SPIEGEL Gespräch »Nach geltendem Recht sind wir machtlos«
SPIEGEL: Herr Kartte, der Firmenzusammenschluß Daimler-Benz/AEG ist der größte Fusionsfall in der Geschichte der Bundesrepublik und Ihres Amtes. Dürfen die Firmen mit Ihrem Segen rechnen?
KARTTE: Das kann ich Ihnen noch nicht sagen, wir prüfen noch.
SPIEGEL: Das Kartellamt hat bei einem Vorgespräch angeblich bereits eine Genehmigung in Aussicht gestellt.
KARTTE: Wir haben den Daimler-Benz-Leuten in einem informellen Gespräch nur gesagt, daß der Fall nicht von vornherein hoffnungslos erscheint.
SPIEGEL: Aus der Sprache der Kartellbeamten in Umgangsdeutsch zurückübersetzt heißt das: Die Sache geht klar.
KARTTE: Sachte, sachte. Wir haben eine Grobeinschätzung vorweg gegeben. Was da entsteht, ist ein Konglomerat ...
SPIEGEL: ... ein branchenübergreifendes Unternehmen ...
KARTTE: ... richtig, da gibt es sehr wahrscheinlich keine Marktüberschneidungen, deswegen ist der Fall nicht von vornherein hoffnungslos. Wir haben eine ganz klare gesetzliche Vorschrift. Wir müssen nachweisen, daß durch den beabsichtigten Zusammenschluß eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird.
SPIEGEL: Daimler-Benz und AEG ergeben zusammen den größten deutschen Konzern mit 60 Milliarden Mark Jahresumsatz und rund 300 000 Mitarbeitern. Ist da nicht von vornherein zu vermuten, daß Marktbeherrschung entsteht oder verstärkt wird?
KARTTE: Wir haben im Paragraph 23 a des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen seit 1980 unter anderem auch die sogenannte Elefantenhochzeit-Vermutung. Die besagt folgendes: Wenn zwei Unternehmen sich zusammenschließen, die ihrerseits bereits Umsatzmilliardäre sind und durch diesen Zusammenschluß mindestens zwölf Milliarden Umsatz bekommen, dann spricht die Vermutung für Marktbeherrschung.
SPIEGEL: Na bitte ...
KARTTE: Ja, das ist aber nur ein Aufgreif-Kriterium. Die Unternehmen können das widerlegen, und auch wir sind verpflichtet, von Amts wegen zu prüfen, ob nun wirklich die Grundvoraussetzung des Paragraphen 24 des Gesetzes vorliegt. Das heißt: Wir müssen auf jeden Fall Märkte finden, auf denen Marktbeherrschung erlangt oder verstärkt wird. Da hilft gar nichts. Wir sind ja keine freischaffenden Künstler, sondern eine rechtsanwendende Behörde.
SPIEGEL: Wie verläuft denn so eine Prüfung?
KARTTE: Wir haben dicke Bücher über die Verhältnisse auf jedem einzelnen Markt oder Teilmarkt, auf dem Daimler-Benz und die AEG tätig sind. Und die prüfen wir jetzt der Reihe nach durch. Außerdem führen wir natürlich Gespräche mit anderen Unternehmen, die auf diesen Märkten tätig sind. Wir hören uns um, das wird einige Zeit dauern.
SPIEGEL: Erhält Daimler-Benz die frohe Botschaft noch vor Weihnachten?
KARTTE: Ob die Botschaft froh ist oder nicht, will ich mal offenlassen, aber ich denke, daß wir erst im neuen Jahr eine Botschaft haben.
SPIEGEL: Greifen wir uns doch mal einige Märkte heraus, den Markt für große Limousinen etwa oder den Lkw-Markt. Hat Daimler-Benz da nicht eine marktbeherrschende Stellung, und wird diese jetzt nicht noch verstärkt?
KARTTE: Bei großen Pkw und bei Lkw hat Daimler-Benz sicher einen sehr hohen Marktanteil. Die Frage ist ja nur, wird eine solche etwa vorhandene marktbeherrschende Stellung jetzt verstärkt?
SPIEGEL: Zweifeln Sie daran? Glauben Sie etwa, der Zukauf von AEG schwächt die Marktposition von Daimler-Benz? Die Zukunft des Autos, das sagen ja auch die Mercedes-Manager ganz deutlich, liegt vor allem in der Elektronik. Und da hat AEG - zumal zusammen mit den Daimler-Töchtern Dornier und MTU - doch einiges zu bieten.
