Milliardenbetrüger Madoff vor Gericht Tag der Abrechnung in Saal 11A
Der Angeklagte würdigt seine Opfer keines Blickes. Regungslos hockt Bernard Madoff am Anklagetisch, flankiert von seinen sündteuren Anwälten, Hände im Schoß, Blick starr nach vorne. Hinter ihm hier in Saal 11A des US-Bezirksgerichts New York drängeln sich Dutzende Ex-Klienten auf den Holzbänken. Sie verrenken sich die Hälse nach dem Mann da vorne, der sie um ihre Lebensersparnisse gebracht hat. Vergeblich - er ignoriert sie.

Milliardenbetrüger Bernard Madoff: "Ich schäme mich"
Foto: AFP"Für mich", murmelt Judith Welling, 71, die mit ihrem Ehemann Dewitt, 84, gekommen ist, "ist er der Abschaum vom Abschaum." Die Wellings haben über Madoff "mehrere Millionen Dollar" verloren, ihre gesamten Rücklagen, nicht nur für sich selbst, sondern unter anderem auch für die Ausbildung der Enkel. "Wir sind keine Opfer", beharrt sie. "Wir sind Überlebende."
Viele dieser "Überlebenden" sind nach Lower Manhattan gekommen, um ihrem Peiniger endlich ins Gesicht zu schauen: Ex-Investmentmanager Bernard Madoff, 70, der den größten Betrug aller Zeiten begangen hat, indem er über fast 20 Jahre hinweg Gelder von mehr als 4800 Klienten veruntreute - von Fondsmanagern bis hin zu ganz einfachen, arglosen Pensionären.
Anfangs bezifferte die Staatsanwaltschaft die Schadenssumme auf rund 50 Milliarden Dollar. Inzwischen hat sie diese Zahl auf mindestens 65 Milliarden Dollar erhöht. Die eng bedruckte Namensliste der Opfer umfasst 162 Seiten.
Der Ablauf des Vormittags ist klar, und doch hängt spürbare Spannung in der Luft. Madoff, so hat Chefverteidiger Ira Sorkin angekündigt, werde sich in allen Punkten schuldig bekennen. Richter Denny Chin hat die Opfer eingeladen, Erklärungen abzugeben, wenn sie das wünschen. Viele stehen schon im Morgengrauen Schlange auf den Stufen des Gerichtspalastes nahe der City Hall. Berittene Polizei patroulliert durch die Straßen.
Manche erhoffen sich Antworten. Andere wollen Satisfaktion. Wieder andere möchten sich einfach nur Gehör verschaffen. "Wo ist das Geld?", fragt Ronnie Sue Ambrosino, die eine Interessengruppe für rund 300 Madoff-Opfer gegründet hat und aus Florida angereist ist. Ambrosina und ihr Mann Dominic haben 1,6 Millionen Dollar verloren - ihr gesamtes, in langen Arbeitsjahren verdientes Vermögen.
"Wir hatten nie Schulden", berichtet die pensionierte Lehrerin Cynthia Friedman. "Wir haben für unsere Zukunft gespart. Jetzt hat sich alles in Luft aufgelöst." Ihr Mann Richard hat seinen Ruhestand erst mal aufgeschoben und recherchiert nun auf eigene Faust hinter ihren verschwundenen Millionen hinterher. "Auf keinen Fall hat Madoff alleine handeln können."
Die Gemüter sind erhitzt: Madoff hinterlässt eine weltweite Spur persönlicher Tragödien (allein neun Opfer leben in Deutschland). Zwei seiner Investoren haben Selbstmord begangen. Ganze Familien hat er in den Ruin gestürzt. Wohltätige Stiftungen wie die Foundation for Humanity des Nobelpreisträgers Eli Wiesel stehen vor dem Bankrott. Die jüdische JEHT Foundation, die sich für straffällige Jugendliche engagiert hat, musste schließen. "Ich habe jeden Penny verloren", sagt Autorin Alexandra Penney, die "Einzelhaft" für Madoff fordert.
Doch seit seiner Festnahme im Dezember 2008 durfte der Mega-Betrüger trotzdem weiter in seinem Luxus-Penthouse auf der Upper East Side residieren, unter Hausarrest und gegen zehn Millionen Dollar Kaution. Das empört die meisten hier bis heute. "Bye Bye Bernie!", titelte die "New York Post" in freudiger Erwartung seiner Einkerkerung.
"Wenn Madoff heute nicht bis zur Verurteilung hinter Gitter kommt", droht Judith Welling, "dann wird es Krawalle geben, und ich werde mit dabei sein." Welling hat seit 1994 alle ihre Ersparnisse über Madoff "angelegt" und dafür jedes Jahr Steuern gezahlt - für, wie sich nun herausstellt, fiktive Anlagen. "Wer gibt mir das zurück? Das Finanzamt?" Sie lacht höhnisch.
Bisher haben die Staatsanwaltschaft, das FBI und die US-Börsenaufsicht SEC weniger als eine Milliarde Dollar sicherstellen können - das sind gerade einmal 1,5 Prozent der verschollenen Summe. Kenner wissen, dass der größte Teil des Rests verschwunden bleiben dürfte. Die SIPC, die zuständige Behörde für betrogene Anleger, hat bisher gerade mal zwölf Erstattungschecks verschickt. Gesetzliche Höchstsumme: 500.000 Dollar.
