es nicht gelungen, Bochum im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig zu machen. Allein die Arbeitskosten seien in Deutschland zehn Mal höher als in Rumänien, der Standort im internationalen Vergleich nicht mehr rentabel.
Sundbäck versprach, zügig mit Arbeitnehmervertretern zu verhandeln, um eine "zufriedenstellende Lösung" für die Belegschaft zu finden. 300 Mitarbeiter könnten ihren Arbeitsplatz behalten, wenn die Bereiche Automobilzubehör, Forschung und Entwicklung wie geplant verkauft werden können, sagte Personalmanager Juha Äkräs.
Der Telekommunikationsexperte Torsten Gerpott von der Universität Duisburg-Essen sieht die Werksschließung skeptisch. "Mobiltelefone werden hochautomatisiert gefertigt. Das Kostenargument ist damit vorgeschoben", sagte er der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung". Er gehe davon aus, dass die weltweite strategische Neuausrichtung Nokias mit der Konzentration auf wenige Standorte der eigentliche Grund für die Schließung sei. "Der Standort Bochum ist klein. Und den Kleinsten beißen dann halt die Hunde", sagte er.
Die IG Metall vermutet hinter Nokias Maßnahmen blanke Profitgier. "Das Werk in Bochum soll nicht geschlossen werden, weil es defizitär ist, sondern weil es der Gewinnsucht des Nokia- Managements nicht genügt", sagt Oliver Burkhard, Bezirksleiter für Nordrhein-Westfalen. Er kündigte an, die Arbeitsplätze nicht kampflos aufzugeben - und hofft auf politische Unterstützung.
"Schwarzer Tag für Nordrhein-Westfalen"
Die könnte er bekommen: Man stelle sich die Frage, ob eine Schließung "wirklich unumstößlich" sei, sagte die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU). Sollte es tatsächlich so weit kommen, benötigten Beschäftigte und Stadt zumindest "eine zukunftssichere Perspektive".
Die SPD-Opposition im Düsseldorfer Landtag bezeichnete die Entscheidung von Nokia als "schwarzen Tag für Bochum, das Ruhrgebiet und Nordrhein-Westfalen insgesamt". Die Grünen nannten den Stellenabbau einen "Frontalangriff auf die Menschen in Bochum und im Ruhrgebiet".
FDP-Fraktionschef Gerhard Papke mahnte, man müsse möglichst viele der betroffenen Nokia-Mitarbeiter durch gezielte Vermittlung schnell in neue Jobs zu bringen.
CDU erwägt Rückforderung von Fördergeldern
Die Schließung des Standorts Bochum droht Nokia außerdem teuer zu stehen zu kommen: Das Land Nordrhein-Westfalen erwägt offenbar, von Nokia 60 Millionen Euro Fördergelder zurückzufordern. Eine Menge öffentlicher Gelder seien in den Nokia-Standort geflossen, sagte Thoben. Nun versuche der Telekom-Gigant offenbar, mit weiteren EU-Mitteln einen neuen Standort in Rumänien aufzubauen.
Sundbäck hingegen sagte, er rechne nicht damit, Fördergelder des Landes Nordrhein-Westfalen zurückzahlen zu müssen. Das Geld sei bestimmungsgemäß verwendet worden, Fristen für Rückforderungen seien ausgelaufen.
Nokia ist einer der weltweit führenden Hersteller von Mobiltelefonen und Anbieter für Netzwerk- und Systemlösungen für Betreiber und Großunternehmen. Bisher hat der Konzern seine deutschen Handys überwiegend im Werk Bochum gebaut. In den vergangenen Jahren baute der Telekommunikations-Gigant seine Fertigung in Niedriglohnländern immer weiter aus, vor allem in China und Indien. Neben Kostenersparnissen verspricht sich Nokia davon einen besseren Marktzugang zu den schnell wachsenden Volkswirtschaften Asiens.
Das Bochumer Werk stand bereits 2001 vor dem Aus. Damals wurden letztlich dann 341 von 3000 Stellen gestrichen. Im vergangenen Jahr hatte zudem das gerade gestartete Gemeinschaftsunternehmen Nokia Siemens Networks in Deutschland die Streichung von 2800 bis 2900 Stellen angekündigt. Insgesamt zählt Nokia weltweit zusammen mit dem Telekomausrüster Networks rund 112.000 Beschäftigte.
Die Verlagerung des Standortes Bochum ist der zweite schwere Schlag für die Mobilfunkbranche im Ruhrgebiet: Vor gut einem Jahr hatten rund 3000 Menschen in Kamp-Lintfort und Bocholt ihren Arbeitsplatz durch die Pleite von BenQ Mobile verloren.
ssu/AFP/AP/dpa/ddp/Reuters