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»Milliarden in den Bach geschmissen«

Verkehrswissenschaftler warnen und Forschungsinstitute widersprechen -- dennoch: Bund und Länder geben Milliarden für wirtschaftlich sinnlose, dafür aber um so kostspieligere Kanalbauten aus. Nutznießer sind stets Industriefirmen, die Bundesbahn und Binnenschiffer gegeneinander ausspielen können, zu Lasten der Steuerzahler.
aus DER SPIEGEL 48/1976

Das Bauwerk kostet eintausenddreihundert Millionen Mark. Aber viel wert ist es nicht.

Wenn 1983 die Saar zum Großschifffahrtskanal ausgebaut ist, können sich vor allem die »Wassersportler« freuen, bemerkten die vom Bundesverkehrsminister berufenen Gutachter -- weiteren Nutzen, außer dem Freizeitwert, vermochten sie nicht auszumachen.

Eine noch aufwendigere Regattastrecke entsteht im Südosten der Republik. Ab 1985 nämlich will die Kanal-Baugesellschaft Rhein-Main-Donau AG Schiffe über die Berge des Fränkischen Jura -- Scheitelhöhe des Kanals: 406 Meter über Normalnull -- von Nürnberg nach Vilshofen schicken.

Seriöse Verkehrsexperten raten einhellig von derlei kostspieligen Bauten ab: »Wir brauchen keine neuen Kanäle«, protestierte Professor Walter Hamm. »Mit allem Ernst und Nachdruck«, forderte er, müsse »geprüft werden, ob schlechtem Geld noch gutes nachgeworfen werden soll«.

Das ist nicht wenig. Der Bundesverkehrswegeplan sieht bis 1985 für Ausbau, Betrieb und Unterhaltung der Bundeswasserstraßen, Preisstand 1972, 14,4 Milliarden Mark vor.

Die Milliarden wandern beispielsweise in die Staustufen am Oberrhein und die Vertiefung des Strombetts bis zum Niederrhein oder den Ausbau der westdeutschen Kanäle für Schubschiffkonvois. Auch der 1964 eingeweihte Moselkanal soll neue Schleusen bekommen. Die Folgekosten für den Bruch des Elbe-Seitenkanals, auf 40 Millionen Mark taxiert, rangieren vergleichsweise bescheiden am Schluß.

Niemals seit Kriegsende ist in den Wasserstraßenbau mehr investiert worden -- »verkehrswirtschaftlich überflüssig und volkswirtschaftlich unsinnig«, so der ehemalige Ministerialrat Erwin Deischl vom Vorstand der Gesellschaft für rationale Verkehrspolitik.

Das Geld sei gut angelegt, meint dagegen Bundesverkehrsminister Kurt Gscheidle: » Früher hat jeder Verkehrsträger seine Planungen mehr oder weniger isoliert vorgenommen, heute wird der Rang der einzelnen Verkehrswege von Kosten und Nutzen bestimmt.«

Diese Untersuchung ist seit 1970 zwingend vorgeschrieben: Für jede Großinvestition ist zuvor die Wirtschaftlichkeit durch Kosten-Nutzen-Analysen nachzuweisen.

Schön wäre es und fällig auch. Denn noch immer werkeln bau- und wasserbegeisterte Planer ohne Rücksicht auf die Kosten an dem »Hochleistungsnetz« bundesdeutscher Wasserstraßen.

Der Oberrhein-Ausbau zum Beispiel, nach der Staustufe Gambsheim jetzt die Stufe Iffezheim, verschlingt Milliarden -- aber: »Eine Nutzen-Kosten-Analyse«, gibt Bonn zu, »liegt nicht vor.« Und Ärger noch: Die Saar-Kanalisierung wurde begonnen, obwohl die unabhängigen Gutachter dem Projekt Milliardenverluste voraussagen.

Der Bundesverband der deutschen Binnenschiffahrt in Duisburg will es nicht gewesen sein. »Wir haben nie den Bau neuer Wasserstraßen gefordert«, beteuert Geschäftsführer Dieter Wulf, im Gegenteil: Die Zunft habe den Moselkanal »ausdrücklich abgelehnt«. Und die Oberrhein-Staustufen seien nur »Hindernisse für einen zügigen Schiffsumlauf«.

