Milzbrand Die Lehren von Swerdlowsk
Im April 1979 erkrankten Hunderte Bürger der russischen Stadt Swerdlowsk. Alle zeigten der normalen Grippe vergleichbare Symptome. Mehr als sechzig Personen starben - Ursache unbekannt. Dreizehn Jahre später recherchierte der Harvard-Biologe Matthew Meselson, wo die Opfer der mysteriösen Seuche gearbeitet und gewohnt hatten, und trug die Daten auf einer Karte ein. Dabei fiel ihm auf, dass sich die Punkte auf seinem Plan in einer geraden Linie verbinden ließen.
Der Wind brachte den Tod
Die Stadtviertel von Swerdlowsk, in denen die Infizierten lebten, hatten das Pech, in der Windrichtung einer B-Waffen-Fabrik zu liegen, die den tödlichen Milzbrand-Erreger herstellte. Milzbrand ist der weltweit am häufigsten produzierte bakterielle Kampfstoff. Der Biologe Meselson stellte fest, dass sich windwärts der Fabrik noch 30 Kilometer weiter auffällig viele tote Tiere fanden.
Die Erkenntnisse von Meselson sind für die in Florida diagnostizierten Anthrax-Fälle von großer Bedeutung. Denn der Swerdlowsker Fall verdeutlicht, wie komplex die Übertragungswege von Milzbrand sind - und wie schwierig es wäre, den Erreger gezielt als Waffe einzusetzen.
Für den Unfall in Russland hat Meselson errechnet, dass von der benachbarten Chemiefabrik maximal ein Gramm Anthrax versehentlich freigesetzt worden sein dürfte. Das entspräche etwa einer Billion Milzbrandsporen. Verantwortlich für die hohe Zahl von Erkrankungen war ein stetig aus der selben Richtung wehender Wind. Hätten sich die Sporen gleichmäßiger über die Millionen-Stadt verteilt, wären vermutlich weniger Bewohner erkrankt.
Eine hohe Sporenkonzentration ist gefährlich
Entscheidend für das Risiko einer Erkrankung ist die Sporenkonzentration. Wer nur eine geringe Zahl von Sporen einatmet, hat nach Ansicht von Wissenschaftler gute Chancen, sich nicht zu infizieren, da das menschliche Immunsystem mit einer geringen Menge Anthrax fertig wird. Als die Weltuntergangssekte Aum Shinrikyo Anfang der neunziger Jahre Milzbrand-Sporen in Japan freisetzte, gab es keine Todesfälle. Das dürfte daran gelegen haben, dass die Aum-Terroristen das Anthrax zu weit streuten oder eine falsche Mischung verwendeten.
"Es läuft darauf hinaus, dass die Russen wussten, wie man aus Anthrax eine Waffe macht, und diese Sekte nicht", sagt Philip Hanna, Professor für Mikrobiologie und Immunologie an der Universität Michigan.
Die Infektionen durch die Milzbrand-Stämme, die jetzt in Florida aufgetaucht sind, scheinen behandelbar zu sein. Ärzten zufolge lässt sich der Erreger mit Antibiotika bekämpfen, wenn er früh erkannt wird. Infizierte Personen müssten dann nicht sterben.