KARTTE: Die AEG hat bei der Auto-Elektronik im Moment jedenfalls noch wenig zu bieten. Da gibt es andere Unternehmen, die sehr viel weiter sind.
SPIEGEL: Sie denken da wohl an Bosch.
KARTTE: Zum Beispiel. Wir können jedenfalls nicht ohne weiteres davon ausgehen, daß Daimler-Benz, wenn es die AEG kriegen sollte, auf Gedeih und Verderb nimmt, was die an Auto-Elektronik entwickelt. Daimler-Benz wird sich im Zweifel da auch weiter am Markt orientieren, so daß eine Verstärkung dieser Bereiche durch die Aufnahme von AEG nicht ohne weiteres zu einer Verstärkung der zugegeben schon starken Position von Daimler-Benz führt. Im _(Stefan Baron und Rudolf Wallraf, vor dem ) _(Kartellamt in Berlin. )
übrigen: AEG kostet Daimler ja auch etwas. Insofern findet ja auch eine gewisse Entreicherung statt.
SPIEGEL: In der Daimler-Kriegskasse liegen neuneinhalb Milliarden Mark, was sind denn da schon anderthalb Milliarden für die AEG?
KARTTE: Wenn ich Entreicherung sage, denke ich nicht mal in erster Linie an dieses Geld. Ich will damit sagen, Daimler-Benz nimmt mit der Beteiligung bei der AEG auch beachtliche Risiken auf sich.
SPIEGEL: Zum Beispiel?
KARTTE: Firmenfusionen sind doch keine Einbahnstraßen zum Erfolg. Das kann auch schiefgehen. Beispiele dafür gibt es zuhauf, in den USA und auch in der Bundesrepublik. Nehmen Sie doch mal den Kauf des Versandhandelsunternehmens Neckermann durch Karstadt oder des Büromaschinenherstellers Triumph-Adler durch VW. Problematisch waren diese Aufkäufe doch wohl in erster Linie für den Aufkäufer und nicht für den Wettbewerb. Oder sehen Sie sich AEG an. Das Unternehmen geriet doch nicht zuletzt an den Rand der Pleite, weil es zu viel durcheinander aufgekauft hatte. Nein, Größe ist nicht notwendigerweise gleich Stärke.
SPIEGEL: Ist es nicht in der Regel so, daß große, finanzstarke Unternehmen andere Unternehmen davon abschrecken, in Wettbewerb mit ihnen zu treten?
KARTTE: Das ist eine sehr umstrittene Frage. Die Aussage, ein Großer schrecke allein durch seine Größe Kleine ab, wird nicht so ohne weiteres durch die Erfahrung bestätigt. Ich sage Ihnen Beispiele: Der Computerhersteller Nixdorf hat sich durch den Multi IBM nicht abschrecken lassen. Oder: Die kleinen Händler, die hier in Berlin um das Kaufhaus des Westens herum sitzen, die fühlen sich sauwohl. Je größer große Unternehmen werden, desto mehr lassen sie auch Marktlücken übrig für Kleine.
SPIEGEL: Das sind doch nur Brosamen. Selbst groß werden können die Kleinen nur sehr selten.
KARTTE: Ich bin da nicht so pessimistisch wie Sie. Die Geschichte der konglomeraten Fusionen, der branchenübergreifenden Unternehmenszusammenschlüsse, ist voll von Mißerfolgen.
SPIEGEL: Wollen Sie damit sagen, der Markt sorge schon immer wieder selbst für ausreichenden Wettbewerb?
KARTTE: Das sage ich nicht unbedingt. Ich sage nur, wenn wir darüber nachdenken, was man im Blick auf diese Konglomerate machen könnte oder sollte, dann muß man auch sehen, daß die Großfusionen vielfach gar nicht gutgegangen sind.
SPIEGEL: Herr Kartte, die Banken haben bei dem Daimler/AEG-Zusammenschluß eine tragende Rolle als Ehestifter gespielt. Die Deutsche Bank kontrolliert jetzt nicht nur Siemens, sondern über Daimler-Benz auch die AEG. Dem Wettbewerb ist das doch wohl kaum förderlich.
KARTTE: Kontrollieren ist wohl etwas zuviel gesagt. Aber die Bank ist in allen drei Aufsichtsräten vertreten. Und im Fall Daimler-Benz/AEG haben vermutlich zwei Männer ein und derselben Bank miteinander verhandelt.
