LÄDEN Mit Samba-Rhythmen
Düsseldorfer Hausfrauen standen wieder Schlange. Diesmal freiwillig. Das Lebensmittelgeschäft Otto Mess, eine der 180 Filialen der Viktualien-Dynastie Frowein & Nolden präsentierte sich als erster Selbstbedienungsladen im Lande Nordrhein-Westfalen.
»Kaufen Sie gemütlich, langsam oder so schnell, wie es Ihnen paßt«, stand auf den vierseitig bedruckten BDS (Bediene Dich selbst) - Anleitungen, die am Laden-Eingang, Kölner Straße 240, verteilt wurden. Die Kunden kauften gemütlich, angeregt durch Samba-Rhythmen aus der Gemüseecke.
Vor dem Schaufenster schimpfte ein Mann unverblümt auf die neue Verkaufseinrichtung, zur lebhaften Diskussionsfreude der wartenden Schlange. Dann ging er durch den Laden ins Geschäftsbüro und schrieb sich fein säuberlich ins Notizbuch, was die Kunden gegen das BDS-System einzuwenden hatten.
Alfred Wegner hält das für unerläßlich. »Ich schimpfe immer mit.« Wegner ist Leiter der Spezialabteilung Ladenbau beim Augsburger Zweigwerk der National Cash Register Company, Dayton im US-Staate Ohio. »Kritik nützt meiner Idee.« Seine Idee ist, die deutschen Lebensmittelgeschäfte nach amerikanischem Muster in Schwung zu bringen.
Das sieht so aus: Nach dem Leitsatz, daß der Kunde selbst sein bester Verkäufer ist, wird die Hausfrau nicht mehr durch Theken von der Ware getrennt, sondern nimmt sich alles, was sie braucht, von den Regalen selbst herunter, packt es auf eine Art Kinderkarre und schiebt nach beendetem Verkaufsrundgang zur Kasse. Die Kassiererin läßt für jedes Warenteil einen Bon durchlaufen, rechnet ab und entläßt den Käufer bei der Packtisch-Endstation.
»Die Hausfrau«, preist Wegner das nicht mehr ganz neue BDS-System, »braucht nicht mehr anzustehen. Sie kann ihre langweiligen Einkaufsvormittage je nach Entschlußfreudigkeit auf fünf Minuten reduzieren und frei wählen, statt sich von Verkäuferinnen einschüchtern zu lassen, die immer das Teuerste loswerden wollen.«
Diebstahlsmöglichkeiten hat Alfred Wegner in den von ihm bisher in Deutschland eingerichteten 16 BDS-Läden elegant durchkreuzt. Mit schräg aufgehängten Spiegeln sind auch zahlungsabgeneigte Selbstbediener von jedem Punkt des Ladens aus zu kontrollieren. »Außerdem sehen sich die Kunden selbst auf die Finger.«
Die BDS-Kaufleute sind gute Psychologen. »99 Prozent aller Menschen«, meint Wegner, »sind gedankenlos und haben einen Rechtsdrall. Das muß man ausnutzen.« Fast alle Auslagen sind deshalb in den Verkaufsräumen auf der rechten Seite angebracht.
Im übrigen ordnet der geschickte Selbstbedienungs-Unternehmer seine Regale so an, daß der Kunde zwangsläufig alle Stationen des Lebensmittel-Labyrinths durchpilgern muß. Auch wenn er nur eine Schachtel Streichhölzer kaufen will. Dabei kapituliert auch die sparsamste Hausfrau manchmal vor so viel verkaufsfertig verpackter Ware.
Wegners hohle Verkaufsgasse macht sich bezahlt. Die ersten Selbstbedienungsläden in Westdeutschland melden Umsatzsteigerung bis zu 100 Prozent.
Der Spezialist plant für die westdeutschen Großstädte eine BDS-Aktion auf »breiterer Basis« mit 60 neuen Läden. Seine Pläne, gestützt auf eigene Selbstbedienungs-Erfahrungen in Ohio, stellt Wegner jedem BDS-willigen Ladenbesitzer unentgeltlich zur Verfügung. Einschließlich einer dreitägigen Sonderausbildung von Filialleitern und Kassierern in seinem Augsburger Probegeschäft.
Alfred Wegner verdient trotzdem sein Geld. Gerührt von so viel Uneigennützigkeit kaufen ihm seine merkantilen Schüler die für den BDS-Betrieb nötigen Spezialaufrechnungsmaschinen der National Cash Register Company ab. Das Stück für 4500 DM.