»Handfeste Interessen anderer Art«, weiß Wulf, bestimmen auf deutschen Flüssen und Kanälen den Kurs: »Es ist die alte Politik der Industrie seit 100 Jahren, die Eisenbahn und die Binnenschiffahrt gegeneinander auszuspielen -- bei beiden mit beachtlichem Erfolg.«

Es war schon immer etwas billiger, Massengüter wie Kohle und Erz, Kies oder Öl per Schiff zu versenden. Eine Art Naturgesetz bestimmt, so fand Hans Clausen Korff, in den sechziger Jahren Haushaltsdirektor des Bundesfinanzministers, daß die Wasserfrachten »mindestens 15 vom Hundert unter den vergleichbaren Bahnfrachten liegen«.

Anders nämlich als bei der Bahn, von der Eigenwirtschaftlichkeit erwartet wird, anders auch als bei der Straße, deren Benutzer mit den Kraftfahrzeug- und Mineralölsteuern ihre Wegekosten selber bezahlen, werden bei den künstlichen Wasserstraßen die hohen Bau- und Kapitalkosten voll und die Betriebskosten zu mehr als 90 Prozent vom Steuerzahler beglichen.

Die Süßwasserflotte kann deshalb leicht zu Vorzugspreisen fahren. Und dieses Sonderangebot ist für die Manager eine schier unwiderstehliche Gelegenheit, die Frachtraten der ohnehin defizitären Bundesbahn zu drucken.

Beispiel Salzgitter. Das bundeseigene Hütten- und Stahlkombinat hatte den Bau des Elbe-Seitenkanals -- Preis: 1,3 Milliarden Mark mit Wohlwollen gefördert. Doch als das »Jahrhundertbauwerk«, von Kurt Gscheidle gerade eingeweiht, alsbald leerlief, blieben die Konzernrechner gelassen.

Ausgerechnet die Kanal-Promoter aus Salzgitter nämlich hatten vor Eröffnung des Kanals mit der Bundesbahn einen Zehnjahresvertrag ausgehandelt, der die Bahn zu ansehnlichen Rabatten zwingt. Danach braucht der Konzern jetzt für den Schienentransport einer Tonne Erz vom Hamburger Hafen nur noch 6,10 Mark zu bezahlen, 20 Prozent weniger als zuvor.

Die Mineralölwirtschaft baut gar auf Preisnachlässe bis zu 30 Prozent, wenn der Dammbruch erst einmal repariert ist. Die Binnenschiffahrt, barmt Dieter Wulf, werde so zum »ökonomischen Hebel, um bei der Bahn niedrige Frachtraten durchzusetzen«. Beim Frachtpoker bleiben die Konzerne unter sich.

Die Schiffer können daran kaum etwas ändern. Sie sind einem Zwangskartell unterworfen, ihre Tarife für den innerdeutschen Verkehr werden von sieben Frachtenausschüssen ausgehandelt, in denen sich Fahrensleute und Verlader paritätisch gegenübersitzen.

Was sie beschließen, wird vom Verkehrsminister als Rechtsverordnung erlassen, die zur Not mit Bußgeldern durchgesetzt wird. »Die von den Frachtenausschüssen beschlossenen Entgelte für Verkehrsleistungen gelten als marktgerecht«, bestimmt das Binnenschiffsverkehrsgesetz.

In den Frachtenausschüssen geben keineswegs die mehr als 2000 mittelständischen Schiffsmänner ("Partikuliere") den Ton an. Vielmehr bestimmt die verladende Wirtschaft, wo es lang geht. Weil die größten Reedereien den größten Verladern gehören, vertreten die Konzerne ihre Interessen auf beiden Seiten des Verhandlungstischs.

Im Frachtenausschuß Dortmund etwa können bei der Frage, was denn »marktgerecht« sei, die Vertreter der Winschermann Transport AG (Wintrans) mit den Abgesandten des Salzgitter-Konzerns verhandeln. Wintrans ist eine hundertprozentige Salzgitter-Tochter.

Im Frachtenausschuß Rhein treffen zum gnadenlosen Pokern um die »marktgerechten« Preise die Emissäre der Fendel-Stinnes Schiffahrt AG mit den Verladern der größten westdeutschen Brennstoff-Handelsfirma Raab-Karcher GmbH aufeinander -- beide Unternehmen gehören zu dem vom Bund kontrollierten Veba-Konzern.