SPIEGEL: Sie meinen den Deutsche-Bank-Sprecher Alfred Herrhausen als Chef-Kontrolleur von Daimler-Benz und den AEG-Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Kuhn, den die Deutsche Bank als Sanierer geschickt hat.
KARTTE: Dazu möchte ich nicht mehr sagen.
SPIEGEL: Können Sie sich vorstellen, daß der Vertreter der Deutschen Bank im Aufsichtsrat von Siemens einem Investitionsvorhaben zustimmt, das die Position der AEG untergräbt?
KARTTE: Wir hoffen natürlich alle, falls es zu der Fusion kommen sollte, daß durch die Stärkung der AEG auch Siemens wieder einen potenten Konkurrenten erhält und insofern der Wettbewerb im Elektrobereich gestärkt wird. _(Bei der Bekanntgabe des Fusionsplans in ) _(Stuttgart. )
SPIEGEL: Dann können Sie sich bei Daimler und bei der Deutschen Bank am Ende womöglich noch bedanken?
KARTTE: Moment mal. Das ist nur die eine Seite. Auf der anderen Seite gibt es die höchst problematischen Verflechtungen über die Aufsichtsräte. Ich will das nicht herunterspielen. Wir werden uns das alles sorgfältig angucken.
SPIEGEL: Und können Sie auch etwas tun?
KARTTE: Aktienrechtlich gesehen ist jeder Aufsichtsrat verpflichtet, für sein Unternehmen das Beste zu tun. Bei AEG ohne Rücksicht auf Siemens und bei Siemens ohne Rücksicht auf AEG. Insofern können wir vom Kartellrecht her wahrscheinlich sehr schwer etwas machen.
SPIEGEL: Muß dann das Recht nicht geändert werden, wenn es den Wettbewerb, so wie es ist, nicht sichern kann?
KARTTE: Ich muß zugeben: Wir haben hier in den letzten Jahren Entwicklungen, die mich beunruhigen.
SPIEGEL: Welche Entwicklungen meinen Sie?
KARTTE: Großbanken, private wie auch öffentliche, sind, was mich sehr schmerzt und was zumindest eine schiefe Optik vermittelt, zunehmend dazu übergegangen, die Fusionskontrolle - wenn auch legal - zu unterlaufen. Sie kennen die Fälle MBB/Krauss-Maffei oder Kaufhof/Metro.
SPIEGEL: MBB übernahm Anteile an Krauss-Maffei, Metro Anteile am Kaufhof.
KARTTE: Da das Kartellamt erst tätig werden kann, wenn ein Unternehmen 25 Prozent an einem anderen übernimmt, begnügte sich Metro mit 24,9 Prozent und MBB mit noch weniger. Befreundete Banken und Unternehmen halten weitere Prozente. Sie überlassen aber offensichtlich Metro und MBB die unternehmerische Führung und stimmen im Aufsichtsrat mit ihnen.
SPIEGEL: Und das Kartellamt guckt in die Röhre?
KARTTE: Ja, das gefällt mir bei den Banken gar nicht. Es ist nicht illegal, das will ich wiederholen. Wenn der Gesetzgeber eine starre Grenze setzt, ist es erlaubt, diese Grenze zu unterschreiten. Nur, die Banken haben bei uns infolge des Universal-Banken-Prinzips ohnehin schon eine enorme Macht. Da muß man von ihnen auch erwarten können, daß sie gefälligst auch die marktwirtschaftliche Ordnung im Hinterkopf haben, wenn sie ihre geschäftlichen Interessen wahrnehmen.
SPIEGEL: Fromme Appelle von Ihnen werden da wenig nützen. Es geht um viel Geld, wen interessieren da ordnungspolitische Bedenken?
KARTTE: Die Unternehmer-Motivationen sind heute nicht mehr so primitiv, wie sie Karl Marx beschrieben hat. Es geht nicht nur um Gewinnmaximierung. Wir wissen heute, daß sich da bei vielen Unternehmen etwas gewandelt hat. Die Banken sollten diese Marktwirtschaft, von der sie leben und die ihnen diese weitgehenden Möglichkeiten gibt, auch im politischen Alltag hochhalten und nicht nur in Sonntagsreden.
SPIEGEL: Sie appellieren schon wieder ...
KARTTE: ... der Appell ist ein gutes Mittel, bevor man zu schärferen Maßnahmen greift.
