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»Nacktes Chaos«

Suff, Prostituierten-Besuche, Strip-Club-Trips: US-Managerinnen der Dresdner Bank zeichnen ein bizarres Bild ihrer Firma.
aus DER SPIEGEL 3/2006

Zehn Monate lang haben Joanne Hart und ihre fünf Kolleginnen Vorwurf um Vorwurf zusammengetragen. Jetzt sitzen die Frauen in einer Kanzlei im 57. Stock des Empire State Building und sind ziemlich erschrocken - über ihren eigenen Mut und den Wirbel um ihre Entscheidung.

»Viele sind wütend auf mich«, sagt Hart. Kathleen Treglia ist den Tränen nahe: Die Stimmung war »eisig«, sagt sie, als sie am Dienstag vergangener Woche an ihren Arbeitsplatz kam. Die Wall-Street-Bankerinnen wurden über Nacht zu den umstrittensten Mitarbeitern der Investmentbank Dresdner Kleinwort Wasserstein, weil sie ihren Arbeitgeber wegen gezielter Diskriminierung verklagen.

Stolze 1,4 Milliarden Dollar Entschädigung fordert ihr Anwalt, Douglas Wigdor, in einer Sammelklage jetzt von der Allianz-Tochter Dresdner Bank sowie deren Investmentsparte in New York und London. »Ich kann Ihnen genau erklären, was bei der Dresdner jetzt los ist«, sagt Wigdor: »Nacktes Chaos«.

Das 70-Seiten-Dokument und die Berichte der Klägerinnen erlauben - wenn die Vorwürfe zutreffen - Schlüssellochblicke, die in krassem Widerspruch stehen zu dem konservativen Selbstbild der Frankfurter Großbank.

Zumindest die glamouröse Investmentsparte des traditionsreichen Instituts mit dem »grünen Band der Sympathie« scheint demnach zum zwielichtigen Eldorado geworden zu sein: für profilierungssüchtige Machos, für Kollegen, die sich regelmäßig Prostituierte ins Büro bestellen und für schon mittags betrunkene Börsenhändler. All diese Fälle finden sich in der Anklageschrift.

Glaubt man dem Dokument, sind Frauen in dieser Welt des schnellen Geldes vorrangig in zwei Rollen vorgesehen: als unterbezahlte, rechtlose Untergebene ohne echte Aufstiegschancen oder als mehr oder weniger professionelle Animateurinnen.

Jyoti Ruta sagt, sie war die einzige Frau am Tisch, als ihr Wall-Street-Team mit Kunden einen wichtigen Geschäftsabschluss feierte. Kaum war das Dinner zu Ende, wurde sie nach Hause geschickt. Die fröhliche Herrenrunde wollte ungestört in einem Strip-Club weiterfeiern, sagt sie.

Dresdner Kleinwort Wasserstein wirkt in dem Schriftsatz wie eine dumpf-schwüle, hormongesteuerte Burschenschaft. Junge Mitarbeiterinnen würden wegen ihres Aussehens eingestellt, wurde etwa Kathleen Treglia von ihren Kollegen erklärt. Die Händler brauchten schließlich »Augenschmaus« ("eye candy") am Arbeitsplatz.

Zur »Pamela Anderson des Wertpapierhandels« wurde ihre Londoner Mitklägerin Katherine Smith von ihrem Vorgesetzten gekürt. Eine Pralinenpackung auf ihrem Tisch veranlasste den Mann zu der Bemerkung, sie solle ihre Süßigkeiten nicht so offen herzeigen - sonst hätten bald alle Jungs aus der Abteilung die »Hände in ihrer Schachtel«.

Alles harmlose Einzelfälle? Sind die Vorwürfe der Klägerinnen am Ende sogar bloß ein weiterer US-Exzess politischer Korrektheit?

Die Dresdner Bank ist überzeugt, »dass die geltend gemachten Ansprüche keine Aussicht auf Erfolg haben«. Sie will »ihnen entschieden entgegentreten«, heißt es in einer Stellungnahme. »Die in der Klage aufgestellten Behauptungen widersprechen allen Werten, für die die Dresdner Bank steht.«

Wigdor und seine Mandantinnen dagegen sehen in den Vorgängen eine systematische Diskriminierung von Frauen, die in der Firmenspitze beginnt und bis in die untersten Ränge reicht.

Dass ein inzwischen ausgeschiedener Frankfurter Topmanager laut Klageschrift seine Assistentin schwängerte, mag in Deutschland als Privatsache durchgehen - »in den USA führt so etwas zur fristlosen Entlassung«, sagt der Anwalt. Boeing-Chef Harry Stonecipher musste vergangenes Jahr gehen, nachdem eine Affäre mit einer Untergebenen bekannt geworden war.

Joanne Hart hat es in über zehn Jahren bei Dresdner Kleinwort Wasserstein bis zur zweiten Führungsebene unterhalb des Vorstands gebracht - Positionen auf der nächsten Hierarchiestufe in ihrem Unternehmenszweig würden, so ihr Anwalt, zu 98 Prozent von Männern besetzt. Weiter kommt sie nicht - allein wegen ihres Geschlechts, glaubt sie. Nach allerlei Umstrukturierungen muss die Managerin inzwischen die Reisepläne jüngerer Kollegen organisieren, Mietwagen buchen und die Arbeitsleistung von Empfangsdamen begutachten. Ihr Jahresbonus schrumpfte von über 200 000 Dollar auf »unverschämt niedrige« 6600 Dollar, sagt sie.

Frauen würden »wissentlich, absichtlich und böswillig« schlechter bezahlt und langsamer befördert als ihre männlichen Kollegen, heißt es in der Klage. Spitzenpositionen blieben ihnen faktisch versperrt, stattdessen würden sie in wenig erstrebenswerte Jobs und Abteilungen abgeschoben.

Klagen wegen sexueller Diskriminierung hat es an der Wall Street in den vergangenen Jahren häufiger gegeben. Erst 2004 zahlte Morgan Stanley in einem Vergleich 54 Millionen Dollar Entschädigung an fast 70 ehemalige Mitarbeiterinnen. In Frankfurt dürften Wigdors Berechnungen deshalb für höchste Unruhe sorgen.

Rund 500 diskriminierte Frauen bei Dresdner Kleinwort Wasserstein hätten unter anderem wegen »Gehaltsausfällen, Depressionen, Stress und Angst« Entschädigung verdient, sagt er. Könnte der Jurist sämtliche Forderungen durchsetzen, wäre es für ihn jedenfalls ein gutes Geschäft: Bei Erfolg kassieren Anwälte in der Regel ein Viertel der Entschädigung. FRANK HORNIG

* Maria Rubashkina, Traci Holt, Jyoti Ruta, Joanne Hart und Kathleen Treglia in New York.

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