»Meins ist meins, und deins ist unseres«
SPIEGEL: Sie nehmen seit zwei Jahren jede Gelegenheit wahr, um auf die rote Gefahr auf den Weltmeeren hinzuweisen. Stört es Sie, daß auch die Ostblockflotten sich der Freiheit der Meere bedienen?
SAGER: Was uns stört, ist die Einstellung des Ostblocks, denn das Motto, insbesondere der Sowjet-Union, lautet ja: Meins ist meins, und deins ist unseres.
SPIEGEL: Das bedeutet, die westlichen Länder können russische Güter nicht befördern, aber die Russen befördern westliche.
SAGER: So ist es. Der Überseehandel in allen Ostblockstaaten ist hundertprozentig staatlich kontrolliert. Das heißt, es gibt dort überhaupt keine Möglichkeiten für westliche Reeder, in einen Wettbewerb mit den nationalen Flotten einzutreten.
SPIEGEL: Man fragt sich natürlich, wenn man die Zahlen ansieht, wie weit Sie das stören kann. Das Bremer Institut für Seeverkehrswirtschaft hat ausgerechnet, daß die von Comecon-Flotten transportierten Gütermengen von 1970 auf 1975 um 45 Prozent gestiegen sind. Das sind etwas mehr als sieben Prozent im Jahr. Finden Sie das so sensationell?
SAGER: Ich kenne diese Zahlen nicht, sie scheinen nur viel zu niedrig. Außerdem war der Zeitraum von 1970 bis 1975 eine Aufbauphase, und ich möchte sagen, daß sich die Lage seitdem erheblich dramatisiert hat. SPIEGEL: Wieso?
SAGER: In den letzten beiden Jahren haben die Russen zusammen mit den Polen zum Beispiel auf dem Nordatlantik ihren Anteil im Verkehr von und nach deutschen Häfen fast auf denselben Stand gebracht wie wir als nationale deutsche Reederei.
SPIEGEL: Das ist vermutlich doch ein Einzelfall.
SAGER: Durchaus nicht. Im Fahrtgebiet Ostafrika stellen die Ostblockreeder -- die Russen als Outsider, die Polen und Ostdeutschen als Konferenzmitglieder* -- von Nordeuropa aus etwa genauso viele Abfahrten wie alle anderen Reeder zusammen.
SPIEGEL: Die Zahl der Abfahrten sagt ja noch nichts über den tatsächlichen Ladungsanteil.
SAGER: Ich möchte dazu mal eines sagen: In der Linienschiffahrt leben wir von den letzten zwei bis drei Prozent der Fracht. Wenn ein so potenter
* Schiffahrtskonferenzen sind kartellähnliche Zusammenschlüsse mehrerer Schiffahrtslinien nach bestimmt abgegrenzten Gebieten. Sie setzen die Frachtraten autonom und für ihre Mitglieder verbindlich fest.
Außenseiter mit niedrigen Preisen in ein Fahrtgebiet eindringt, dann mag er vielleicht nur zehn Prozent der Ladung abfahren. Aber die Folge ist doch, daß auch die Konferenzen ihre Raten teilweise angleichen müssen.
SPIEGEL: Wieviel macht denn das aus?
SAGER: Das kann den Tarif der betroffenen Schiffahrtskonferenzen so beeinflussen, daß im Schnitt um fünf, sechs oder sieben Prozent weniger verdient wird. Das heißt, die paar Prozent, die wir brauchen, um ein vernünftiges Ergebnis zu erzielen, sind weg.
SPIEGEL: Und um wieviel unterbieten die Russen?
SAGER: Wir wissen, daß die Russen sehr flexibel operieren. Im Prinzip haben sie den Leitspruch: Wir wollen an die gute Ladung heran, koste es, was es wolle.
SPIEGEL: Und was kostet es?
SAGER: Wenn sie in ein Fahrtgebiet eindringen, das relativ stabil ist, dann gehen sie mit Nachlässen bis zu 40 Prozent ran.
SPIEGEL: Und das bleibt dann so?
SAGER: Wenn sie erst einmal etabliert sind, dann bieten sie im Schnitt Raten, die irgendwo so zwischen 10 und 20 Prozent unter denen der Konferenz liegen.
SPIEGEL: Geben Sie nicht guten Kunden die gleichen Rabatte?