SPIEGEL: Ihre Appelle an die Banken zeigen doch, wie hilflos Sie gegen Fusionen sind. Heute rächt sich eben, daß 1980 bei der Novellierung des Wettbewerbsrechts nicht schlicht und einfach ein Verbot von Großfusionen beschlossen wurde, wie es ja in der Diskussion war.
KARTTE: Die Monopolkommission hat ein solches Verbot damals als denkmöglich hingestellt. Aber im Grunde hatte jeder Manschetten davor, die reine Größe zu erfassen. Es hieß immer, wir
brauchen eine Marktmacht-Schwelle. Das Kartellamt hat seinerzeit vorgeschlagen, die Fusionskontrolle nicht von dem Grad der Marktbeherrschung abhängig zu machen, sondern wie die Amerikaner auf eine wesentliche Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen abzustellen. Das ist ausdrücklich abgelehnt worden.
SPIEGEL: Und das bedauern Sie heute?
KARTTE: Die Politik kann der Realität immer nur hinterhereilen. Im Kartellrecht schwingt ja auch immer die Frage mit, welche Unternehmensgrößen die deutsche Industrie braucht, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Da kriegen Sie kein Parlament dazu, schon auf Vorrat Vorschriften in das Gesetz einzufügen, mit denen das Bundeskartellamt die deutschen Unternehmen klein halten könnte.
SPIEGEL: Rechnen Sie denn damit, daß der Fall Daimler/AEG zu einer Verschärfung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkung führen wird? Oder wird sich am Ende die Auffassung durchsetzen, daß solche Unternehmensfusionen erlaubt sein müssen, damit die Deutschen auf den Weltmärkten gegen die Giganten aus den USA und Japan bestehen können?
KARTTE: Wenn die Daimler/AEG-Hochzeit genehmigt werden sollte - das ist für mich noch eine offene Frage -, werden wir sicher eine rege ordnungspolitische Diskussion bekommen. Wie diese Diskussion ausgehen wird, kann heute niemand wissen.
SPIEGEL: Welche Position werden Sie in dieser Diskussion einnehmen?
KARTTE: Ich bin da einerseits Bürger und andererseits Kartellamtspräsident. Als Kartellamtspräsident muß ich mich an das Gesetz halten. Vor fünf Jahren hat der Gesetzgeber noch mal knallhart gesagt: Größe an sich ist kein Kriterium, wir wollen Rechtssicherheit, justitiable Kriterien, und wir wollen keine allmächtige Behörde oder allmächtigen Politiker, also bleiben wir bei der Schwelle der Marktbeherrschung.
SPIEGEL: Und was ist mit dem Bürger Kartte?
KARTTE: Der Bürger Kartte ist hin und her gerissen. Wir müssen ja alle froh darüber sein, wenn wir erfolgreiche Unternehmen haben. Wir müssen daher unseren Unternehmen den Spielraum lassen, den sie brauchen, um auch in Zukunft international wettbewerbsfähig zu bleiben. Wir dürfen uns andererseits aber auch von den Unternehmern nicht auf die Tränendrüsen drücken lassen, daß sie wegen des Weltmarkts immer größer werden müßten. Wir müssen jeden einzelnen Fall genau prüfen. Denn wenn Fusionen von der Größe Daimler/ AEG Schule machen sollten, kann einen das schon unruhig machen.
SPIEGEL: Siemens hat 19 Milliarden Mark in der Kasse und wird deswegen schon als Bank mit angeschlossener Elektroabteilung geschmäht. Vielleicht behauptet der Konzern demnächst ja, daß er international auf Dauer nur bestehen kann, wenn er VW kauft?
KARTTE: Wir können ja nicht Fälle lösen, die es noch gar nicht gibt.
SPIEGEL: Oder nehmen Sie den von Franz Josef Strauß gewünschten Einstieg von BMW bei MBB.
KARTTE: Ich sehe auch, daß Fusionen eine gewisse Sogwirkung haben. Das Konzentrationsniveau wird hochgezogen.
SPIEGEL: Sie haben jetzt die Chance, dem einen Riegel vorzuschieben.
KARTTE: Wenn wir Einzelfälle bekommen, wo wir weder Marktbeherrschung noch Verstärkung der Marktbeherrschung nachweisen können, sind wir nach geltendem Recht machtlos.
SPIEGEL: Ihre Waffen sind stumpf, und die Gegenseite verfügt in der Regel über enorme Kriegskassen.
