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RENTEN Nahe heim Kumpel

Nach dem Verlust der parlamentarischen Mehrheit muß sich die SPD/ FDP-Koalition auf einen Kompromiß bei der Rentenreform einlassen.
aus DER SPIEGEL 37/1972

Der Chef machte seinem Helfer Mut. »Walter, laß dir die Butter nicht vom Brot nehmen«, ermunterte am Donnerstag voriger Woche Bundeskanzler Willy Brandt auf der Sitzung des SPD-Parteipräsidiums den geladenen Gastgenossen, Arbeitsminister Walter Arendt.

Der Kampf um die Butter beginnt in dieser Woche im Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung, der auf seiner Sondersitzung die Rentenreform diskutieren wird. Es wird ein hartes Gefecht. Denn wenige Wochen vor der Wahl rechnen sich die Christdemokraten unter Führung des früheren Arbeitsministers Hans Katzer eine Chance aus, Arendts Hilfsprogramm für Rentner und den SPD-Wahlkampfschlager für künftige Pensionäre, die flexible Altersgrenze, zu stoppen.

Mit Hilfe des FDP-Flüchtlings Siegfried Zoglmann und des SPD-Dissidenten Günther Müller sowie im Vertrauen darauf, daß der SPD-Abgeordnete Karl Schiller seine Afrika-Safari nicht unterbrechen wird, hofft die Katzer-Riege, bei der entscheidenden parlamentarischen Abstimmung in der übernächsten Woche mit 248:247 Stimmen ihr eigenes sozialpolitisches Kontrastprogramm im Plenum durchsetzen und damit den Ruhm des Rentenreformers für sich beanspruchen zu können.

Katzers Kalkül: Das positive Image seines roten Nachfolgers Arendt (Kanzleramtsminister Ehmke: »Unser erfolgreichster Minister") müßte Schaden erleiden, Kanzler Brandts Reformstar wäre entzaubert. Selbstbewußt feierte Katzer die Schlagkraft seiner Truppe: »Wir werden die Mehrheit, die wir haben, im Plenum nutzen, um unsere Vorlage zur Verabschiedung zu bringen.«

Die Sozialdemokraten erkannten die Gefahr. Bereits in der vorletzten Woche hatte SPD-Fraktionsvize Hans Apel auf einer Sitzung des Parteivorstandes die Spitzengenossen gemahnt, die Rentenreform dürfe nicht mehr allein den Sozialpolitikern (Sopos) überlassen werden. Der Fraktionsvorstand müsse selbst eine Marschroute für den Kampf mit Katzer festlegen. Apel-Chef Herbert Wehner knurrte kurz: »Ich sehe das ein.«

Und er beorderte prompt seine Spitzenparlamentarier nach Bonn. Hauptakteur Arendt, der sich gerade auf dem Flug zum Rehabilitations-Kongreß im australischen Sydney befand, wurde Wehners Notstandsappell vom deutschen Japan-Botschafter Wilhelm Grewe bei einer Zwischenlandung in Tokio überbracht. Arendt parierte, Statt in Australien endete die Reise am vorletzten Sonntag in Düsseldorf -Lohausen.

Auf der von Wehner befohlenen Renten-Sondersitzung der Fraktion am vergangenen Dienstag schwor der Arbeitsminister die Parteifreunde auf Kompromiß-Kurs ein. Arendt später: »Es wäre traurig, wenn die gute Sache im parteipolitischen Gestrüpp hängenbliebe. Da täte mir nicht die SPD, sondern die Betroffenen leid.«

Arendts Mahnungen, die zudem noch durch Aufrufe der Gewerkschaften unterstützt wurden, wirkten. Die Genossen kamen überein, in dieser Woche der Union einen Tauschhandel anzubieten.

Nach fast einjährigem Widerstand will die Koalition nun der CDU/CSU-Forderung nachgeben und die Renten der neun Millionen Sozialversicherungs-Pensionäre rückwirkend vom 1. Juli dieses Jahres an und nicht erst wie ursprünglich geplant Anfang 1973 um 9,5 Prozent anheben. Die Koalition verzichtet dafür auf ihren Vorschlag. jedem Rentner ab 1. Juli zusätzlich 20 Mark im Monat als Entschädigung für die Preissteigerungen auszuzahlen. In diesem Punkt werde sich, so empfand in der vorigen Woche der SPD-Pressedienst voraus, »die Kompromißbereitschaft bemerkbar« machen.

Angesichts der starken Stellung der Opposition. die spätestens mit ihrer Mehrheit im Bundesrat alle Gesetze blockieren kann, scheint eine Übernahme der CDU/CSU-Rentenforderung die einzige Chance, das gesamte Sozialpaket noch zu verabschieden.

Denn die Regierung hofft für die vorgezogene Rentenanpassung, die bis 1986 rund 72 Milliarden Mark von dem bis dahin auf 205 Milliarden Mark aufgestockten Vermögen der Rentenversicherung (Arendt: »Es wird eher mehr") verzehren wird, die Zustimmung der Opposition für die »flexible Altersgrenze« einzuhandeln.

Die SPD-Strategen vertrauen darauf, daß Katzer es nicht riskieren könnte, den Rentnern ein Wahlgeschenk zu bieten und gleichzeitig den Arbeitnehmern den vorzeitigen Abschied von Schreibtisch und Werkbank zu verwehren. Während die CDU noch unmittelbar vor dem letzten Urnengang 1969 »eine Herabsetzung der Altersgrenze« für »nicht vertretbar« (sozialpolitisches Schwerpunktprogramm) gehalten hatte, und bis in dieses Frühjahr hinein die »flexible Altersgrenze unterlaufen wollte« (Arendt), zog sie Anfang Juli mit einem Alternativkonzept zum Arendt-Entwurf nach.

Selbst wenn die Regierung ihr Altersgrenzenkonzept im Detail noch auf CDU-Wunsch verändern müßte, so argumentierte SPD-Bundesgeschäftsführer Holger Börner -- werde die Wählerschaft die »flexible Altersgrenze der SPD zurechnen« und »Arendt als ihren Schöpfer« ansehen. Börner: »Er hat die Sehnsucht von Millionen erweckt.«

Die Zuversicht des Baracken -Managers wurde durch neue Umfragen gestärkt. Nach Meinung von 44 Prozent der Befragten tritt die SPD besonders für die flexible Altersgrenze ein, nur zwölf Prozent glauben, die Union sei der bessere Mentor für ein verkürztes Arbeitsleben. Gleichzeitig halten 39 Prozent die flexible Altersgrenze für wichtiger als die vorzeitige Anhebung des Rentenniveaus. Umgekehrte Prioritäten setzten nur 25 Prozent der Befragten.

Diese Lage an der Wählerfront ermunterte am vorigen Donnerstag die SPD-Präsiden« die Sozialpolitik zentral in ihrer Wahlkampfplattform herauszustellen. Mehr noch: Präsidial-Novize Hans-Jochen Vogel versprach größeren Erfolg, wenn die Genossen die Leistungen Walter Arendts mehr »personalisieren«.

Wahlkämpfer Börner fing den Tip auf: »Walter Arendt ist der Mann, der dafür einsteht, daß es dem Arbeitnehmer noch niemals besser ging als heute. Er hat die Nähe zum Kumpel behalten. Wir wären dämlich, wenn wir ihn nicht zentral in unsere Wahlkampfplanung einbauten.«

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