SAGER: Wir geben keine Rabatte.
SPIEGEL: Überhaupt keine? SAGER: Nein.
SPIEGEL: Hat es nicht schon in den USA Fälle gegeben, wo das von den Behörden aufgedeckt worden ist?
SAGER: Ich will nicht sagen, daß es solche sogenannten Unter-dem-Tisch-Zahlungen überhaupt nicht gibt.
SPIEGEL: Die Russen machen also das, was westliche Reeder auch tun, wenn sie ins Geschäft kommen wollen. Was werfen Sie den Russen nun eigentlich vor? Oder haben die Russen andere Zielsetzungen?
SAGER: Sie haben zweifellos einmal das Ziel, harte Währungen einzufahren. Bei ihrer Kostenstruktur kann man davon ausgehen, daß sie bereits ein gutes Ergebnis erzielen, wenn sie mit ihren Schiffen mehr Devisen einnehmen, als sie ausgeben.
SPIEGEL: Die Ostblockreeder haben demnach eine andere Kostenrechnung als die Westreeder?
SAGER: Natürlich. Die rechnen so: Abschreibungen, Verzinsung, Heuern für die Besatzung, gewisse Versicherungskosten, Bunkeröl -- Unkosten, die bei uns zusammen etwa 80 Prozent der Tageskosten ausmachen -- fallen bei ihnen gar nicht an oder sind sehr niedrig. Außerdem müssen sie ja nicht in Devisen bezahlt werden. Das geben die Russen übrigens selber zu.
SPIEGEL: Wegen einiger Devisen baut man sich aber doch nicht eine so riesige Flotte auf?
SAGER: Von strategischen Gründen will ich gar nicht reden.
SPIEGEL: Sie meinen, im Ernstfall fahren die damit Truppen und Panzer? Das würden unsere doch auch tun.
SAGER: Die Russen haben uns selber erzählt, daß ihre großen Roll-onroll-off-Schiffe im Nordatlantikverkehr in westlicher Richtung nach Kuba gehen. In Kuba wird alles mögliche ausgeladen, was immer es sein mag, aber dann gehen sie in die amerikanischen Häfen und nehmen alles mit, was sie bekommen können, um die Schiffe zu füllen.
SPIEGEL: Für Kuba und die Devisen allein lohnt sich der Aufwand aber doch sicher nicht.
SAGER: Es ist natürlich so, daß die Russen für ihren eigenen Handel eine Flotte brauchen, und zwar eine größere, als sie in der Vergangenheit hatten. Auch kriegen sie nun nicht auf jeder Route ihre Schiffe mit eigener Ladung voll. Insofern ist es schon verständlich, daß sie den Wunsch haben, unterwegs in anderen Häfen zusätzliche Ladung aufzunehmen.
SPIEGEL: Dann ist ja wieder alles in Ordnung.
SAGER: Das sagen Sie. Wir haben ausgerechnet, daß uns die Konkurrenz der Russen, den Anteil der transsibirischen Eisenbahn an entgangener Fracht allerdings mitgerechnet, im Jahr 1976 an die 50 Millionen Mark gekostet hat. Das ist etwa zweimal die Dividende, die Hapag-Lloyd für 1976 gezahlt hat.
SPIEGEL: Immerhin haben Sie noch Dividende gezahlt. SAGER: Gott sei Dank.
SPIEGEL: Und was wollen Sie nun gegen die Russen tun?
SAGER: Wir sind der Meinung, daß die Russen, wenn sie schon die Freiheit genießen, die hier bei uns im Westen herrscht, sich als erstes den Konferenzen anschließen sollten und zu denselben Bedingungen fahren müssen wie wir.
SPIEGEL: Wieviel wollen Sie den Ostblockflotten denn freiwillig zugestehen?
SAGER: Ein bestimmter Anteil des Aufkommens in einem Fahrtgebiet wird im Prinzip für sogenannte Dritt-Flaggen akzeptiert.
SPIEGEL: Also für Schiffe, deren Heimatland weder am Anfang noch am Endpunkt der Route liegt, auf der diese Schiffe fahren.