KARTTE: Marktwirtschaftlich gesehen sind diese Kriegskassen in der Tat bedenklich. Das marktwirtschaftliche Konzept setzt ja voraus, daß Gewinne ausgeschüttet werden. Die Aktionäre sollen dann entscheiden, wohin dieses Kapital fließt. Durch die Thesaurierung wird das natürlich verhindert, wird die Flexibilität des Kapitals gebremst. Das verstößt gegen die Regeln der Marktwirtschaft. Wer zum Beispiel für Paragraph 6b Einkommensteuergesetz ist ...
SPIEGEL: ... dieser Paragraph gewährt Steuerstundung bei Veräußerungsgewinnen und ist durch die Flick-Affäre bekanntgeworden ...
KARTTE: ... der muß auch gegen die Anhäufung von Gewinnen in solchen Kriegskassen sein. Ich war auch immer für den 6b, weil er die Flexibilität des Kapitals fördert.
SPIEGEL: Herr Kartte, Sie zeigen sich beunruhigt, Sie finden dies und jenes bedenklich, appellieren an Vernunft und Gewissen der Unternehmer und Bankiers. Sie haben aber noch nicht klar gesagt, ob Sie sich für eine Verschärfung des Kartellrechts einsetzen. Wenn bei einer Demonstration ein paar Scheiben eingeworfen werden, ertönt sofort der Ruf nach einer Verschärfung des Demonstrationsrechts, gilt unsere freiheitlich demokratische Grundordnung als bedroht. Ist denn diese Ordnung nicht viel mehr bedroht, wenn zwei Riesen wie Daimler und AEG fusionieren?
KARTTE: Die Diskussion darüber wird in Gang kommen, bis hin zu der Frage, ob wir das Kartellrecht anpassen müssen. Ich bin allerdings dafür, daß die Diskussion sich nicht nur auf das kartellrechtliche Instrumentarium bezieht, sondern daß wir auch die Rolle der Banken noch mal überdenken. Es liegt ja eine ganze Reihe von Vorschlägen auf dem Tisch, wie man den Einfluß der Banken reduzieren kann, etwa indem man die Zahl der Unternehmensbeteiligungen und der Aufsichtsratsmandate pro Branche begrenzt. Im Kartellrecht wird die Frage wieder hochkommen: Müssen wir die Fusionskontrolle abkoppeln von dem relativ engen Begriff der Marktbeherrschung und uns statt dessen fragen, ob durch eine Fusion eine wesentliche Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen eintritt?
SPIEGEL: Wenn die wesentliche Verschlechterung des Wettbewerbs das Kriterium Ihrer Bewertung wäre, ginge der Fall Daimler/AEG dann beim Kartellamt jetzt durch?
KARTTE: Dann hätten wir Daimler-Benz nicht, wie jetzt geschehen, sagen können, daß der Fall nicht von vornherein hoffnungslos erscheint.
SPIEGEL: Die geplante Übernahme von 20 Prozent an Grundig durch Bosch zeigt ja erneut, wie das Kartellamt ausgetrickst werden kann. Was halten Sie von dem Vorschlag des SPD-Wettbewerbsexperten Uwe Jens, daß das Kartellamt nicht erst tätig werden soll, wenn ein Unternehmen sich mit 25 Prozent an einem anderen beteiligt, sondern schon bei zehn Prozent?
KARTTE: Damit wäre es nicht getan. Zehn Prozent würden unseren Aufwand enorm steigern. Wir müßten nicht 550 Fälle im Jahr bearbeiten, sondern erheblich mehr. Wir würden also wieder mehr Bürokratie bekommen. Außerdem garantiere ich Ihnen, die Wirtschaft würde auch Konstruktionen finden, wie sie mit kleineren Beteiligungen ihr Ziel erreichen könnte. Geld fließt durch jede Ritze. Oder glauben Sie, daß eine Aufgreifschwelle von zehn Prozent etwa die Ehe zwischen MBB und Krauss-Maffei hätte verhindern können? Dann wären statt sechs eben zehn Partner drin.
SPIEGEL: Sie haben 1970 als Ministerialrat im Bundeswirtschaftsministerium gesagt: »Sollte die Marktwirtschaft mit dem Problem der Kontrolle wirtschaftlicher Macht nicht fertig werden, wird sie fallen.«
KARTTE: Dazu stehe ich auch heute noch.
SPIEGEL: Sehen Sie denn durch solche Fälle wie die Fusion Daimler/AEG die Marktwirtschaft bedroht?
