Nachruf auf Reinfried Pohl Deutschlands bester Verkäufer

Reinfried Pohl: Augen wie Schießscharten
Foto: Arne Dedert/ dpaSicher, das Bundesverdienstkreuz war ganz nett, ebenso die Ehrendoktorwürden, und die geschätzt 2,85 Milliarden Euro Vermögen erleichterten den Alltag schon ungemein. Doch wenn es ein Wort gibt, das Leben, Streben und Ziel von Reinfried Pohl, des am Donnerstag an Herzversagen verstorbenen Gründers der "Deutschen Vermögensberatung AG" (DVAG), auf den Punkt bringt, dann ist es dieses: Respekt. Sein größter Wunsch sei es, betonte der Finanzunternehmer oft, das Wort "Kloppertruppe" nicht mehr hören zu müssen.
Der "Doktor", wie sie ihn bei der DVAG nannten, wollte vor allem eins: es den anderen zeigen. 1945 aus dem Sudetenland vertrieben, studiert Pohl Rechtswissenschaften in Marburg, steigt bei Gerling ein, wechselt 1967 zum Deutschen Herold, wo er 1975 als Generalbevollmächtigter im Streit ausscheidet: Der 47-jährige steht praktisch vor dem Nichts - und gründet die DVAG.
Das Konzept ist simpel, oder besser gesagt: Simpel ist das Konzept. Pohl, der bevorzugt Hemden der Kaufhaus-Marke Eterna trägt, am liebsten Karl May liest und für einen hausgemachten Kartoffelsalat jederzeit den Kaviar stehen lässt, konzentriert sich auf wenige Produktpartner mit starker Marktstellung, wie die Aachen Münchner oder die Deutsche Bank mit ihrer Investmenttochter DWS. Er beschränkt sich auf wenige Produkte und meidet Graumarktkonstruktionen. "Wir verkaufen Grundnahrungsmittel", war sein Credo.
Den schlichten Produkten stellt der Unternehmer ein Arsenal ebenfalls nicht überkomplexer Claims zur Seite: "Früher an später denken" oder "Menschen brauchen Menschen". Und hat damit Erfolg: Die DVAG steigt auf zu Deutschlands größtem eigenständigem Finanzvertrieb.
Das "Finanzgenie" mochte keine Extravaganzen
Dabei wirkte Pohl, so scharf er in der Sache war, im Auftritt eher unscheinbar, kaum Spuren vom üblichen "Tschaka"-Gebrüll der Branche. Graue Haare, spitze Nase, Lederslipper, gerne stilles Wasser: Das "Finanzgenie" ("Bild") mochte keine Extravaganzen.
Doch wenn es um die Motivation seiner Truppe ging, durfte es gerne mal ein bisschen mehr sein. Auch geprägt durch seine Zeit als Ostfront-Panzergrenadier, wo sich "Kameraden in Lebensgefahr begeben haben, nur damit sie das Eiserne Kreuz erhalten", installierte er ein fein austariertes System von Anreiz, Wettbewerb und Belohnung: Kreuzfahrten, Aufenthalte in firmeneigenen Luxusklubs, Fußballspielen mit Stars wie Michael Schumacher und natürlich abgestufte Abzeichen für die besten Verkäufer, verliehen auf spektakulären Vertriebskonferenzen mit Nebelwerfern, Konfettiregen und Motivationsklassikern mit hohem Gänsehautfaktor ("We Are the Champions").
Man muss nicht Psychologie studiert haben, um die Parallele zu sehen: Der Drang nach Anerkennung von außen wurde zum Motor der Motivation nach innen. Auch Pohl konnte (und wollte) die knallharte Provisionslogik seiner Branche nicht wegwischen. Der Doktor erwartete stets volles Engagement. Legendär waren seine Faxe, die am Sonntagabend noch aus der Maschine trudelten. "Eilt nicht", stand da drauf. Doch am nächsten Morgen um neun klingelte das Telefon - und ein ungeduldiger Pohl erkundigte sich, wie es denn um die Sache nun stehe.
Politisch war Pohl in der CDU zu Hause - obwohl er zunächst viele Jahre FDP-Mitglied war und erst im Juli 1970 in die Union eintrat. Die CDU-Connection war eng: Ex-Kanzler Helmut Kohl war über Jahrzehnte einer der gewichtigen Freunde Pohls, Kohls ehemaliger Kanzleramtsminister Friedrich Bohl leitet den DVAG-Aufsichtsrat, dem auch Ex-Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) angehört. Pohl galt auch als Vertrauter von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): "Sie und Ihre Familie haben ein gutes Stück der Geschichte der sozialen Marktwirtschaft mitgestaltet", lobte die Kanzlerin Pohl anlässlich seines 85. Geburtstages im vergangenen Jahr.
Pohl war ein Patriarch im klassischen Sinn
Ganz Fan konservativer Werte, begriff Pohl sein Unternehmen als Familie. Hochrangigen Mitarbeitern wünschte er regelmäßig telefonisch an Heiligabend "Frohe Weihnachten", nicht selten sprang er bei Krankheiten oder anderen Härtefällen mit seinem Privatvermögen ein. Gern durfte auch gestritten werden, aber wenn jemand allzu hartnäckig widersprach, wurden seine Augen zu Schießscharten und seine Sätze kurz und scharf wie ein Gladiatorenschwert. In der Familie hat einer das letzte Wort, war der Subtext, und das ist Papa.
Pohl war ein Patriarch im klassischen Sinn, und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass seine DVAG mit ihren konservativen Werten und leicht altertümlichen Anreizsystemen ausgerechnet in einer Zeit so stark wachsen konnte, in der die Finanzwelt immer komplexer wurde und sich immer weiter ausdifferenzierte. Das Wort "Kloppertruppe" ist nicht aus der deutschen Sprache verschwunden, doch Pohl hat den Markt grundlegend verändert, heute kopieren die Banken die Methoden der einst belächelten Vertriebs-Konkurrenz. Und von der Finanzcommunity bekam er schon lange vor seinem Tod, was er sich am meisten wünschte: Anerkennung.