SAGER: Ja. Aber es gibt innerhalb dieser, sagen wir mal, 20 Prozent außer der russischen noch andere Flaggen, die zum Teil schon seit hundert Jahren in diesen Fahrtgebieten tätig sind. Das heißt, die Russen können -- je nachdem, wie viele außer ihnen noch da sind -- mal fünf Prozent, vielleicht auch mal sieben bekommen, wobei zu bedenken ist, daß sie ihre russische Ladung häufig hundertprozentig befördern.
SPIEGEL: Und Sie meinen, alle Probleme wären gelöst, wenn die roten Flotten Mitglieder Ihrer Schiffahrtskonferenzen würden?
SAGER: In den Fahrtgebieten, wo das der Fall ist, zum Beispiel nach Australien, sind die Russen sehr anständige Konferenzmitglieder, die sich an Abkommen halten und natürlich auch die Konferenzraten berechnen. Sie können also durchaus vernünftige Partner sein.
SPIEGEL: Über die fünf bis sieben Prozent Anteil am Frachtaufkommen auf verschiedenen Routen sind die Ostblockflotten, wie Sie vorhin ja selber sagten, zumeist schon weg. Wie wollen Sie denn nun erreichen, daß die Comecon-Flotte sich wieder mit einem geringeren Frachtanteil begnügt?
SAGER: Wir sind der Meinung, daß dies nur politisch zu lösen ist.
SPIEGEL: Das heißt von den Regierungen in Verhandlungen mit Moskau?
SAGER: Unsere Regierungen sollen die Russen auffordern, in Verhandlungen mit den Schiffahrtskonferenzen einzutreten ...
SPIEGEL: ... und deren Bedingungen zu akzeptieren.
SAGER: Dabei sollen die Russen versuchen, einen Anteil auszuhandeln, der ihnen ermöglicht, die Bedürfnisse ihres Handels zufriedenzustellen und auf der anderen Seite einen gewissen Teil aus unseren Häfen abzufahren. Allerdings, das ist richtig, zu den gleichen Bedingungen wie wir.
SPIEGEL: Die Russen gelten ja als zähe Verhandler mit sehr festem Sitzfleisch. Sind Sie sicher, daß sie Ihnen rasch entgegenkommen werden?
SAGER: Falls die Russen uns nicht entgegenkommen, müssen in unseren Ländern Gesetze geschaffen oder angewendet werden, die den Anteil der Russen begrenzen.
SPIEGEL: Und darin sind sich die Regierungen der westlichen Länder einig?
SAGER: Eine konzertierte Aktion mehrerer Regierungen hat es bisher noch nicht gegeben. Unser Verkehrsminister, Herr Gscheidle, aber wird im Oktober nach Moskau fahren, eigentlich ausschließlich wegen dieser Verkehrsprobleme. Die Engländer sind gegenwärtig schon in Rußland, Gespräche mit den Amerikanern haben bekanntlich ebenfalls stattgefunden. Sie gehen alle in die gleiche Richtung.
SPIEGEL: Die deutsche Wirtschaft ist sich in dieser Frage ja nicht ganz einig. Zumindest die Verlader sind doch an niedrigen Frachtraten interessiert.
SAGER: Nicht unbedingt, es gibt viele Kunden, die sich darüber im klaren sind, daß dieses möglicherweise in eine gewisse Abhängigkeit führen kann. Und wo die Russen einmal freie Hand haben, da gehen sie auch mit ihren Raten hoch.
SPIEGEL: Wenn die westlichen Reeder zum Beispiel vom Nordatlantik verschwinden und die Russen alles alleine machen, wird es sicher teuer. Haben die Russen überhaupt so viele Schiffe?
SAGER: Ich glaube, das Flottenprogramm des Ostblocks ist so, daß die Russen in zwei, drei Jahren theoretisch in der Lage wären, etwa die Hälfte der Ladung auf dem Nordatlantik zu fahren.
SPIEGEL: Also nur die Hälfte und auch erst in den nächsten Jahren.
SAGER: Wenn Sie aber bedenken, daß auf westlicher Seite sieben oder acht Reedereien sind, die dann nur zu einem Viertel ausgelastet fahren müßten, können Sie sich ausrechnen, wie schnell das zu einer Pleite führen muß.
SPIEGEL: Eine kommerzielle Lösung würde Ihrer Meinung nach auf jeden Fall zur Pleite führen?
SAGER: Es würde irgendwann zu einem sehr heftigen Kampf kommen, der sicherlich einige Reedereien an den Rand der Pleite bringen dürfte.