Henrik Müller

Welthandel Das Ende der Globalisierung

Die Gegner des freien Handels gewinnen weltweit Einfluss auf die Politik. Die Folgen werden schwerwiegend sein - gerade für die Exportnation Deutschland.
Demonstration gegen TTIP (Archiv)

Demonstration gegen TTIP (Archiv)

Foto: Tobias Hase/ dpa

Als Globalisierungsgegner war man lange in einer relativ bequemen Position. Man konnte die Auswüchse des internationalen Wettbewerbs thematisieren. Man konnte sich über Lohn-, Steuer- oder Währungsdumping aufregen und internationale Handelsabkommen wie TTIP, Ceta oder den USA-Asien-Pakt Trans-Pacific Partnership (TPP) ablehnen. Die Globalisierung ging trotzdem weiter.

Der internationale Austausch gedieh, Handelsströme wuchsen schneller als die Wirtschaft insgesamt, Kapitalverflechtungen nahmen zu. Die Globalisierungsgegner konnten darauf hoffen, einen Beitrag zur Verbesserung der Globalisierung zu leisten, ohne sie im Kern zu gefährden. Insofern stellten sie ein wertvolles politisches Gegengewicht zu den Interessen internationaler Konzerne dar.

Vom Handelspartner zum Feindbild

Inzwischen aber wird die Sache ernst. Die Gegner der Globalisierung haben in vielen Ländern Einfluss auf die Politik gewonnen. Beschränkungen des Welthandels greifen schleichend um sich. Länder wie Russland oder Indien schützen gezielt ausgewählte Wirtschaftszweige.

In den USA hat Donald Trumps Kampagne gegen China und Mexiko dafür gesorgt, dass internationale Wettbewerber zu Feindbildern stilisiert werden. In den deutschsprachigen Ländern ist das USA-EU-Abkommen TTIP faktisch gescheitert. Dennoch beginnt am heutigen Montag eine neue Verhandlungsrunde.

Die veränderte politische Stimmung schlägt sich inzwischen in Zahlen nieder. Der Welthandel nimmt kaum noch zu. Bei der Herbsttagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank, deren Vorprogramm am Dienstag in Washington beginnt, wird die lahmende Globalisierung eines der großen Themen sein. Vorab hatte der IWF eine Analyse veröffentlicht, wonach der Austausch von Waren und Dienstleistungen zwischen 2012 und 2015 nur halb so schnell gewachsen ist wie im Durchschnitt der Jahrzehnte seit 1960.

Ein neues Muster wird erkennbar: Früher brach der internationale Handel in Rezessionsphasen ein, erholte sich dann aber rasch; im Schnitt der vergangenen fünf Jahrzehnte wuchs der Welthandel etwa doppelt so schnell wie die Wirtschaft insgesamt. Das ist vorbei. Seit 2012 hält der internationale Austausch kaum noch mit der Wirtschaftsentwicklung schritt.

Für Deutschland ist dieser Trend heikel. Er stellt das exportorientierte, industrielastige Wirtschaftsmodell infrage. Besonders betroffen vom schwachen Handel sind laut IWF Investitionsgüter, eine deutsche Spezialität (Achten Sie Mittwoch auf Reaktionen bei der Tagung des Groß- und Außenhandelsverbands und die Einschätzung der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer sowie am Donnerstag auf den Tag der deutschen Industrie).

Der Brexit wird Spuren hinterlassen

Die Schwäche der Globalisierung hat insbesondere zwei Gründe. Zum einen ist in vielen Schwellenländern, gerade in China, die Phase der raschen Industrialisierung vorbei. Diverse Märkte sind gesättigt, die Investitionsdynamik lässt nach. Die Schwellenländer können inzwischen vieles selbst produzieren, sodass der Bedarf an Importen aus hochentwickelten Volkswirtschaften wie Deutschland abnimmt.

Zum anderen nimmt auch die politische Entschlossenheit zu, heimische Produzenten vor internationaler Konkurrenz zu schützen. Einschränkungen für ausländische Produkte erschweren aber die grenzüberschreitende Arbeitsteilung. Behörden zwingen internationale Konzerne, einen Großteil der Wertschöpfung vor Ort zu erbringen. Wenn Großbritannien - die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU - den europäischen Binnenmarkt verlassen sollte, wird auch das Spuren im Welthandel hinterlassen.

Der Preis für diese Entwicklungen wird hoch sein. Nicht nur für Deutschland, das wie keine andere der großen Volkswirtschaften in den Weltmarkt integriert ist. Auch für die weltweite Entwicklung wird der stockende Handel zum Problem. So sehr die Globalisierung der Güter- und Kapitalmärkte in den vergangenen Jahren in Verruf gekommen ist, so klar ist auch, dass Wohlstandszuwächse bei geschlossenen Grenzen kaum möglich sind.

Es stimmt schon: Durch internationalen Wettbewerb kommen die Löhne für einige Gruppen von Beschäftigten unter Druck. Ein Problem, das Europas umverteilende Sozialstaaten übrigens besser in den Griff bekommen als die USA und viele Schwellenländer.