Dabei wird der Steuerzahler ein zweitesmal beansprucht. Was die Bahn wegen der Kanal-Konkurrenz an Einnahmen verliert, muß durch entsprechend höhere Bundeszuschüsse an die Eisenbahnkasse ersetzt werden.

Dieses System der Frachtverbilligung setzt nur das Vorhandensein von Wasserstraßen voraus. Da trifft es sieh, daß für manches Vorhaben sich die große geographische und historische Perspektive zeichnen läßt.

Bayerns Ministerpräsident Alfons Goppel etwa, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Rhein-Main-Donau AG, weiß sieh in direkter Nachfolge Karls des Großen: Schon 793 habe Charlemagne den Main-Donau-Kanal erdacht. Friedrich der Große wird für die Idee der Nord-Süd-Schiffahrt durch die Lüneburger Heide, Napoleon für die Saar in Anspruch genommen.

Den Landesregierungen von Mainz und Saarbrücken geriet der Saar-Pfalz-Rhein-Kanal, 1972 in einem gemeinsamen Memorandum, zum »letzten Teilstück einer europäischen Wasserstraßenverbindung vom Schwarzen Meer bis zum Atlantik«. In einer Entschließung der rheinischen Handelskammern wird der Rhein-Rhone-Kanal ("Le Monde": »ungeheuerliche Verschwendung öffentlicher Gelder") zur »Achse Nordsee-Mittelmeer«.

Anders als ordinäre Verkehrswege wie Schienen und Straßen besitzen Kanäle offenbar eine fast magische »völkerverbindende Kraft« (Bayern-Premier Alfons Goppel). Ohne Main-Donau-Kanal jedenfalls, mahnt er, werde »Europa in zwei Verkehrshälften zerfallen« und -- ärger noch -- der »Südosten Europas endgültig mit dem Osten verkettet«.

»Es sind die Chancen, bei den riesigen Bauaufträgen und Lieferungen viel Geld zu verdienen«, erklärt dagegen Erwin Deischl. Der zähe Eifer, mit dem Kanalpläne -- zumeist Fossilien aus dem vorigen Jahrhundert -- heute noch und nicht nur von der Verlade-Wirtschaft verfolgt werden, habe durchaus eigennützige Motive: »Je größer die Baukosten, desto interessanter das Objekt, desto größer das Geschäft«.

Industrie- und Handelskammern (IHK) wähnen sich an der Spitze des Fortschritts, wenn sie ein Kanalprojekt voranzutreiben suchen. Als wertvolle Helfer treten häufig ehrgeizige Bürgermeister und Politiker auf, die sich von vermeintlichen Standortverbesserungen Ansehen und Stimmen versprechen. Unverwüstlich ist, von dem Rhein-Main-Donau-Apologeten Professor Karl Förster ersonnen, die »raumfüllende Kraft« künstlicher Wasserstraßen, an deren Ufern laut Förster ·.perlenkettenartig« Industrien emporschießen.

Haben Kanäle »raumfüllende Kraft«?

»Industrien, die sich im Hafen oder sonst im Stromgebiet angesiedelt haben. wählten diesen Standort häufig aus anderen Gründen als dem der günstigen Anbindung an die Wasserstraße, die überhaupt nicht benutzt wird«, berichtet hingegen der Vorstand des Port Autonome de Strasbourg.

In vielen Häfen tut sieh nicht viel. Nürnberg, mit Investitionen von mehr als 200 Millionen Mark auf einen Umschlag von jährlich 3,5 Millionen Tonnen ausgelegt, erreichte 1975 gerade 600 000 Tonnen.

Aufwand und Ertrag stehen dabei in einem kaum vertretbaren Verhältnis. Germersheims Rheinhafen zum Beispiel, in den fast 40 Millionen Mark versenkt wurden, wäre frühestens 1985 aus den roten Zahlen gekommen. Jetzt aber kann er, weil der Mineralölkonzern BP dort keine Raffinerie baut, wie BP Ende September entschied, »überhaupt nicht die Rentabilitätsschwelle erreichen«

»Es ist kein Beispiel bekannt, wo aus einem unterentwickelten und standortmäßig benachteiligten Raum durch den Bau eines Kanals ein Raum mit überdurchschnittlichen Wachstumstendenzen geworden ist«, korrigierte das Prognos-Institut in einer Rheinland-Pfalz-Expertise das Förster-Latein von der »raumfüllenden Kraft«.

