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KONFEKTION Nee, nee, so billig nicht

aus DER SPIEGEL 15/1950

Alfons Müller schickte seinen Sechssitzer Horch zum Düsseldorfer Pressehaus. Der Kleiderfabrikant und umstrittene Unterbieter der verblichenen Jedermann-Preise ließ zur Werkbesichtigung nach Wipperfürth bitten.

»Die Sache ist die«, empfing der 38jährige im indigoblauen Jackett von der Stange (DM 58), »ich will Ihnen zeigen, was hier geleistet wird und wie glänzend unsere Regierung versagt.« Dann schleuste er seine Gäste drei Stunden lang durch den Betrieb.

Der war größer und schöner geworden, seit die drei Journalisten aus dem Wirtschaftsrat hinausflogen, als sie in Müllers Anzüge gekleidet, demonstrieren wollten, daß Wipperfürth billiger und besser sei als Frankfurts Jedermann - Kleidung. Damals brach Müller alle Beziehungen zu »denen da oben« ab. Er warf seine 10000 verschmähten Anzüge privat auf den Markt, zu Unterpreisen à 66 DM. Da konnten die Jedermänner einpacken.

Im März 1949 startete Müller zum zweiten Male mit einer neuen 150 Meter langen Halle, 15 Fließbändern statt bisher fünf, und mit 70 Näherinnen.

»Heute sind es 900«, sagte der Chef stolz zu den Pressebesuchern. Den Stoff kauft er massenweise verbilligt ein. Auf seinen 30 Meter langen Zuschneidetischen sind die Kreidemuster so ineinander geschachtelt, daß kein Abfallrest zu Boden fällt.

Alle eineinhalb Minuten werfen die Näherinnen im Akkord verarbeitete Stoffteile auf das Fließband. Das spuckt täglich 3000 Anzüge und Mäntel aus. Fertig in 5 Stunden. Ein Schneider braucht dazu 60.

Beim rationellen kalten Imbiß waren die Journalisten tief beeindruckt, wie fortschrittlich hier alles sei. Kurz bevor sie sich verabschieden wollten, fragte einer: »Und wieviel Arbeitern haben Sie gekündigt, Herr Müller?«

Alfons Müller fühlte sich unangenehm berührt. »Ja, aber das hat einen anderen Grund«, sagte er unsicher. Die Presse nahm wieder Platz. Müller zündete eine Zigarette an der anderen an: »Alle 900 sind entlassen.« -

Heute schimpft der Herrenkonfektionär: »So eine Schweinerei«, wenn er an seinen verunglückten Propagandafeldzug denkt. Wer es noch nicht wußte, konnte es am anderen Tage in den Zeitungen lesen, daß die Kleiderfabrik Wipperfürth in Zahlungsschwierigkeiten steckt.

»Die Commerzbank, Filiale Gummersbach, die einen Ueberbrückungskredit halb zugesagt hatte, zog sofort zurück«, ärgert sich Müller. Von da ab wurde die Türklinke zum Pförtnerhäuschen nicht mehr kalt. Dauernd kamen Lieferanten, um ihre Kredite zu stoppen und Barzahlung zu verlangen. »Die dachten, wir wären bereits pleite, amüsiert sich Müller.

Pleite ist er nicht. Nur ist sein Betrieb so scharf rationalisiert und auf so knappe Kalkulationsspannen eingestellt, daß der Vorzug, den er dadurch anderen Firmen gegenüber hat, leicht ins Gegenteil umschlagen kann, wenn eine Stockung eintritt.

Im April 1949 startete der billige Alfons seine Preissenkungskampagne direkt gegen den Einzelhandel. Mit 2000 Anzügen zu 10 Prozent Handelsspanne. »Nee, nee, kommt nicht in Frage«, lehnten die beiden Geschäfte in Bergisch-Gladbach ab, »so billig verkaufen wir nicht.«

Da packten Müllers Vertreter die Anzüge kurzerhand auf Verkaufsomnibusse und setzten sie innerhalb von acht Tagen in ländlichen Bezirken direkt an die Kunden ab. Kurz danach machten die Wipperfürther in den Städten eigene Läden auf. Die Preise fangen bei 48 DM an. Die teuersten Anzüge - reines Kammgarn - kosten 128 DM.