Neue Abkommen sind für lange Zeit nicht durchsetzbar

Aber ein Ende der Globalisierung würde nach aller historischen Erfahrung das Wohlstandsniveau insgesamt senken. Die Produktivität steigt schon jetzt kaum noch. Falls die Welt in eine Protektionismusspirale abglitte, gäbe es für Politiker weltweit noch weniger zu verteilen. Umso größer würde der Unmut. Wer hofft, durch Handelsschranken Jobs zu sichern und Lebensstandards zu steigern, muss damit rechnen, das Gegenteil zu erreichen.

Um den internationalen Austausch weiter anzuregen, wären neue Abkommen hilfreich. Damit ließen sich auch Folgen und Nebenwirkungen der Globalisierung eindämmen. Die Finanzminister und Notenbankchefs der G20-Staaten, die sich Freitag in Washington treffen, sollten sich damit beschäftigen. Politisch durchsetzbar sind derlei Verträge jedoch vermutlich für lange Zeit nicht mehr.

Das EU-Kanada-Abkommen Ceta soll noch durch die Parlamente aller EU-Staaten und auch durch das eine oder andere Regionalparlament gebilligt werden - ein hürdenreiches Unterfangen, bei dem vieles schiefgehen kann. Gegen TTIP steht in Europa, zumal in Deutschland, eine breite Front von Gegnern.

Wer Hillary Clinton und Donald Trump in ihrem ersten TV-Schlagabtausch als Kandidaten beobachtet hat (achten Sie auf die zweite Runde kommenden Sonntag), konnte den Eindruck gewinnen, die offene Weltwirtschaft sei die größte Bedrohung für Amerika. Beide Kandidaten malten ein düsteres Bild: ein Land im Zustand des Verfalls, herausgefordert von unfairen Handelspartnern. Die Fakten widersprechen dieser extrem pessimistischen Perspektive; insbesondere die Entwicklung am US-Arbeitsmarkt ist inzwischen durchaus erfreulich.

Doch in diesem Klima hat das eigentlich unterschriftsreife US-Asien-Abkommen TTP keine Chance. Egal, wer im November die Wahl gewinnt.

Die wichtigsten Wirtschaftstermine der Woche

MONTAG

New York - Hauptsache reden - Obwohl die politischen Chancen des Inkrafttretens schwinden, verhandeln die USA und die EU weiter über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP.

DIENSTAG

Washington - Trübe, lahme Welt - Vor der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank legt der Fonds seine aktuelle Prognose für die Weltkonjunktur vor. Warnungen, das der lahme Welthandel zur Wohlstandsbremse wird, hat der IWF bereits vorab veröffentlicht.

MITTWOCH

Berlin - Sorgen des Exportmeisters I - Unternehmertag des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen. Mit dabei: Angela Merkel, Sigmar Gabriel sowie BA-Chef Frank-Jürgen Weise.

Washington - Casino global - Vor der Jahrestagung von IWF und Weltbank stellt der Fonds seinen neuen Bericht zur Finanzstabilität vor. IWF-Chefin Christine Lagarde und Weltbank-Chef Jim Yong Kim diskutieren Lage und Aussichten.

Frankfurt am Main - Sorgen des Exportmeisters II - Der Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) blickt auf 2017.

DONNERSTAG

Berlin - Sorgen des Exportmeisters III - Tag der Deutschen Industrie des BDI, unter anderen mit Merkel, Gabriel und BDI-Chef Ulrich Grillo.

Washington - Zur Lage der Welt - Offizieller Startschuss zur Jahrestagung von IWF und Weltbank. Mit dabei: Christine Lagarde, Jim Yong Kim und Bank-of-England-Chef Mark Carney.

FREITAG

Washington - Wer regiert die Welt - Am Rande der Jahrestagung von IWF und Weltbank treffen sich die G20-Finanzminister und Notenbankchefs. Mit dabei: Wolfgang Schäuble und Bundesbank-Chef Jens Weidmann.

Berlin - Ready for take-off? - Aufsichtsratssitzung der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg: Wird nun tatsächlich über einen Eröffnungstermin für den Hauptstadtflughafen entschieden?

Essen - Neue Energie - Nach der Aufspaltung von RWE soll nun die Tochter Innogy an die Börse.

SAMSTAG

Washington - Sprechen für Deutschland - Jahrestagung von IWF und Weltbank: Schäuble und Weidmann erklären sich der Presse. Am Rande äußern sich auch der Bundesverband deutscher Banken und der Deutsche Sparkassen- und Giroverband.

SONNTAG

St. Louis - Schlagabtausch - Zweite TV-Debatte zwischen Hillary Clinton und Donald Trump.

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Institut für Journalistik, TU Dortmund

Henrik Müller ist Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus an der Technischen Universität Dortmund. Zuvor arbeitete der promovierte Volkswirt als Vizechefredakteur des manager magazin. Außerdem ist Müller Autor zahlreicher Bücher zu wirtschafts- und währungspolitischen Themen. Für den SPIEGEL gibt er jede Woche einen pointierten Ausblick auf die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der Woche.

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