Neue Hacker "Cyber-Kriminalität ist ein Milliarden-Geschäft"

Die gefährlichsten Hacker sind nicht mehr irre Computer-Kids, die das Pentagon lahmlegen wollen. Heute tummeln sich im Internet gewiefte Kriminelle, die auch ganz normale User trickreich abzocken, sagt Natalja Kasperskaja, Chefin von Kaspersky Lab, im SPIEGEL-ONLINE-Interview.

SPIEGEL ONLINE: Frau Kasperskaja, kürzlich gab es Warnungen des US-Heimatschutzministeriums, dass al-Qaida virtuelle Anschläge auf die gesamte Finanzbranche plane. Sind solche Terrorattacken denkbar?

Kasperskaja: Denkbar ist alles. Aber Großbanken oder auch Ministerien beschäftigen die Besten der Besten der IT-Welt, um sich zu schützen. Einen solchen Angriff könnten nur absolute Profis planen, und selbst dann würde es noch Jahre dauern und nur mithilfe von Spionen vor Ort funktionieren. Ich glaube, eine viel realistischere Gefahr stellen die Hacker dar, die mithilfe ihrer Attacken Geld machen wollen.

SPIEGEL ONLINE: Von Viren wie "I Love You" oder "Sasser", die Millionen Computer lahmlegten, hat man aber doch lange nichts mehr gehört.

Kasperskaja: Das liegt schlicht und ergreifend nur daran, dass sich die Qualität der Angriffe verändert hat. Früher versuchten ein paar Verrückte, die Schwäche von Systemen aufzuzeigen, als Hobby. Heute attackieren Kriminelle Computer und Systeme ganz gezielt, um Geld zu verdienen. Darum konzentrieren sie sich auf kleinere Netze.

SPIEGEL ONLINE: Die verrückten IT-Kids, die das Pentagon lahm legen wollen, gibt es also gar nicht mehr?

Kasperskaja: Es gibt noch einige, aber sie sind nicht mehr die hauptsächliche Gefahr. Die ausgefeilten Sicherheitsvorkehrungen, die es inzwischen gibt, können nur Profis überlisten. Und die wollen Geschäfte machen. Deshalb konzentrieren sie sich auf Spionagesoftware, die sich unbemerkt auf fremden Computern einnistet.

SPIEGEL ONLINE: Wie lässt sich so das große Geld machen?

Kasperskaja: Die bekannte Methode ist der Raub von Online-Bankkonten. Aber oft werden auch Firmen-Daten verschlüsselt und nur gegen Geldzahlungen frei gegeben. Manche Hacker stehlen auch Informationen und erpressen die Firmen damit oder verkaufen sie weiter. Und nicht zu vergessen: die Spam-Industrie.

SPIEGEL ONLINE: Ist Spammen nicht ein ziemlich mühsames Geschäft? Es gibt doch fast niemanden mehr, der noch auf diese Mails hereinfällt.

Kasperskaja: Das Business ist trotzdem ausgesprochen lukrativ. Natürlich klicken relativ gesehen nur wenige Empfänger Spam-Mails an - vielleicht ein oder zwei Prozent. Nur: Wenn sie eine Million Mails verschicken, kostet das vielleicht 500 Dollar. Wenn dann 10.000 Leute draufklicken und 100 Menschen kaufen sogar etwas oder lassen sich auf einen dieser dubiosen Geschäftsvorschläge ein, dann hat es sich schon richtig gelohnt. Umgekehrt ist es fast unmöglich, Spammer oder auch Interneterpresser zu finden. Insgesamt werden durch Internetkriminalität unseren Schätzungen zufolge jährlich rund Dutzende Milliarden Dollar gemacht.

SPIEGEL ONLINE: Hört sich ein bisschen nach Panikmache an.

Kasperskaja: Ein spektakulärer Fall zeigt, wie sehr dieses Geschäft blüht. In Brasilien wurden vergangenes Jahr 85 Hacker verhaftet, die in ein Banksystem eingedrungen waren. 33 Millionen Dollar haben sie von Online-Konten abgeräumt.

SPIEGEL ONLINE: Muss man sich die Hacker von heute als große internationale Mafia vorstellen?

Kasperskaja: Wie viele Gruppen sich da so tummeln, weiß ich nicht, ich kenne nur die Produkte, die sie herstellen. Fest steht: Das ist eine richtige Industrie. Da gibt es nicht nur Programmierer mit den unterschiedlichsten Spezialgebieten, sondern auch Manager, die alles organisieren, und Leute, die sich auf den Verkauf und die Kundenbetreuung konzentrieren.

SPIEGEL ONLINE: Wer sind die bevorzugten Opfer dieser Gangster?

Kasperskaja: Vor allem kleine Firmen, die längst alles per Computer machen, aber sich selten ausreichend schützen. Ihre Internetseiten sind oft unglaublich leicht zu knacken. Neulich habe ich auf der Homepage einer russischen Werbeagentur plötzlich Anzeigen irgendwelcher Hacker gefunden - ein letztlich harmloses Beispiel, das aber die Verletzlichkeit solcher Seiten zeigt. Von einem Großteil der Verbrechen, die auf ähnliche Weise begangen werden, hört man nur nichts. Weil die Opfer jedes öffentliche Aufsehen vermeiden wollen und deshalb Erpressern im Zweifelsfall oft lieber die geforderten Summen zahlen.