Die Einzelhändler bekamen ihre billigen Preise zu spüren. Sie traten den Fabrikanten auf die Füße: »Entweder werdet Ihr billiger oder wir nehmen Euch weniger ab«. Die Fabrikanten wurden nicht billiger. Statt dessen empfahlen sie den Webereien, Müller nicht mehr zu beliefern. Darauf schloß der mit einigen Webereien Ausschließlichkeitsverträge. Sie liefern mit zehn Tagen Ziel und drei Prozent Skonto. In diesen zehn Tagen muß Müller das gesamte Material verarbeiten, umsetzen und von dem Erlös die Lieferanten bezahlen.

»Er lebt also von der Hand in den Mund«, stellt die Konkurrenz fest. Wirtschaftsexperten machen Müller daraus einen Vorwurf. Man könne heute einen 1000-Mann-Betrieb (Müller hat neben Wipperfürth noch eine Hosenfabrik mit 100 Arbeitern in München-Gladbach) nicht auf kurzfristige Umsätze basieren. Jeder Rückgang bringe das ganze Kalkulationssystem ins Wanken.

Müllers letzter Pfeil gegen die Einzelhändler traf ins Schwarze. »10 Prozent Rabatt«, stand vor einigen Wochen auf den Preisschildern seiner Konfektionsanzüge.

»Unerhört«, schlug Nordrhein-Westfalens Einzelhändlerverband auf den Tisch. »Nach dem Rabattgesetz dürfen Einzelhändler nur mit drei Prozent heraufgehen.« Maßnahme: Einstweilige Verfügung beim Gericht. Müller mußte auf 34 gerichtliche Beschlüsse seine Rabattschildchen in allen Städten wieder einsammeln. Da senkte er die Preise einfach um 10 Prozent. »Umgehung des Rabattgesetzes«, nannte das der Einzelhandel wütend.

»So ein Unsinn«, schimpft Querkopf Müller. »Wir haben ganz einfach festgestellt, daß unsere Fabrikation billiger wurde und senkten die Verdienstspanne entsprechend. Wieso kann man die Preise nicht so senken wie man will?«

Daß Müller bei der Einrichtung seiner 54 Filialen zu scharf ans Kapital heranging, machte sich bemerkbar, als ihm die Kölner Kreissparkasse einen Kredit von 100000 DM abschlug. Damit hatte Müller die Importstoffe bezahlen wollen, die im Gegensatz zu den deutschen Rohmaterialien nicht auf Kredit gegeben werden.

Daß Kreditsucher Müller vor verschlossene Türen stieß, bucht er auf das Rachekonto der Konkurrenz. »Nordrhein-Westfalens Einzelhandelsverband hat seine Büros in der Kölner Kreissparkasse aufgemacht, - Kommentar überflüssig!«

Sechs Tage lang suchte der Preissenkungs-Chef Geld. Als er es nicht bekam, drohte Müller: »Die in Bonn sollen schon sehen, wie sich die Verweigerung eines 100000-DM-Kredits in der Wirtschaft auswirkt.«

Mitte März schloß er seinen Betrieb. Mit Genehmigung des Landesarbeitsamtes Nordrhein-Westfalen. Aber der Handel jubelte zu früh. Alfons lachte zuletzt.

Mit hundertprozentig reiner Woll-Konfektion tauchte er noch rechtzeitig zum Frühjahrsgeschäft aus dem Konkursnebel wieder auf Ohne Behördenkredite. »Bereitwillige« Textillieferanten hatten dem Fließbandschneider mit Importstoffen unter die Arme gegriffen.

»Das waren«, sagt Müller, »ausgerechnet Ausländer«.

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