KARTTE: Eines muß man sicher sehen: Wir sind aus vielerlei Gründen darauf beschränkt, Wettbewerb immer nur in den eigenen Grenzen zu betrachten. Unsere Kanonen schießen nur bis Aachen. Dagegen operieren die großen Unternehmen heute weltweit. So besteht die Gefahr, daß diese Multis die nationalen Kartellbehörden in ihren engen Räumen irgendwann völlig kaltstellen.
SPIEGEL: Wieso?
KARTTE: Na, die können doch immer sagen, was wollt ihr denn, unser Wachstum schränkt den Wettbewerb ja gar nicht ein, denn der Wettbewerb ist international, die Grenzen sind offen.
SPIEGEL: Das ist ja nicht ganz falsch.
KARTTE: Gewiß, unsere Grenzen sind in vielen Bereichen offen, der Wettbewerb ist international. Aber es können doch Exportriesen, gigantische Machtgebilde,
entstehen, die ordnungspolitisch eine Gefahr werden, weil sie nicht mehr regierbar sind, sondern selbst die Regierung übernehmen. Das ist es, was mich beunruhigt, daß wir in Unternehmensgrößenordnungen hineinkommen, an denen die Regierungen einfach nicht mehr vorbeigehen können, weil diese Unternehmen einen großen Teil der Steuern zahlen und der Arbeitsplätze stellen und mit ihrem riesigen Investitionsvolumen die Industriepolitik bestimmen.
SPIEGEL: Und pleite gehen können sie auch nicht mehr, von einer bestimmten Größenordnung an.
KARTTE: Das kommt noch hinzu, die Regierungen, und das heißt ja doch die Steuerzahler, müssen diesen Unternehmen notfalls auch noch aus der Patsche helfen. Wenn es zu einer solchen Machtzusammenballung käme, dann wäre eine wichtige Funktion des marktwirtschaftlichen Systems, nämlich die Zersplitterung der wirtschaftlichen und der politischen Macht, bedroht. Die demokratische Verfassung käme dann sicherlich in Gefahr. In der kommenden Diskussion muß man sorgfältig abwägen, ob man diesen Preis bezahlen will.
SPIEGEL: Sie beschreiben da die historische Tendenz des Kapitalismus zu immer größerer Konzentration und zur Selbstzerstörung, wie sie der Marxismus-Leninismus lehrt.
KARTTE: Die Marxisten-Leninisten betrachten eine solche Tendenz zur Konzentration als unabänderlich. Ich sehe sie lediglich als eine Gefahr an. Die großen Unternehmenskonglomerate in den USA, Japan und bei uns arbeiten heute weltweit. Da bleibt es doch nicht aus, daß sie mit ihrer ökonomischen Potenz ihre nationalen Regierungen zu beeinflussen suchen. Die USA sind ein großes, mächtiges Land. Sie können sich entsprechend große Unternehmen leisten. In Japan sind Großunternehmen und Gesellschaft ohnehin eins. Auch innerhalb Europas gehen die Ansichten über die Rollenverteilung zwischen Staat und Gesellschaft auseinander.
SPIEGEL: Also bleibt den Deutschen nichts anderes übrig, wenn sie gegen die Konkurrenz bestehen wollen, als ihre Unternehmen ebenfalls zu Giganten wachsen zu lassen.
KARTTE: Auch in den anderen Ländern wird sich die Einsicht durchsetzen müssen, daß ein internationaler Wettlauf der Wirtschaftsgiganten nach noch mehr Größe letztlich zu Lasten des marktwirtschaftlichen Systems geht. Denn keiner will, daß Karl Marx letzten Endes doch recht behält.
SPIEGEL: Herr Kartte, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
[Grafiktext]
Firmenkonzentration in der Bundesrepublik Dem Kartellamt angezeigte Fusionen davon untersagt bis September Hersteller in Deutschland insgesamt: Anteil der drei größten Hersteller an der Inlandsproduktion in Prozent (1982) Spirituosen Landmaschinen Radio- und Fernsehgeräte Nähmaschinen Zigaretten Auto-, andere Reifen Pkw Kühlschränke, -truhen Waschmittel Waschmaschinen Lkw, Straßenzugmaschinen Schreibmaschinen
[GrafiktextEnde]
Stefan Baron und Rudolf Wallraf, vor dem Kartellamt in Berlin.Bei der Bekanntgabe des Fusionsplans in Stuttgart.