Neokolonialismus in Afrika "Großinvestoren verdrängen lokale Bauern"
SPIEGEL ONLINE: Herr De Schutter, immer mehr private und staatliche Investoren kaufen Anbauflächen in ärmeren Ländern auf, um dort Nahrungsmittel anzubauen. Woher kommt dieses plötzliche Interesse an Landwirtschaft?
De Schutter: Alle wissen, dass die Preise für Nahrung in der Zukunft steigen werden. Die wichtigste Lektion der Nahrungskrise des vergangenen Jahres war, dass die ressourcenarmen Länder sehr verletzlich sind. Das ist der Grund, weshalb die reichen Länder am Golf etwa und Libyen, die unter Wassermangel leiden, aber auch China, jetzt Land aufkaufen: Sie fürchten genau diese Abhängigkeit. Sie ermutigen deshalb private Investoren, Land aufzukaufen oder langfristig zu pachten. Und wenn Fonds investieren, dann geht es oft einfach um Spekulation. Die Spekulanten glauben daran, dass der Preis für Ackerland steigen wird, und sie haben Recht.
SPIEGEL ONLINE : Die Staaten lagern also ihre Risiken auf die Entwicklungsländer aus?
De Schutter: Ja, das tun sie, und das ist sehr problematisch. Es ist ein bekanntes Muster, dass Entwicklungsländer für die reichen Staaten produzieren. In der Vergangenheit waren das Produkte wie Kaffee, Kakao, Tabak, Baumwolle, Zucker. Exportgüter, zugeschnitten auf unsere Bedürfnisse. Jetzt bauen sie eben Mais, Weizen und Palmöl an. Das Problem ist, dass diese Länder immer stärker abhängig werden vom Weltmarkt. Je mehr sie für den Export produzieren, desto mehr Nahrung müssen sie für den eigenen Verbrauch importieren. Wir werden daher in Zukunft öfter die Situation erleben, dass Sudan, die Republik Kongo oder Äthiopien Mais und Biotreibstoff exportieren, aber Schwierigkeiten haben, ihre eigene Bevölkerung zu versorgen.
SPIEGEL ONLINE : Und die afrikanischen Staaten haben offenbar nichts gegen ihre Kolonisierung, im Gegenteil.
De Schutter: Aus diesem Grund führt das Wort Neokolonialismus ein wenig in die Irre. Schließlich heißen diese Staaten die Investoren willkommen, sie haben ja, wenn man ehrlich ist, auch gar keine Wahl. Seit 30 Jahren wird viel zu wenig in Landwirtschaft in diesen Ländern investiert, jetzt hoffen sie, dass die Investoren Kapital mitbringen, moderne Technologie einführen und Jobs schaffen.
SPIEGEL ONLINE : Eine trügerische Hoffnung?
De Schutter: Nur ein halbes Prozent der Farmen sind über 100 Hektar groß, 85 Prozent dagegen verfügen über zwei Hektar oder weniger. Wenn jetzt ausländische Investoren ins Land kommen, um große landwirtschaftliche Betriebe mit Tausenden Hektar Land zu gründen, verschärfen sie die Konkurrenz um Land, um Wasser, um politischen Einfluss.
SPIEGEL ONLINE : Gibt es Beispiele, wo Großinvestoren die lokalen Bauern verdrängen?
De Schutter: Nehmen sie Mali, wo Libyen im großen Stil investiert und Weizen anbaut. Die Bauern werden da aus dem fruchtbaren Niger-Delta in Gegenden verdrängt, in denen sie keine natürliche Bewässerung haben. Da werden sie natürlich weniger ernten. Das beste Land dagegen wird für die Exportproduktion genutzt. Oder nehmen Sie die Demokratische Republik Kongo: Die Regierung will offenbar zehn Millionen Hektar Land an südafrikanische Farmer verpachten, die ins Land kommen sollen. Das wird sicher kaum positive Folgen für die lokale Bevölkerung haben.
SPIEGEL ONLINE : Könnten die Landkäufe also am Ende zu noch mehr Hunger führen?
De Schutter: Jeder zweite Hungernde auf der Welt ist Kleinbauer. Wenn sie weniger Zugang zu Land und Wasser haben, wirkt sich das direkt auf die Zahl der Hungernden aus. Das Risiko ist groß, dass viele Menschen durch diese Landdeals noch weiter in die Armut gedrückt werden. Ich glaube, diese Deals sind nicht immer negativ, aber wir müssen sehr aufpassen.