SPIEGEL ONLINE: Wie gefährdet sind Computer von Privatpersonen?

Kasperskaja: Menschen wie Sie und ich sind vor allem gefährdet, wenn wir etwas über das Internet kaufen oder an Sportwetten teilnehmen. Oder aber wir werden als Zombies missbraucht. Hacker installieren gern unbemerkt Software auf ein paar hundert Privat-PCs, dann wird Spam von dort versendet, ohne dass die Besitzer es merken. Solche Netze werden sogar vermietet.

SPIEGEL ONLINE: Ihr Unternehmen legt sich da mit ziemlich bösen Buben an - ist ihr Job gefährlich?

Kasperskaja: Das Arbeitsumfeld ist sicher nicht besser geworden in den letzten Jahren. Aber bedroht wurde ich noch nie.

SPIEGEL ONLINE: Bei Ihnen stehen also nicht unzählige Bodyguards vor der Haustür und in der Firmenzentrale?

Kasperskaja: Nein. Das Gute ist: Es gibt bestimmt 35 Anbieter von Virenschutz, jeder hat ein Management und Hunderte von Entwicklern. Diese Menschen können gar nicht alle umgebracht werden. Wir attackieren die Gangster mit Technologie - und sie uns auch. Unsere Website zum Beispiel wird täglich angegriffen.

SPIEGEL ONLINE: Aber ist das Arbeiten in Russland nicht besonders gefährlich? Auf Außenstehende wirkt das Land zurzeit wie der Wilde Westen des 21. Jahrhunderts – der Vize-Notenbankchef wurde erschossen, der Ex-Agent Litwinenko vergiftet.

Kasperskaja: Das sind Einzelfälle, die in den Medien sehr präsent und deshalb vollkommen überbewertet waren. Als russische Geschäftsfrau kann ich sagen: Vor zehn Jahren war die russische Business-Welt tatsächlich recht wild, da galten Gesetze wenig. Aber inzwischen werden Steuern bezahlt, die meisten Branchen sind sauber. Die Wirtschaft blüht sogar, wir sind in ungeheurer Aufbruchstimmung. Wir sitzen uns bei Meetings nicht mit dem Colt in der Hand gegenüber, das sind Klischees.

SPIEGEL ONLINE: Schadet dieses schlechte Image Kaspersky als Verkäufer von Sicherheit im Ausland?

Kasperskaja: Das hängt vom Land ab. Deutschland ist der größte Markt für uns, da hält man viel von russischen Technologien. In Asien bevorzugt man sie sogar gegenüber amerikanischen Produkten, wahrscheinlich aus der politischen Tradition heraus. In den USA hingegen lassen wir unsere russische Herkunft beim Marketing so gut es geht außen vor. Und letztendlich wächst unser Auslandsgeschäft mit 85 Prozent weit stärker als das Inlandsgeschäft.

SPIEGEL ONLINE: Viele Virenspezialisten haben Smartphones und PDAs als neue Angriffsflächen der Zukunft ausgemacht. Kaspersky hat bisher allerdings nur PDA-Programme heraus gebracht. Verpassen Sie nicht den Trend der Zukunft?

Kasperskaja: Wir bringen im nächsten Geschäftsjahr eine Smartphone-Lösung. Die Gefahr von Handyviren ist aber vollkommen übertrieben worden, auch von großen Software-Herstellern wie F-Secure. Das ist schlecht fürs Image und hilft niemandem.

SPIEGEL ONLINE: Es werden jetzt die ersten Nokia-Smartphones erscheinen, auf denen F-Secure-Software als Standard aufgespielt ist.

Kasperskaja: Wir verhandeln zurzeit ebenfalls mit zwei großen Handy-Herstellern über ein ähnliches Programm. Grundsätzlich soll unser Schwerpunkt aber auch in Zukunft auf Unternehmens-Software liegen.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben auf dem Virenschutz-Markt einen mächtigen neuen Konkurrenten bekommen: Microsoft. Macht Ihnen ein solcher Gegner Angst?

Kasperskaja: Nein, Microsoft wird auf dem Markt keine Großmacht werden. Das Virenschutz-Business ist unheimlich schnell, da haben es kleine Spieler leichter. Wir müssen auf neue Bedrohungen innerhalb von Stunden reagieren, unsere Anti-Spam-Software etwa wird alle 20 Minuten aktualisiert. Bei einem Riesen-Konzern wie Microsoft mahlen die Mühlen langsam. Und Microsoft steht auch sehr im Fokus der Öffentlichkeit.

SPIEGEL ONLINE: Was ist schlecht daran?

Kasperskaja: Microsoft darf sich weniger Fehler erlauben. Als das neue Schutzprogramm für PC aus Versehen Google-Mail als Virus klassifizierte, stand das sofort in unzähligen Zeitungen. Eine PR-Katastrophe, die uns so nicht passiert wäre. Höchstens bei normalen PC-Benutzern, die bisher überhaupt keinen Virenschutz benutzt haben, werden die Microsoft-Angebote eine echte Chance haben. Und das kann ich nur gut finden, schließlich macht es die Welt wieder ein bisschen sicherer.

Das Interview führte Anne Seith

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