Recherchen über Vetternwirtschaft NDR-Justiziariat ließ kritischen Artikel über eigenes Haus löschen

NDR-Logo in Kiel: Ungewöhnliche Löschung
Foto: Winfried Rothermel / IMAGODieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Der Artikel, den das Investigativteam des Norddeutschen Rundfunks am Dienstag veröffentlichte, hatte es in sich: Es ging darin um die Leiterin des Hamburger Landesfunkhauses, die seit Tagen in der Kritik steht. Jahrelang, so der Vorwurf der Redaktion, habe der NDR davon gewusst, dass Sabine Rossbach in der Redaktion des »Hamburg Journal« Themen vorschlug, die PR-Kunden ihrer Tochter betrafen. Ein offensichtlicher Interessenkonflikt – dem im Sender offenbar niemand nachging.
Die Enthüllung stand auf der Website der Tagesschau, bis sie in der Nacht auf Mittwoch plötzlich verschwand. Nach SPIEGEL-Informationen lag dies an einer Intervention des NDR-Chefjustiziars Michael Kühn. Auf seinen Hinweis hin wurde der komplette Artikel gelöscht. Auch das Branchenportal »Übermedien« berichtete über den ungewöhnlichen Vorgang.
Unübliche Löschungen
Dass Justiziare die Änderung einzelner Stellen in einem Artikel anmahnen, ist in Redaktionen üblich, auch beim SPIEGEL. In der Regel passiert dies jedoch vor Veröffentlichung kritischer Recherchen – nicht danach. Und eine vollständige Löschung findet so gut wie nie statt.
Juliane Leopold, Chefredakteurin Digitales ARD-aktuell, erklärt die Löschung auf SPIEGEL-Anfrage mit einer außergewöhnlichen Vorsichtsmaßnahme. Als es am späteren Abend juristische Hinweise gegeben habe, wollte sie diese zunächst prüfen. »Um das zu machen und mich der Rechtssicherheit zu vergewissern, habe ich die programmliche Entscheidung getroffen, den Artikel kurze Zeit offline zu stellen. Solch ein Vorgehen kommt sehr selten vor, ist aber im Rahmen programmlicher Entscheidungen möglich«, sagt Leopold.
Ein einziger Satz
Tatsächlich sorgte das »seltene Vorgehen« im Sender für reichlich Unruhe. So wurde offenbar niemand aus dem Rechercheteam, das zu den Vorwürfen der Vetternwirtschaft im NDR recherchieren soll, vor der Löschung konsultiert. Der direkte Durchgriff irritierte die Kollegen und Kolleginnen, weil er die Unabhängigkeit berührt, die dem Team zugesichert wurde. Gleichzeitig zeigt er, in welcher schwierigen Doppelrolle sich die Rundfunkanstalt befindet: Sie ist Aufklärer und Verteidiger in eigener Sache – und bei heiklen Recherchen auch mal übervorsichtig.
Mittlerweile ist der entsprechende Artikel wieder online , 16 Stunden später, mit einer leichten Überarbeitung und einem Disclaimer der Redaktion, »wie geplant«, sagt Chefredakteurin Leopold. Tatsächlich ging es bei der juristischen Korrektur um lediglich einen Satz. »Nie« habe die Landesfunkhauschefin ihren Mitarbeitern den Interessenkonflikt offengelegt, hieß es in der ursprünglichen Version, eine möglicherweise angreifbare Formulierung. Die Redaktion machte daraus ein unverfänglicheres »offenbar nicht«.