SPIEGEL ONLINE : Worauf kommt es an?
De Schutter: Zuerst mal auf die Art, wie diese Verträge gemacht werden. Da die Staaten in Afrika miteinander um Investoren konkurrieren, unterbieten sie sich gegenseitig in ihren Forderungen. Sie schreiben den Investoren keine Auflagen vor, um sie nicht abzuschrecken. Die Verträge, von denen wir wissen, sind drei Seiten lang - für manchmal Hunderttausende von Hektar Land. Und auf diesen drei Seiten werden oft nur die Anbauprodukte und das Gebiet festgelegt, aber es gibt keine Vorschriften für den Investor. Keine Umweltstandards oder die Bedingung, dass er Arbeitsplätze schaffen muss. Da steht auch nichts über die Beziehung zu den lokalen Gemeinden drin, die werden oft noch nicht mal informiert. Dazu kommt, dass diese Verträge oft total intransparent sind, das ist der Nährboden für Korruption.
SPIEGEL ONLINE : Wie kann man überwachen, dass korrupte Regierungen ihr Land nicht meistbietend verschachern?
De Schutter: Was wir brauchen ist eine multilaterale Kontrolle. Die Afrikanische Union und die Weltbank arbeiten an Regeln, aber bis sie wirklich greifen, wird es Jahre dauern, wenn wir ehrlich sind. Daher müssen wir nutzen, was wir haben: Menschenrechte und existierende Überwachungsgremien.
SPIEGEL ONLINE : Die Landkäufer argumentieren gerne, sie würden nur ungenutztes Land erwerben. Stimmt das?
De Schutter: Ich bin sehr skeptisch, was die Rede vom "ungenutzten Land" angeht. In vielen Fällen halten die Menschen auf diesem Land Vieh - 120 Millionen Hirten und Viehhalter gibt es weltweit, die Hälfte davon lebt im Afrika südlich der Sahara. Dieses Land ist also extrem wichtig für die lokale Bevölkerung.
SPIEGEL ONLINE : Ein anderes Argument ist, dass nur durch industrielle Landwirtschaft in Afrika und Asien genug Nahrung für die voraussichtlich 9,1 Milliarden Menschen im Jahr 2050 produziert werden kann.
De Schutter: Seit dem zweiten Weltkrieg haben wir die Erträge erhöht, die Folgen sind Desertifikation, Klimawandel und die Erschöpfung der Grundwasserreserven. Das führt dazu, dass die Produktionskapazität im Jahr 2080 schätzungsweise drei bis vier Prozent niedriger sein könnte als zur Jahrtausendwende - mit einer Bevölkerung, die bis dahin um 35 Prozent gestiegen sein wird. Im südlichen Afrika werden die Erträge beim Regenfeldbau von 2000 bis 2020 um bis zu 50 Prozent sinken. 2020! Das ist in elf Jahren! Wir müssen realisieren, dass wir 50 Jahre lang Nahrung auf Kosten der Natur und der natürlichen Ressourcen produziert haben. Das kann nicht so weiter gehen.
SPIEGEL ONLINE : Verschärfen ausländische Investoren den Raubbau an der Natur?
De Schutter: Ja, die können immer wieder gehen, nach zehn, fünfzehn Jahren. Für sie ist es keine Frage von Leben und Tod, den Boden zu schützen. Wir wissen, dass nachhaltige Landwirtschaft nur attraktiv ist für die lokale Bevölkerung, die an die Erde gebunden ist. Ich war in Burkina Faso, in Benin, wo sie Baumwolle für den Export produziert haben. Die Erde ist tot, vollständig tot. Da kann man nichts mehr kultivieren.
SPIEGEL ONLINE : Nachhaltigkeit ist also wichtiger als Menge?
De Schutter: Im Januar 2008 gab es 923 Millionen Hungernde, jetzt haben wir gerade die Milliardengrenze überschritten. Der Grund ist nicht, dass wir zuwenig Nahrung haben, im Moment zumindest nicht. Der Grund ist, dass es auf dieser Welt zu viel Ungleichheit, Diskriminierung und Marginalisierung der Armen gibt. Meine Botschaft ist daher: Ja, wir müssen mehr produzieren, aber nicht um jeden Preis. Denn es besteht die große Gefahr, dass wir die Produktion auf Kosten der Ärmsten erhöhen, soziale Rechte einschränken und den Klimawandel beschleunigen. Aber wenn wir das tun, dann verlieren wir den Kampf gegen den Hunger.