Um Politikern dennoch die Zustimmung zu erleichtern, geben sich die Wasserbauer zunächst stets bescheiden. Aber zwischen Projekt und Endabrechnung erhöhten sich die Kosten der Kanalisierung etwa der Mosel von 370 Millionen auf annähernd eine Milliarde Mark. Der Ausbau der mittleren Weser kostete statt der vorgesehenen 146 schließlich 340 Millionen Mark.

Erst unlängst rügte der Bundesrechnungshof, daß sich Ausbauarbeiten am westdeutschen Kanalnetz beiläufig von 566 auf 930 Millionen Mark verteuerten. Urteil: »Ausreichende Kostenberechnungen fehlten.«

Ziel solcher Taktik ist es, das jeweilige Projekt erst einmal in einen öffentlichen Etat mit einem Leertitel zu plazieren. Ist diese Hürde überwunden, berichtet Deischl, »beginnt der Kanalbau ein Eigenleben von höchster Widerstands- und Durchsetzungskraft zu entwickeln, gegen das Vernunftgründe machtlos zu sein pflegen«.

Vor allem in Wahlkampfzeiten. So hatte Bankier Hubert Dohmen, Präsident der IHK Saarbrücken, 1969 verkündet, Pfalz und Saar »brauchen ein weithin sichtbares Fanal: die Großinvestition eines Saar-Pfalz-Kanals«. Die »Dringlichkeit« dieses Vorhabens überzeugte schließlich sogar die Kommunisten: Die DKP, Landesverband Saarland, rief die Genossen auf, »die Forderungsbewegung nach sofortigem Baubeginn des Kanals zu verstärken«.

»Einfach ins Blaue hinein« (Deischl) beschloß schließlich Kurt Georg Kiesingers Große Koalition: »Ein Wasserstraßen-Anschluß wird gebaut.«

Ob der Kanal durch die Pfalzberge zum Rhein gegraben oder nur die Saar bis zur Mündung in die Mosel kanalisiert werden sollte, war noch völlig offen. Und selbst als der damalige Verkehrsminister Georg Leber zum ersten Spatenstich an der Saar ansetzte, gab er heim Festakt in St. Arnual zwischen Saarbrücken und Dillingen zu: »In welche Richtung gebaut wird, weiß ich noch nicht.« Originalton Leber: »Ich habe noch nirgendwo so viel Verworrenheit und noch nirgendwo ein solch perfektes Gebäude von Unklarheit und politischer Lüge gesehen.«

Damals brachte Georg Leber die erste jemals von einem Bonner Verkehrsminister in Auftrag gegebene Untersuchung über Kosten und Nutzen solcher Investitionen auf den Weg. Das Ergebnis, Ende 1971 vorgelegt, war den Preis (300 000 Mark) wert.

Die Gutachter der Basler Prognos, der Frankfurter Treuarbeit und der Düsseldorfer Intertraffic wiesen in ihrer 341 Seiten starken Gemeinschaftsexpertise nach, daß weder der Saar-Pfalz-Rhein-Kanal noch die Kanalisierung der Saar zur Mosel volkswirtschaftlichen Nutzen stiften würden.

Im Gegenteil: Frachtvorteile für die verladende Wirtschaft von jeweils einer Mark wären -- so die Gutachter -- »mit Verlusten der Volkswirtschaft in Höhe von 5,60 Mark (Kanal) beziehungsweise 2,70 Mark (Saarausbau) verbunden« -- insgesamt Verluste bis zu 1,9 Milliarden Mark. Allein die Bundesbahn würde bis zu 740 Millionen Mark Erträge einbüßen.

»Mit anderen Mitteln als dem Kanalbau«, mutmaßten die Gutachter ungefragt, wäre der Region »effizienter, gezielter und schneller« zu helfen. Falls dennoch »eines der beiden Projekte realisiert« werde, empfahlen sie ergän-

* Der damalige Verkehrsminister Georg Leber in St. Arnual.

zend, wäre es »volkswirtschaftlich am vorteilhaftesten, wenn der Wasserstraßen-Anschluß nicht benutzt wird.«

Trotzdem: Bonn baut den Saar-Mosel-Kanal. Und auch das andere Projekt ist noch keineswegs tot. In einem Beschluß vom Juli 1976 nahm sich der Raumordnungsverband Rhein-Neckar vor: »Der Bau des im Landesentwicklungsprogramm Rheinland-Pfalz ausgewiesenen Saar-Pfalz-Rhein-Kanals von der Saar bei Saarbrücken durch die Pfalz zum Rhein bei Ludwigshafen bleibt ein langfristiges Ziel der Landesentwicklung.«

