Nabucco-Pipeline Europa emanzipiert sich von russischem Gas
Ankara - Die Verhandlungen haben sich jahrelang hingezogen, an diesem Montag sind sie nun zu einem Abschluss gekommen: Mehrere europäische Staaten haben in der türkischen Hauptstadt Ankara ein Abkommen unterzeichnet, das den Bau der strategisch wichtigen Nabucco-Pipeline besiegelt. Die Leitung soll durch die Türkei verlaufen und Europa mit asiatischem Erdgas versorgen. Das Ziel: mehr Unabhängigkeit von Russland.

Arbeiter an einer Gasanlage bei Istanbul (Archiv): "Von entscheidender Bedeutung für Europas Energiesicherheit"
Foto: Murad Sezer/ APProminenter Befürworter von Nabucco ist der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer. Der Grünen-Politiker ist seit kurzem politischer Berater des Projekts.
Nabucco führt entlang des gesamten Röhrenverlaufs an Russland vorbei. Moskau lehnt den Bau daher ab und plant ein Konkurrenzprojekt: Southstream - eine Pipeline, die russisches Gas über das Schwarze Meer nach Europa liefern soll. Experten fürchten, dass keine der beiden Leitungen rentabel sein wird, solange es die jeweils andere gibt.
Ein weiteres Konkurrenzvorhaben zu Nabucco ist das Gazprom -Projekt Nordstream, das russisches Erdgas über die Ostsee nach Deutschland transportieren soll. Pikant dabei: Aufsichtsratschef von Nordstream ist Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Die ehemaligen rot-grünen Koalitionspartner setzen sich damit für konträre Energieprojekte ein: Schröder pro-russisch, Fischer anti-russisch.
Nabucco wird eine Länge von gut 3000 Kilometern haben. Die Pipeline soll ab 2013 oder 2014 Gas vom Kaspischen Meer bis nach Mitteleuropa transportieren.
Konkret sind an der Pipeline fünf Transitstaaten beteiligt: die Türkei, Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Österreich. Am Montag kamen Regierungsvertreter dieser Staaten in Ankara zur feierlichen Vertragsunterzeichnung zusammen. Dabei wurden die letzten staatlichen Hürden für den Bau aus dem Weg geräumt. Die Bundesregierung schickte zu der Unterzeichnung in Ankara Beobachter. An dem Projekt ist auch der deutsche Energiekonzern RWE beteiligt.
Mit dem Vertrag erhält das Projekt nach Aussage der beteiligten Staaten eine solide rechtliche Grundlage. Die fünf Staaten verpflichten sich, die Durchleitung von Erdgas unter keinen Umständen zu behindern. Damit soll eine Unterbrechung der Lieferungen wie im Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine verhindert werden.
Die Vereinbarung sieht außerdem vor, dass die Nabucco-Pipeline den Transport von Gas nicht nur von Ost nach West, sondern auch in umgekehrter Richtung ermöglicht. Ankara will sich damit die Möglichkeit eröffnen, Erdgas künftig aus Algerien oder Norwegen einzuführen. Die Türkei geht davon aus, jährlich bis zu 450 Millionen Euro Einnahmen aus dem Gas-Transit zu haben.
Die Gesamtkosten für Nabucco belaufen sich auf bis zu acht Milliarden Euro. Die Europäische Union unterstützt das Projekt mit Zuschüssen und Krediten. "Nabucco ist von entscheidender Bedeutung für Europas Energiesicherheit", erklärte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Die EU hofft, fünf bis zehn Prozent ihres Gasbedarfs über die Pipeline decken zu können.
Woher soll das Gas kommen?
Eine entscheidende Frage konnte aber auch am Montag nicht geklärt werden: Woher soll das Gas für Nabucco kommen? Die Europäer hoffen auf zentralasiatische Quellen, zum Beispiel aus Turkmenistan, Usbekistan und Kasachstan. Feste Zusagen gibt es aber nicht - zumal auch China, Pakistan und Indien großes Interesse an den zentralasiatischen Vorkommen haben.
Sicher dabei ist nur Aserbaidschan. Die Lieferungen aus dem kleinen Land dürften allerdings kaum ausreichen, um die Pipeline zu füllen. Langfristig soll Nabucco jährlich 31 Milliarden Kubikmeter Gas aufnehmen - Aserbaidschan kann vermutlich nur vier Milliarden Kubikmeter bereitstellen. Ein möglicher Partner wäre Iran - das Land verfügt über enorme Gasvorkommen. Wegen der angespannten politischen Beziehungen gilt Iran jedoch nicht gerade als Wunschlieferant.
Immerhin: Turkmenistan kommt den Nabucco-Betreibern immer stärker entgegen. Das energiereiche Land verfügt nach jüngsten Untersuchungen von Geologen über genug Erdgas, um sich an möglichen Lieferungen nach Europa zu beteiligen. Das habe der turkmenische Präsident Gurbanguly Berdymuchammedow in der Hauptstadt Aschchabad gesagt, meldete die Agentur RIA Nowosti am Samstag.
Laut Berdymuchammedow verfügt Turkmenistan über "einen Überschuss an Erdgas, der ins Ausland verkauft werden" könne. Einheimische Geologen hätten in einem neuen Gutachten "riesige Vorräte" festgestellt. Nach offiziellen Angaben lagern allein im turkmenischen Sektor des Kaspischen Meers etwa sechs Billionen Kubikmeter Gas.
Praktischerweise darf an der Erschließung des Felds ein deutscher Energiekonzern mitwirken: RWE hat im April ein Abkommen zur Ausbeutung der Felder geschlossen.