Wie Madoff den Betrug begann und sein eigenes Luxusleben finanzierte
Der Angeklagte trägt einen mausgrauen Anzug, sein langes, weißes Haar fällt ihm in den Nacken. Viele seiner Opfer sehen ihn hier zum ersten Mal, hatten nur fernmündlich oder schriftlich mit ihm kommuniziert, seinem Ruf als vertrauenswürdigem Geldmanager vertraut.
Madoff steht auf und räuspert sich. "Sprechen Sie laut, damit ich sie verstehen kann", ordert Richter Chin, ein gebürtiger Hongkonger, der die Anhörung unaufgeregt-lakonisch leitet. Sorkin bittet um Wasser für seinen Mandanten.
Zuvor rasselt Staatsanwalt Lev Dassin noch eben die elf Anklagepunkte herunter, darunter Börsenbetrug, Investmentbetrug, Postbetrug, Geldwäsche, Meineid und Diebstahl. Er betont, dass Madoff im Gegenzug für sein Bekenntnis keinerlei Zusicherung von Strafmilderung bekomme: "Es gibt keinen Deal." Das einzige Zugeständnis: Madoff vermeidet einen Prozess.
Madoff gesteht - die Zuhörer schnauben verächtlich
Richter Chin benennt die Höchststrafen pro Anklagepunkt. Endsumme: 150 Jahre Haft und mehr als 12,5 Millionen Dollar Strafe. Dem folgt eine Standardformel, die den Angeklagten darauf hinweist, dass er hiermit auch sein Recht auf Wählen, politische Ämter und "das Tragen von Schusswaffen" verwirke. Ob er diese Konsequenzen begreife? Madoff bejaht.
Madoff liest sein Schuldbekenntnis vom Blatt, den Kopf gebeugt, die Augen nach unten gerichtet. Zweimal weicht er vom Text ab. Doch Anwalt Sorkin korrigiert ihn jedesmal.
"Ich kann nicht genug ausdrücken, wie leid es mir tut", sagt Madoff emotionslos. "Es tut mit zutiefst leid, und ich schäme mich." Er sei sich "schmerzlich bewusst, dass ich vielen, vielen Menschen Schmerz zugefügt habe". Auf den Bänken ist verächtliches Schnauben zu hören.
Und dann beschreibt Madoff zum allerersten Mal öffentlich im Detail, wie er seine Straftat eingefädelt hat. "Mein Betrug begann Anfang der neunziger Jahre", sagt er. Die USA hätten sich in einer Rezession befunden, und er habe "die Erwartungen" seiner Klienten nach Dauerrendite nicht länger erfüllen können.
Also habe er ihre Gelder einfach nicht mehr angelegt, sondern an sich selbst überwiesen, um davon die Ansprüche anderer Kunden zu befriedigen - und zugleich sein eigenes Luxusleben zu finanzieren. Es war ein klassisches "Pyramidensystem", das eines Tages zwangsläufig zusammenbrechen musste. Seinen Klienten habe er dafür obendrein noch Gebühren abgeknöpft: "Vier Cents pro Aktie."
Um seine Spur zu verwischen, habe er Millionen Dollar über den Atlantik hin- und hergekabelt, von New York auf ein Konto in London und zurück. Den Betrogenen habe er monatlich gefälschte Kontoauszüge geschickt, der SEC gefälschte Bilanzen, die verbuchten Anlagen seien reine Hirngespinste gewesen: "Ich habe diese Investments nie getätigt."
Fünf Minuten dauert Madoffs Vortrag. Dann murmelt er "Vielen Dank" und setzt sich. Richter Chin verliest erneut die Anklagepunkte und fragt nach Madoffs Stellungnahme dazu. Die Antwort, elfmal hintereinander: "Schuldig."
Chin begrenzt die Statements der Opfer vorerst auf die Frage des Schuldbekenntnisses und einer Haft Madoffs bis zum Urteilstermin. Daraufhin treten nur drei ans Stehpult vor.
"Wir sehen uns bei der Strafmaßverkündung"
Eine von ihnen ist Maureen Ebel. Die 60-Jährige aus Pennsylvania hat 7,3 Millionen Dollar verloren. Sie musste ihre Wohnung und ihr Auto verkaufen und schlägt sich jetzt als Putzfrau durch. Ein Prozess, sagt sie laut und bebend, "würde der Welt zeigen, dass wir unsere Leute zur Verantwortung ziehen".
Sorkin argumentiert, seinen Mandaten vorerst unter Hausarrest zu lassen. Richter Chin will davon nichts wissen: "Er hat den Anreiz zur Flucht, er hat die Mittel zur Flucht, die Kaution ist widerrufen." Zwei Gerichtsbeamte ziehen Madoff die Arme hinter den Rücken, legen ihm Handschellen an und führen ihn ab. Das Publikum applaudiert begeistert. "Wir sehen uns bei der Strafmaßverkündung", sagt Chin.
75 Minuten dauert der Spuk, ein schaler Nachgeschmack bleibt. "Fühle ich mich bestätigt?", fragt Judith Welling. "Nein." Dann greift sie Jacke, Handtasche und Ehemann und verschwindet in ihre ungewisse Zukunft.