Auch an neuen Plänen besteht durchaus kein Mangel. Da ist der Hochrhein-Ausbau Basel -- Konstanz, der Bodensee-Donau-Kanal von Friedrichshafen bis Ulm und die Donau-Neckar-Verbindung Ulm -- Plochingen, die Kanalisierung der Donau bis Ulm, die des Inns bis Rosenheim, der Isar bis München und des Lechs bis Augsburg und der Kanal München -- Augsburg.

»Genug Milliarden« seien schon, meint Bundesbahn-Vizepräsident Herbert Lange in Saarbrücken. »in den Bach geschmissen worden«. An der Mosel könne er die gesamte Schiffsfracht, elf Millionen Tonnen, »mühelos übernehmen": 1975 fuhr die Bahn 14 Millionen Tonnen auf der Moselstrecke ab -- eine Leistungsreserve von 24 Millionen Tonnen blieb ungenutzt.

»Eine Gefahr« signalisiert inzwischen auch der Deutsche Industrie- und Handelstag in seiner Denkschrift »Ost/West-Gegenverkehr": Über Goppels Gebirgskanal könnten die östlichen Staatsreedereien ihre Flotten zum Rhein schicken, um Devisen einzufahren -- um jeden Preis.

Die Sorge ist nicht unbegründet.

Denn im internationalen Verkehr werden die Frachtraten frei vereinbart. Auf der Donau schwimmen die letzten zwei West-Reedereien, der Bayerische Lloyd und Österreichs Erste Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft, seit Jahren hoffnungslos in roten Zahlen.

In einer »tiefen Existenzkrise« weiß Dieter Wulf die westdeutsche Binnenschiffahrt schon heute. Freilich trifft sie nicht alle Zunftgenossen gleich schwer.

Immer mehr Kleinunternehmer gehen über Bord, von Jahr zu Jahr. Durch Abwrack-Aktionen beschleunigt, schrumpft die Flotte. Doch gleichzeitig steigt die Kapazität durch Stapellauf größerer und schnellerer Schiffe.

So verminderte sich im letzten Jahrzehnt die Zahl der Binnenschiffe von 7630 auf weniger als 5000, der Frachtraum um fast ein Fünftel auf rund vier Millionen Tonnen. Um zehn Prozent hingegen hat zugleich die Transportleistung zugenommen: 1975 beförderte die Binnenschiffahrt 227 Millionen Tonnen -- allein mehr als die Hälfte davon passierte auf dem Rhein bei Emmerich die Grenze, auf der Donau wurden 2,2 Millionen Tonnen bewegt.

Das Transportgeschäft trägt dem Gewerbe im Jahr etwa 1,7 Milliarden Mark ein. Fast die Hälfte davon erlösen allein die zwölf größten Unternehmen, die über ein Drittel der Gesamttonnage gebieten und mit Fracht stets gut versorgt sind -- die Reederei-Töchter von Konzernen wie Hoesch, Krupp oder Thyssen.

Für die etwa 2000 kleinen Partikuliere bleiben vom Gesamtumsatz 14 Prozent übrig. Mit Abstand größter Binnenschiffer aber ist, über Salzgitter und Veba, Kurt Gscheidle.

»Jedes Verkehrsmittel übernimmt die Aufgabe, für die es volkswirtschaftlich am besten geeignet ist«, lautet sein Vorsatz. Doch genau dem ist die Verkehrspolitik noch nie treu geblieben.

Wasserstraßen, mit Milliarden aus der Bundeslade bezahlt, werden als in die Erde eingegrabener Sondertarif gegen die Bundesbahn ausgespielt. Regionalplanung erhebt zum »Ziel, neben den Frachtvorteilen des Wasserweges vor allem in den Genuß billiger Landfrachten zu kommen« (Raumordnungsverband Rhein-Neckar).

Die Frage des Professors Hamm bleibt einstweilen offen, die Frage nämlich, »ob derartige Wohlstandsverluste durch falschen Einsatz knapper öffentlicher Mittel in einer Zeit ohnehin bescheiden gewordener Wachstumsraten und schmaler realer Einkommenssteigerungen ohne weiteres hingenommen werden könnten«.

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