Müllchaos Neapels Dreck-Geschäfte mit Deutschland

In Neapel türmen sich die Abfallberge - deshalb exportiert Italien die brisante Ware nach Norden. Ganze Zugladungen voller Hausmüll rollen täglich über den Brenner. Wichtigster Abnehmer ist Deutschland - für die Entsorgungsfirmen ein willkommenes Zusatzgeschäft.
Von Michael Braun

Rom - Italiens Ministerpräsident Romano Prodi hat ein peinliches Problem. In Neapel stapeln sich die Abfälle - und ganz Europa drängt auf eine Lösung. Denn der Müll verstopft nicht nur die Straßen der süditalienischen Stadt. Er wird auch im großen Stil ins Ausland exportiert, namentlich nach Deutschland.

Entsprechend deutlich wird Prodi: "Ein für alle Mal" will er den Zustand beenden, der seit 14 Jahren regelmäßig wiederkehrt. Vor allem jedoch möchte er, dass Italien bei der Beseitigung des Abfalls endlich "autonom" wird. Mit anderen Worten: Italien muss mit seinem Müllproblem selbst fertig werden - ohne Hilfe aus dem Ausland.

Schon vor einem Jahr hatte der Regierungschef drastische Worte gefunden: Es müsse Schluss sein mit den "Zügen der Schande". Gemeint sind die Züge, die seit sieben Jahren in die immer gleiche Richtung fahren: nach Norden, über den Brenner, hin zu deutschen Müllentsorgungsanlagen. Die Konvois bestehen in der Regel aus 22 Waggons, jeder beladen mit einem See-Container. Insgesamt macht das 500 bis 600 Tonnen Hausmüll - pro Lieferung.

Begonnen hat der Dreck-Export im April 2001. Damals hatte sich der – auch heute noch amtierende – Gouverneur der Region Kampanien, Antonio Bassolino, mit einem Nothilfe-Ersuchen an die nordrhein-westfälische Landesregierung gewandt. Das Ziel: Unterstützung bei der unkontrollierbaren Lage an der Müllfront. NRW antwortete gern: Während in ganz Kampanien keine einzige Müllverbrennungsanlage zur Verfügung steht, haben deutsche Entsorger das gegenteilige Problem - ihre Anlagen sind nicht ausgelastet.

Geheime Kommandosache

Seitdem sind die Züge der Ecolog – eine Tochter der italienischen Staatsbahn – unterwegs. Der grenzüberschreitende Transport wird als geheime Kommandosache behandelt. Offiziell äußert sich die Firma nicht zum Deutschland-Geschäft. Auch beim Mutterkonzern, der Staatsbahn, hält man sich bedeckt.

Nur unter dem Schutz der Anonymität bestätigt ein Ecolog-Manager, dass Tag für Tag zwei Züge im Einsatz sind. Das macht gut 1000 Tonnen Müll - rund ein Siebtel der 7200 Tonnen, die in Kampanien täglich anfallen. Der Insider verrät auch, was den italienischen Staat die Entsorgung in Deutschland kostet: 170 bis 200 Euro pro Tonne inklusive Transport. Pro Tag sind das gut 200.000 Euro.

Am Anfang fuhren die Züge nach Düsseldorf und Hameln, heute haben sie es noch ein Stück weiter. Vom Golf von Neapel geht der Müll zum einen an die Nordseeküste, zum anderen nach Sachsen. Einer der Abnehmer ist Remondis, Deutschlands größter privater Entsorger mit Sitz in Lünen. Sprecher Michael Schneider ist fast so diskret wie seine italienischen Geschäftspartner. Die täglichen Liefermengen beziffert er auf "weit unter 1000 Tonnen".

"Tal quale - es ist, wie es ist"

Beseitigt werden die Abfälle in der Müllverbrennungsanlage Bremerhaven. Dabei gehe es um Hausmüll der besonderen Art, sagt Schneider: völlig ungetrennt. Vom Turnschuh über Spaghettireste bis zu Papier und Weinflaschen finde sich darin alles. "Für unsere hoch moderne Anlage kein Problem, wir kriegen das mit sehr geringem Schadstoffausstoß entsorgt."

Auch Günter Lohmann, Geschäftsführer der Westsächsischen Entsorgungs- und Verwertungsgesellschaft, hat kein Problem mit dem unsortierten Abfall. "Tal quale" – "es ist, wie es ist", sagen italienische Entsorgungsexperten zu dem stinkenden Einerlei. Mit dem Zug rollt der Müll zur Deponie Cröbern vor den Toren Leipzigs. Dort hat die WEV im Sommer 2005 die größte mechanisch-biologische Anlage zur Müllbeseitigung in Deutschland eröffnet. Haupt-Rohstoff ist der gründlich-deutsch vorsortierte Müll aus dem Großraum Leipzig, aber seit Mitte letzten Jahres ist Lohmann auch mit den Italienern im Geschäft. Im Durchschnitt kommt täglich ein Zug an.

Den Leipzigern kamen die Lieferungen wie gerufen. Sie helfen, die gigantische Anlage auszulasten. "Neben dem Geschäftlichen sehen wir das aber auch als Hilfsaktion", sagt Müll-Manager Lohmann. Die sächsischen Landesbehörden stellen der WEV auf der Grundlage der Notstandsdekrete in Kampanien Genehmigungen für den Import aus.

Umweltschützer fordern Verbrennungsanlagen in der Region

Mit genau diesem Geschäft will Regierungschef Prodi jetzt Schluss machen. Dabei gab es schon Zeitungsmeldungen, wonach in Deutschland eine neue Müllverbrennungsanlage extra für den kampanischen Müll gebaut werden solle. Es war der "Corriere della Sera", der das Gerücht in die Welt setzte: Demnach plane Remondis an der Grenze zu Luxemburg die Errichtung einer neuen Anlage, um dann sämtlichen Abfall aus Neapel und der Region Kampanien zu importieren. "Definitiv Unfug", sagt Unternehmenssprecher Schneider. Die Müll-Misere in Süditalien sei doch nur ein "temporäres Phänomen".

Ein temporäres Phänomen, das schon sieben Jahren besteht. Dabei sind es nicht einmal die hohen Kosten, die in Italien für Irritation sorgen - 200 Euro pro Tonne sind noch billig gegenüber den 290 Euro, die der Staat für die notdürftige Mülllagerung in Kampanien locker machen muss. Als "Züge der Schande" gelten die grenzüberschreitenden Mülltransporte vor allem deshalb, weil sie zum Ausweis der Unfähigkeit Kampaniens, ja ganz Italiens wurden. Der Umweltverband Legambiente fordert deshalb ein schnelles Ende der Abfallverschickung. Stattdessen solle endlich ein modernes Entsorgungskonzept mit konsequenter Mülltrennung, mit Verbrennungsanlagen in der Region, mit neuen Kompostieranlagen her.

Bis die gebaut sind, will die Regierung wenigstens auf Müll-Nahverkehr herunterschalten. Am Mittwoch lud Prodi die Gouverneure aller italienischen Regionen zum Notstandsgipfel. Doch seine Bitte um Krisenhilfe stieß auf taube Ohren: Die norditalienischen Regionen sperren sich gegen den Plan, Müll aus Neapel abzunehmen.

Vorerst werden die Züge nach Deutschland weiterfahren.

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