
Zur Zukunft der EU Wie wir den Euro - und damit Europa retten können


Pro-EU-Geste am Rande einer Kundgebung in Warschau (Archivbild)
Foto: Alik Keplicz/ APDie Briten gehen, und die übrigen 27 Staaten haben sich geschworen zusammenzubleiben. Nun wollen sie die EU umbauen, damit sie ihr Versprechen auch halten können. Kann das gelingen?
Es wird spannend für Europa. Wieder einmal.
Ein Diskussionsprozess hat begonnen. Nach und nach werden in den kommenden Monaten immer neue Ideen auf den Markt kommen. Viel Papier, viele wohlklingende Absichten.
Entscheidend aber wird am Ende eine einzige Frage sein: Können sich die Nationen der Eurozone dazu durchringen, eine echte Währungsunion zu schaffen?
Wenn das gelänge, würden sie beweisen, dass es einen harten Kern Europas gibt, der unverbrüchlich zusammenbleiben will. Und wenn es schiefgeht? Dann würden sich die Chancen für die EU insgesamt rapide verschlechtern.
Der Euro ist nicht nur Geld
Die Eurozone ist der Testfall für jenes Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten, wie es die Regierungschefs der verbleibenden 27 EU-Staaten voriges Wochenende beim feierlichen Jubiläumsgipfel in Rom in Aussicht gestellt haben.
Der Euro - das ist nicht nur Geld. Das ist das Projekt, bei dem das Zusammenwachsen am weitesten fortgeschritten ist: Ein Teil der EU, derzeit 19 Mitgliedstaaten, hat einen wichtigen Teil der Souveränität aufgegeben, nämlich die nationalen Währungen. Aber sie haben eine Konstruktion geschaffen, die zu wacklig ist, als dass sie auf Dauer Bestand haben dürfte.
Kracht die Eurozone doch noch zusammen, dann wird das Signalwirkung auf andere Politikfelder haben, die derzeit ebenfalls als Kandidaten für eine engere Zusammenarbeit einzelner Staatengruppen gehandelt werden. Verteidigungspolitik? Verbrechensbekämpfung? Schutz der Außengrenzen? All das dürfte kaum Chancen auf Realisierung haben, wenn schon der gemeinsame Währungsraum - vor 25 Jahren beschlossen, vor 18 Jahren begonnen, seit sieben Jahren in der Krise - nicht anständig funktioniert.
An der Eurozone zeigt sich, woran es Europa insgesamt gebricht, woran auch eine enge Integration auf anderen Politikfeldern scheitert: Es fehlt eine eigene demokratische Legitimation, eine eigene Bürgervertretung. Und eben deshalb fehlen jene Mechanismen, die andere Währungsräume ganz selbstverständlich besitzen:
- ein automatischer Ausgleich zwischen wachsenden und kriselnden Regionen durch ein gemeinsames Budget, beispielsweise eine übergreifende Arbeitslosenversicherung;
- eine möglichst klare Zuweisung von Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen zwischen der regionalen und der gemeinschaftlichen Ebene inklusive der teilweisen Übertragung von Hoheitsrechten, wodurch es möglich wird, gemeinsame Regeln einheitlich durchzusetzen.
In der Eurozone gibt es dergleichen nicht, weil es keine zentrale Institution gibt, die den Volkswillen repräsentiert, vulgo: ein Parlament. Umverteilung von Geld, die Erhebung von Steuern, die Aufnahme von Schulden - was eben so nötig ist, um staatliche Aufgaben wahrzunehmen -, ist in Demokratien nur möglich, wenn die Bürger angemessen repräsentiert sind.
Ein System, das Unfrieden zum Arbeitsprinzip erhebt
Weil es keine gemeinsame Volksvertretung gibt, ist auch die wichtigste Institution der Eurozone, der Rettungsfonds ESM, ein Vehikel der Eurostaaten - und nicht der EU. Gelenkt und überwacht wird der ESM von den nationalen Regierungen, das EU-Parlament bleibt außen vor. Da es aber um die Umverteilung von finanziellen Risiken in Höhe von bis zu 500 Milliarden Euro geht, haben die nationalen Parlamente, etwa der Deutsche Bundestag, dabei mitzureden. Eigentlich ein unhaltbarer Zustand.
Um den Laden halbwegs zusammenzuhalten, setzt die Eurozone auf Koordinierung nationaler Politik - nicht auf Integration zu einheitlicher europäischer Politik.
Die mangelnde Repräsentation der Bürger auf überstaatlicher Ebene in Europa setzt der Integration Grenzen. Die Souveränität verbleibt auf nationaler Ebene.
