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Medien Nerven blank

Der Bauer Verlag gab sein ehrgeizigstes Projekt auf: Das Nachrichtenmagazin Ergo wird nicht erscheinen.
aus DER SPIEGEL 5/1996

Der eisige Ostwind blies den zwei Kaufleuten ins Gesicht, als sie vergangenen Freitag um elf Uhr die Firmenzentrale in Hamburg verließen.

Nach einem kurzen Fußmarsch zu einem wenige hundert Meter entfernten Bürohaus hatte das Duo den kurzfristig zur Vollversammlung gebetenen knapp hundert Mitarbeitern der Zeitschrift Ergo böse Botschaften zu verkünden.

Das Projekt werde nicht fortgesetzt, erklärte Verleger Heinz Bauer, 56, er wolle das geplante Nachrichtenmagazin Ergo nicht auf den Markt bringen.

Der Chef nahm alle Schuld auf sich. Es sei ihm nicht gelungen, das »redaktionelle Führungsproblem« zu lösen und einen geeigneten Chefredakteur zu finden. »Ich kann Ihnen keinen guten Tag wünschen, denn es ist kein guter Tag«, sagte er den konsternierten Redakteuren. Dann ging er mit Verlagsmanager Manfred Braun zurück in die Kälte.

Das Verlegerwort beendete, nach fast zwei Jahren, ein einst hoffnungsvolles Projekt. Im Markt der Nachrichtenmagazine wollte Bauer die beruflichen Aufsteiger als Leser gewinnen und den großen Werbekunden teure Anzeigen verkaufen. »Montag ist Generationswechsel«, warb der Verlag in Anzeigen für sein »Nachrichtenmagazin der neuen Dimension«, das die Zukunft des Unternehmens sichern und neue Geschäftsfelder erschließen sollte.

Noch immer ist Bauer, mit einer Auflage von wöchentlich über 20 Millionen Exemplaren, Europas größtes Zeitschriftenhaus. Doch allzusehr hängt der Erfolg an Massenblättern für Frauen und Fernsehfans - und diese Objekte haben es in einem fast gesättigten Markt immer schwerer.

Klassiker wie Fernsehwoche oder Neue Revue sind in die Jahre gekommen und verloren massiv an Auflage. Und bei den Anzeigenkunden für höherwertige Produkte hat Bauer nur mit dem 1991 gestarteten Blatt TV Movie einen Trumpf in der Hand.

Im vergangenen Jahr verlor der Verlag 30 Millionen Mark brutto an Werbeerlösen. Insgesamt kommt der Umsatz des Hauses nicht mehr über knapp 2,9 Milliarden Mark hinaus, 1995 ging er sogar zurück. Auch der Gewinn - 1993 schätzungsweise noch bei stattlichen 500 Millionen Mark - ist unter Druck.

»Unser Kerngeschäft leidet unter dem Strukturwandel der Medien«, begründete Bauer vor seinen Führungskräften die Notwendigkeit, neue Qualitätsblätter zu entwickeln. Die daraufhin gestartete Zeitschrift TV pur scheiterte im Frühjahr 1995 nach nur drei Monaten.

Mit einer angepeilten Auflage von 500 000 Exemplaren sollte Ergo aus der Flaute helfen. Bauer habe »ein deutsches Newsweek« geplant, sagt der frühere Welt-Chefredakteur Manfred Schell, den der Verlag vergebens als Redaktionsleiter verpflichten wollte.

Kämpferisch hatte Bauer dem Objekt zunächst den Arbeitstitel Feuer gegeben. Doch immer wieder verschob der zaudernde Verleger den ursprünglich für Herbst 1994 geplanten Startschuß.

Rund zwei Dutzend Nullnummern produzierte die zunehmend frustrierte Redaktion. Doch Bauer war nie zufrieden, und auch die Testresultate des Marktforschers Karl-Heinz Kehrmann ermunterten ihn nicht. Der Verleger fürchtete, es könne ihm mit Ergo ergehen wie dem Erzrivalen Gruner + Jahr mit Tango: Diese Info-Illustrierte verschwand nach acht Monaten vom Kiosk.

Die ewige Warterei und chaotische Entwicklungsarbeit verschliß Dutzende Redakteure sowie die beiden Ergo-Chefs Hartmut Volz und Michael Gatermann. Verlagsmanager Will Blok, auch für das Nacktblatt Praline zuständig, übernahm kommissarisch die Chefredaktion.

Ein namhafter Journalist für die Führung fand sich jedoch nicht. Der Plan, den Woche-Chefredakteur Manfred Bissinger für 1,3 Millionen Mark Jahresgehalt zu verpflichten, scheiterte am dichten Verkehr: Den Termin zum Vertragsabschluß Anfang November im Hamburger Restaurant Cölln's Austernstuben mußte Bauer platzen lassen, weil er auf der Rückfahrt von Magdeburg im Stau steckte.

Drei Tage später kaufte sich Focus-Verleger Hubert Burda bei der angesehenen, aber wirtschaftlich schwachen Woche ein - und Bissinger blieb bei seiner Zeitung. »Die von Bauer haben schrecklich viel Geld geboten«, kommentiert der Journalist, »aber ich konnte mein Kind nicht sitzenlassen.«

Nun suchten die Ergo-Manager beispielsweise in der Chefetage des Stern, wurden jedoch auch dort nicht fündig. Die Kandidaten hätten zuviel Geld gefordert und zuwenig Risikobereitschaft gezeigt, offenbarte Bauer der Redaktion mit brüchiger Stimme. Personalchef Ulrich Hörle: »Beim Verleger liegen die Nerven blank.«

Sein »Herzblut« habe er in Ergo gesteckt, sagte Bauer über den Flop, der ihn schätzungsweise über 50 Millionen Mark kostet. Der Betriebsrat wettert, das Ende von Ergo sei »das Ergebnis grober verlegerischer Fehlentscheidungen": Schließlich habe Bauer dem Objekt in der letzten Phase sogar erstmals Marktreife attestiert.

»Man kann die Unternehmenskultur nicht innerhalb eines halben Jahres umdrehen«, sagt Ex-Chef Volz über den mißlungenen Ausflug in die Qualitätspresse. Nun muß sich Bauer erst einmal wieder auf sein Stammgeschäft konzentrieren. Auch hier hat er mit seinem lädierten Image zu kämpfen.

»Immer wieder hat man uns hingehalten«, ärgert sich Manager Fred Elker von der Agentur Initiativ Media über die Informationspolitik des Verlages, »Bauers Glaubwürdigkeit hat auf lange Zeit gelitten«. Es reichte eben nicht, nur auf den attraktiven Anzeigenmarkt zu schielen, urteilt Focus-Chefredakteur Helmut Markwort: »Man muß den Lesern eine überzeugende Idee bieten.«

So schnell wird Verleger Bauer die Erinnerung an den Flop nicht los. Jeden Morgen, wenn er in die Tiefgarage fährt, blickt er auf das Reklamebild eines Geschäfts für ergonomisch geformte Büromöbel. Es heißt wie sein einst liebstes Projekt: »Ergo«. Y

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