Nährwertangaben Lebensmittel-Ampel schlägt Modell der Industrie
Hamburg - Bis vor kurzem waren sie noch ziemlich siegessicher: Die Ampel sei tot, das Kennzeichnungssystem ein für allemal verhindert, hieß es in den vergangenen Wochen und Monaten bei den Vertretern der Lebensmittelindustrie.

Ampel-Kennzeichnung auf Tiefkühlprodukt: Front der Gegner bröckelt
Foto: DPADoch die Freude hat ein jähes Ende gefunden: Denn als erster deutscher Lebensmittelkonzern hat der Tiefkühlkostanbieter Frosta die Ampel-Kennzeichnung eingeführt - und damit ein Loch in die bislang geschlossene Front der Ampel-Gegner auf Seiten der Industrie gerissen. Das Medienecho war gewaltig und brachte selbst die zuständige Verbraucherministerin unter Druck: "Warum gibt's keine Ampel-Pflicht, Frau Aigner?", fragte die "Bild"-Zeitung - und drückte damit aus, was sich Verbraucherschützer, Gesundheitsexperten und nicht zuletzt viele Kunden seit langem fragen.
Denn tatsächlich wird seit Jahren zwischen Industrie, Politik und Verbraucherschützern erbittert um die richtige Kennzeichnung der Inhaltsstoffe gestritten. Gesundheitsexperten und Verbraucherorganisationen fordern eine farbliche Kennzeichnung der Inhaltsstoffe nach einem Ampelsystem. Mit den Farben grün (niedrig), gelb (mittel) und rot (hoch) soll dem Verbraucher einfach und schnell signalisiert werden, was er isst.
Die Lebensmittelindustrie lehnt dieses System jedoch ab - angeblich, weil es bestimmte Lebensmittel diskriminiere. Sie hat sich stattdessen auf das sogenannte GDA-System (Guideline daily amount) verständigt, das den Nährwert bezogen auf Portionsgrößen angibt. Dabei ist den Produzenten egal, dass der Kunde die Ampel will: Zwei Drittel sprachen sich bereits im Februar in einer Emnid-Umfrage für das von der Industrie so ungeliebte System aus.
Verbraucher verstehen Ampel besser
Und das liegt auch daran, dass sie es schlicht besser verstehen als das von der Industrie als Alternative angebotene GDA-System. Das jedenfalls belegt eine von der Verbraucherorganisation Foodwatch in Auftrag gegebene Studie des Marktforschungsunternehmens GfK. Den Studienteilnehmern wurden zunächst die Frühstücksflocken Trio von Nestlé vorgelegt, die mit 37 Prozent Zucker im Vergleich zu ähnlichen Produkten viel Zucker enthalten. Die Flocken sind mit den GDA-Angaben gekennzeichnet, und fast 64 Prozent der Befragten erkannten denn auch den hohen Zuckergehalt.
Allerdings bekam eine zweite Gruppe dasselbe Produkt dieses Mal aber mit den entsprechenden Ampel-Symbolen versehen. Hier erkannten deutlich mehr, nämlich 88,9 Prozent, den hohen Zuckergehalt des Produkts.
Doch damit nicht genug: In einer zweiten Frage sollten die Befragten Nestlé-Trio mit einem zweiten Frühstückscerealien-Produkt des gleichen Herstellers vergleichen, den Nestlé Fitness Fruits. In der Gruppe, die beide Produkte mit Ampel-Kennzeichnung zu sehen bekam, erkannten 92,1 Prozent der Befragten richtig, dass Trio mehr Zucker enthält als die Fitness Fruits. In der GDA-Gruppe konnte nur jeder Vierte (25,8 Prozent) diesen richtigen Schluss ziehen. Schlimmer noch: Zwei Drittel der Befragten hielten das zuckrigere Produkt für das zuckerärmere.
Streit wird weitergehen
"Wenn noch ein Beweis gefehlt hat, dass Nestlé & Co. den wahren Nährwertgehalt ihrer Produkte mithilfe der GDA-Kennzeichnung eher verschleiern als transparent machen: Hier ist er", sagte der stellvertretende Foodwatch-Geschäftsführer Matthias Wolfschmidt - und forderte erneut eine verpflichtende Kennzeichnung . "Wenn Zuckerbomben durch die verwirrenden Zahlen und Prozentwerte schlanker erscheinen als sie sind, ist dies unverantwortlich."
Klar ist: Der Streit um die Kennzeichnung von Salz, Fett und Zucker in Lebensmitteln wird weitergehen. Während in der vergangenen Woche die AOK, der Tiefkühlhersteller Frosta, Foodwatch und die Verbraucherzentralen gemeinsam für eine Ampelkennzeichnung plädierten, zeigte sich die Lebensmittelindustrie wenig kompromissbereit: Die Ampelkennzeichnung sei keine gute und hilfreiche Information für Verbraucher, ließ der Branchenverband Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) verkünden. "Es ist an der Zeit, diese sinnlose Debatte zu beenden."
Die zuständige Ministerin Aigner hat das erst mal auf ihre eigene Art getan: Sie hatte für Anfang Juni einen Runden Tisch mit allen Beteiligten geplant, an dem Kompromisse ausgelotet werden sollten. Der ist erst mal verschoben auf unbekannte Zeit. Offizielle Begründung: Krankheitsgründe.