AUTOINDUSTRIE Moral vergessen
Es hätte ein interessanter Prozeß werden können gegen den ehemaligen Abteilungsleiter der Mercedes-Benz AG, Hans Dieter Fink. 23 Zeugen sollten vor der 8. Großen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart in den kommenden Wochen gehört werden. Die Beweisaufnahme versprach einen tiefen Blick in das Innere des deutschen Edelkonzerns.
Immerhin wollte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten Untreue in 29 Fällen, 4 Erpressungen und eine versuchte Erpressung nachweisen.
Sie brauchte es nicht. Mit einem pauschalen Geständnis zu seinen eigenen Lasten ("Ich habe einfach Moral und Anstand vergessen") erfreute Fink seinen Richter Udo Heissler schon am ersten Prozeßtag. Der hielt nunmehr die Beweisaufnahme für überflüssig. Nach den Plädoyers von Staatsanwalt und Verteidiger, der lediglich um etwas weniger als die von der Staatsanwaltschaft geforderten fünf Jahre und neun Monate bat, wurde Fink am zweiten Tag zu fünf Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt.
»Eine Farce« sei der ganze Prozeß gewesen, urteilte hernach ein beteiligter Rechtsanwalt - aber eine, die ganz im Sinne von Finks ehemaligem Arbeitgeber ist. Mercedes konnte jedenfalls nicht daran gelegen sein, gerade jetzt, da der Umfall der A-Klasse am Image kratzt, an zweifelhafte Graumarktgeschäfte erinnert zu werden, bei denen auch das Unternehmen selbst eine wenig rühmliche Rolle spielt.
Vor fast sieben Jahren hatte der Konzern mit dem Stern schon einmal Ärger mit einem neuen Modell: Im Frühjahr 1991 führte Mercedes die neue S-Klasse ein - und erntete für das allzu groß und bräsig geratene Produkt nur Hohn und Spott.
Die Halde unverkäuflicher Spitzenlimousinen wuchs und mit ihr die Versuchung, sie mit zweifelhaften Methoden abzubauen. Daran war beileibe nicht nur Fink, der Verkaufsleiter für die GUS-Staaten, beteiligt. Er tat sich nur dadurch hervor, daß er auch noch privat in die Kasse griff.
Auch ohne Beweis, den eine Zeugenbefragung erbracht hätte, ist die Staatsanwaltschaft im Fall Fink zu dem Ergebnis gekommen, daß der Angeklagte nicht aus eigenem Antrieb den Weg auf den grauen Markt gewählt hat. Mercedes bestreitet das entschieden.
Eine Darlegung dieses Sachverhalts in aller Öffentlichkeit hätte für Mercedes gravierende Folgen haben können. Der Verkauf über die grauen Händler und die dabei gewährten Rabatte verstoßen eindeutig gegen die strengen Wettbewerbsregeln, die für das Vertriebssystem im Automobilgeschäft gelten. Ein eventueller Verstoß könnte den Stuttgarter Autobauern massiven Ärger mit dem Kartellamt einbringen.
Trotz dieser Gefahr schloß die Mercedes-Zentrale in ihrer Not Lieferverträge mit obskuren Autohändlern ab, die am Weiterverkauf der über den normalen Handel nicht absetzbaren Limousinen vor allem nach Fernost Millionen verdienen konnten. In Hongkong und anderswo ist die S-Klasse doppelt so teuer wie in Europa.
So bestätigte etwa Mercedes-Benz am 20. Juli 1993 eine Liefervereinbarung mit einem niederländischen Graumarkthändler. Nicht nur Fink, sondern auch sein damaliger Vorgesetzter Peter Rau sagten den Holländern zu, von Januar bis November 1994 jeden Monat 50 Modelle S 300, 20 S 500 und 30 S 600 mit langem Radstand zu liefern. Provision und Nachlaß für die 200 000-Mark-Karossen: 22 Prozent.
In den Verträgen wurde vermerkt, daß »die Fahrzeuge ausschließlich für die russische Föderation« bestimmt seien. In einem solchen Fall war das Geschäft legal und mit dem Kartellrecht vereinbar, denn in den GUS-Staaten gab es damals noch kein Vertragshändlernetz.
»Doch jeder wußte oder konnte schon wegen der großen Zahl wissen«, so ein Insider, »daß diese Fahrzeuge nie und nimmer in Rußland landen würden.« Immerhin gab Mercedes, so wollen Marktexperten wissen, in den Jahren 1992 und 1993 zwischen 15 000 und 20 000 S-Klasse-Autos direkt von Stuttgart aus auf den grauen Markt.
Trotz der geräuschlosen Verurteilung Finks sind die zwielichtigen Graumarktzeiten noch nicht ganz erledigt.
Zwar stoppte Mercedes Anfang 1994 die dunklen Geschäfte, nachdem Vertragshändler von den hohen, von der Zentrale gewährten Nachlässen für graue Konkurrenten Wind bekommen hatten.
Aber jetzt bestehen die Holländer darauf, daß die seinerzeit abgeschlossenen Lieferverträge erfüllt werden. Immerhin stehen allein für die Grauhändler im Nachbarland noch 1100 S-Klasse-Limousinen mit 22 Prozent Rabatt aus.
Die Niederländer wollen vor Gericht 20 Millionen Mark Schadensersatz von Mercedes erstreiten. Dann muß sich die Stuttgarter Justiz doch noch ausgiebig mit dem Fall beschäftigen.
[Grafiktext]
Mercedes-S-Klasse-Verkauf
[GrafiktextEnde]