Unternehmen Merkwürdige Rechnung
Gerhard Zeidler, der Chef des Telekommunikations-Konzerns SEL, wäre so gern ein richtiger Unternehmensführer, einer, der investiert und entscheidet, der Zukunftspläne entwirft und umsetzt.
Doch der Alltag des ehrgeizigen Aufsteigers sieht ganz anders aus. Zeidler mußte bisher, auf Geheiß des französischen Mehrheitsgesellschafters Alcatel, Produktionsstätten schließen und Arbeitsplätze abbauen.
Dann fiel die Mauer - und Zeidler sah die Chance, seinen Traum doch noch zu verwirklichen. Beim zweiten deutschen Wirtschaftswunder wollte er von Anfang an dabeisein.
Bereits im März 1990 gründete der gebürtige Breslauer als einer der ersten Westmanager ein deutsch-deutsches Gemeinschaftsunternehmen in der DDR, die RFT-SEL Nachrichtenelektronik GmbH. Die Fernmeldefirma umfaßt 3 von 19 Betrieben des ehemaligen Telefonbaukombinats.
Zeidler folgte dem Ruf der Politiker. Die Regierung drängte die Industrie damals wie heute, im deutschen Osten zu investieren.
Das war Zeidlers Pech. Sein Frühstart hat ihm bislang nur Millionen-Verluste eingebracht. Denn aus all den schönen Plänen ist nichts geworden. Die Investitionen in der ehemaligen DDR haben den zahlreichen Problemen des Telekommunikations-Konzerns ein paar neue hinzugefügt.
In Arnstadt bei Erfurt wollten die Stuttgarter mit knapp 3000 Beschäftigten mechanische Telefonvermittlungsanlagen für Osteuropa fertigen. Außerdem sollte in einer neuerrichteten Fabrik das hauseigene SEL-System 12 zusammengebaut werden.
Weitere rund 1200 Angestellte sollten in Rochlitz bei Chemnitz Funkanlagen und Zulieferteile herstellen. Vertrieb, Einbau und Service der RFT-Geräte sollten einige hundert Angestellte in Berlin erledigen.
Inzwischen beschäftigt die neue Gemeinschaftsfirma gerade noch 3800 Mitarbeiter. Bis zum Jahresende verlieren nochmals rund 500 Angestellte ihren Job. Wie es danach weitergeht, weiß derzeit niemand.
In Arnstadt werden schon jetzt kaum noch traditionelle Telefonanlagen gebaut. Die geplante neue Fabrikhalle für die High-Tech-Schaltstellen der Stuttgarter wird erst gar nicht errichtet.
In die schwierige Situation haben sich die SEL-Strategen selbst hineinmanövriert. Zeidler und seine Berater wollten von den neuen Ländern aus die Märkte in der Sowjetunion, in Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei erobern. Bis zu 400 000 Telefonanschlüsse, hofften die Stuttgarter, könnten sie in die ehemaligen Staatshandelsländer liefern.
Doch seit die Staaten im Osten für Telefone und Schaltstationen harte D-Mark bezahlen müssen, tendiert die Nachfrage gegen null. »Die Ausgangsbedingungen«, stellt Zeidler-Gehilfe Klaus Schmidt nüchtern fest, »haben sich grundsätzlich geändert.«
Die katastrophale Wirtschaftslage in der Sowjetunion drückt das Geschäft zusätzlich. Die Regierung braucht ihre knappen Devisen dringend, um im Ausland Nahrungsmittel oder Maschinen zu kaufen. Luxusartikel wie Telefone stehen nur selten auf den Beschaffungslisten.
Das wird sich so schnell nicht ändern. Länder wie Ungarn oder die Tschechoslowakei fertigen Telefonsysteme ohnehin lieber mit westlicher Hilfe im eigenen Land, als sie im Westen teuer einzukaufen. So hat SEL in diesem Monat eine Kooperation mit einem tschechoslowakischen Telefonhersteller vereinbart.
Ganz offensichtlich haben die SEL-Manager die Zukunft des Ostgeschäfts falsch eingeschätzt. Und sie täuschten sich auch in ihrer Bewertung der Standorte im Osten. Ob Telefonanlagen in Bayern oder in Sachsen produziert werden, ist für den Export unerheblich.
Die Stuttgarter Fernmeldeexperten hätten den Bedarf an Telefonen und Vermittlungsstellen in den neuen Ländern leicht in ihren vorhandenen Werken decken können. Doch Zeidler und seine Führungskräfte zogen es vor, direkt in der ehemaligen DDR zu produzieren. Sie glaubten, als Ost-Produzent vom Auftraggeber Post bevorzugt zu werden.
Daraus ist nichts geworden. Vergebens forderte Zeidler vom Postunternehmen Telekom zusätzliche Aufträge in den neuen Ländern.
Rund 500 000 Telefonanschlüsse werden in diesem Jahr in der ehemaligen DDR neu geschaffen. RFT-SEL darf aber nur etwa ein Drittel installieren. Den Rest teilen sich, wie in den alten Bundesländern, der SEL-Hauptkonkurrent Siemens und andere Anbieter.
Noch unterstützt Alcatel-Chef Pierre Suard seinen Stuttgarter Statthalter. Doch der Franzose möchte bei der RFT möglichst bald Gewinne sehen. Das Ost-Abenteuer der Schwaben kostet Alcatel immerhin einige Millionen.
Zeidlers Versuche, seinen Flop schönzureden, werden in Paris kaum überzeugen. Seine ostdeutsche Tochter, beteuert der SEL-Chef, arbeite schon jetzt mit Gewinn.
Eine merkwürdige Rechnung - sie geht nur auf, hat Siemens-Marketingexperte Karl-Josef Frensch nachgerechnet, »wenn man die Investitionen bewußt außer acht läßt«. o