So kommt es, dass die Regierungen quasi-souveräner Einzelstaaten regelmäßig übereinander zu Gericht sitzen, allerlei Politikmaßnahmen bewerten und notfalls sogar Strafen gegeneinander verhängen. (Achten Sie auf das Euro-Gruppen-Treffen am Freitag.) Ein System, das Unfrieden und den permanenten Schlagabtausch zwischen den Mitgliedstaaten zum Arbeitsprinzip erhebt - und dennoch nicht befriedigend funktioniert.
Europa hat nur eine Chance auf einen Neustart
Ohne Eurozonen-weite Umverteilungsmechanismen sind ökonomische Spannungen, die innerhalb einer Währungsunion unweigerlich auftreten, kaum lösbar. Spannungen, die wiederum fast automatisch zu politischen Konflikten führen. In der Eurozone ist das offensichtlich: Gravierende ökonomische und soziale Ungleichgewichte - gigantische private und öffentliche Schulden, hohe Arbeitslosigkeit (Montag gibt's neue Zahlen vom Euro-Arbeitsmarkt) - bleiben über Jahre bestehen. Die Folgen: Ärger, Frust, Zoff - obwohl der Euro doch eigentlich zur permanenten Befriedung eines einstmals in grausame Kriege verstrickten Kontinents beitragen sollte.
Natürlich, seit 2010 ist eine Menge passiert in Europa. Ganze Gesellschaften haben sich zurück zur Wettbewerbsfähigkeit gespart. Ein umfangreicher Mechanismus ist entstanden, mittels dessen die EU-Kommission alle irgendwie wirtschaftsrelevanten Politikbereiche zentral kontrolliert ("Europäisches Semester"). Die Europäische Zentralbank (EZB) hat auf eigene Faust ihren Aktionsradius bis hart an die Grenzen der Legalität ausgedehnt, so weit, dass sie die Verfehlungen der Politik eine Zeit lang ausbügeln konnte. Aber all das genügt nicht.
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09.06.2023 01.02 Uhr
Keine Gewähr
Die politischen Rückwirkungen der Dauerkrise bedrohen inzwischen das gesamte Projekt: Populistische Politiker, die den Rückzug ins Nationale predigen und aus dem Euro aussteigen wollen, haben inzwischen realistische Chancen, an die Macht zu kommen. Möglich, dass der Diskussionsprozess mit einer Wahl Marine Le Pens zur französischen Staatspräsidentin im Mai ein jähes Ende nimmt.
Aber möglich ist eben auch das Gegenteil: ein Neustart für Europa mit einem neuen französischen Staatschef Emmanuel Macron. Es wäre womöglich die letzte Chance, den Euro auf ein solides Fundament zu stellen.
Die wichtigsten Wirtschaftstermine der Woche
MONTAG
Luxemburg - Arbeitet Europa? - Europas Statistikbehörde Eurostat veröffentlicht neue Zahlen zur Arbeitslosigkeit.
DIENSTAG
Frankfurt am Main - Mittlere Note - Die EZB bringt den neuen 50-Euro-Schein in den Umlauf.
Brüssel - Zukunftsfragen - EU-Bürgerparlament: 751 Bürger debattieren im Europaparlament über die Zukunft Europas.
Brüssel - Hilfe für ein geschundenes Land - Beginn der internationalen Syrien-Geberkonferenz.
MITTWOCH
Berlin - Verdammt viel Wandel - Arbeitsmarktpolitische Tagung anlässlich des 50. Gründungsjubiläums des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), des Thinktanks der Bundesagentur für Arbeit. Mit dabei: Sozialministerin Nahles, DGB-Chef Hoffmann, Handwerkspräsident Wollseifer (SPD) und Kardinal Marx.
DONNERSTAG
Düsseldorf - Global Digital - Unter deutschem Vorsitz treffen sich die "Digitalminister" der G20-Staaten. Einladende ist Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries.
Frankfurt am Main - Draghi stellt sich seinen Kritikern - Konferenz "The ECB and Its Watchers". EZB-Präsident Mario Draghi hält die Eröffnungsansprache.
Buenos Aires - Populismus-Zyklus - Argentiniens Präsident Macri hat nach der Jahren der Kirchner-Regierung die Wirtschaft und die Inflation bislang nicht in den Griff bekommen können. Nun reagieren die Gewerkschaften - mit einem Generalstreik.
FREITAG
Valletta - Immer wieder Griechenland - Die Eurofinanzminister tagen auf Malta. Es sieht so aus, als ob der Streit um die Auszahlung der nächsten Milliardenkredite auch dieses Treffen bestimmen wird.
SAMSTAG
Hamburg - Gegen Reden - Internationale Aktionskonferenz der Gegner des G20-Gipfels im Sommer in Hamburg (bis Sonntag).
SONNTAG
Lucca/Rom - G7-Action - Die Außenminister und die Energieminister der G7-Staaten treffen sich in getrennten Runden in Italien.