Neuer Bahn-Chef Grube beendet das System Mehdorn
Hamburg - Dass im Bahntower neue Zeiten angebrochen sind, ist nicht zu übersehen: Auf einem Tisch direkt am Eingang des Presseraums liegen die Berichte über die Spähaffäre in großen Stapeln, einsehbar für jedermann. Sie tragen zwar noch den Vermerk "streng vertraulich". Doch spätestens, als der Bahn-Sprecher zu Beginn der Pressekonferenz nochmals zum Mitnehmen auffordert, wird klar: Die Bahn will Schluss machen mit der Heimlichtuerei.

Neuer Bahn-Chef Grube, Vorgänger Mehdorn: "Neustart einer neuen Unternehmenskultur"
Foto: REUTERS; DDPNoch vor Wochen bekamen Fachpolitiker und Journalisten jene Berichte der Sonderermittler über die Datenaffäre bei der Bahn nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit zugesteckt. Denn in ihnen stand, was Aufsichtsratchef Werner Müller am Mittwoch erstaunlich flapsig kommentierte: "Es ist der größte Mist über Jahre geschehen."
"Neue, vertrauensvolle Zusammenarbeit"
Was das konkret heißt, haben die Ermittler der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG sowie der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) und die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) auf 190 Seiten detailliert aufgelistet. Danach hat der Konzern mehrfach in großem Umfang die Daten der Beschäftigten und teils ihrer Angehöriger mit denen von Lieferanten abgeglichen. Außerdem hat die Konzernsicherheit E-Mails der Mitarbeiter routinemäßig auf ihre Empfänger und Inhalte überprüft. Festplatten und Netzlaufwerke auch mit privaten Daten wurden durchsucht. Über Detektive hat sich der Konzern Kontoauszüge und Daten über Kontobewegungen sowie Steuerdaten verschafft.
Das war bereits bekannt - neu dagegen ist das Verhalten des Konzerns: Anders als der kürzlich zurückgetretene Vorstandschef Hartmut Mehdorn versucht der neue Bahn-Chef Rüdiger Grube nicht, die Verstöße gegen Datenschutzbestimmungen, das Betriebsverfassungsgesetz und interne Richtlinien zu beschönigen. Die Untersuchung der Datenaffäre im Konzern habe "klar gezeigt, was längst überfällig war: die Schaffung einer neuen, vertrauensvollen Zusammenarbeit" im Unternehmen, sagte er. Jetzt müsse ein "Neustart einer neuen Unternehmenskultur" her, er entschuldigt sich bei seinen Mitarbeitern und kündigt die Zusammenarbeit mit Staatsanwaltschaft und Datenschutzbehörden an.
Doch damit nicht genug: Dass er einen radikalen Neuanfang plant, macht Grube mit Personalentscheidungen klar, die das System Mehdorn endgültig beenden: Gleich vier Vorstände müssen die Bahn verlassen, auch wenn sie, wie Müller und Grube betonen, keine "persönliche Schuld" treffe. Trotzdem werden Margret Suckale, Norbert Bensel, Norbert Hansen und Otto Wiesheu gehen - bereits zum 31. Mai räumen die Mehdorn-Vertrauten ihre Posten. Außerdem trennt sich das Unternehmen von seinem Leiter der Konzernrevision Josef Bähr, dem Sicherheitschef Jens Puls sowie dem Antikorruptionsbeauftragten Wolfgang Schaupensteiner.
Damit ist klar: Grube redet nicht nur vom "Neuanfang" - er will ihn wirklich. Vor allem, damit politisch endlich wieder Ruhe einkehrt bei dem Konzern, der seit Wochen und Monaten durch Negativschlagzeilen auffällt. Der ehemalige Daimler-Manager macht dabei nicht bei Personen halt, sondern will auch die Strukturen ändern: In Zukunft sollen die Bereiche Compliance, Datenschutz und Recht in einem neuen Vorstandsressort zusammengefasst werden, teilte er am Mittwoch weiter mit. Die Bereiche IT und IT-Revision sollen überprüft und neu organisiert werden, ebenso wie die Konzernsicherheit.
Konzern soll modernisiert werden
Denn tatsächlich geht es Grube nicht nur darum, Politik und Öffentlichkeit mit dem Staatskonzern zu versöhnen. Es geht ihm auch darum, das Unternehmen grundlegend zu modernisieren. "Der Bereich Governance ist in vielen Branchen bereits etabliert - was die ethischen Unternehmensgrundsätze angeht, hinkte die Bahn bisher hinterher", sagt etwa Heino Ruland, Analyst bei Frankfurt Finanzpartner. Die alte Struktur habe heutigen Kapitalmarktregelungen nicht entsprochen, mit der neuen Struktur trimme sich der Konzern auf mehr Kapitalmarktfähigkeit.
Dazu kommt: Auf die bisherigen Geschäftsabläufe hat die Umstrukturierung erst mal wenig Einfluss. "Das Herz eines Unternehmens ist der Finanzvorstand - und der bleibt", sagt Ruland. Tatsächlich sieht es so aus, als ob Diethelm Sack dem Konzern erst einmal treu bleiben will: Sack habe, so scherzte Aufsichtsratschef Müller, ein "eheähnliches Verhältnis" mit Mehdorn gehabt und stets betont, wenn dieser ginge, wolle auch er das Unternehmen verlassen: "Das war wie Topf und Deckel." Doch habe Sack ihm eröffnet, dass die ersten Arbeitstage mit Rüdiger Grube sehr fruchtbar gewesen seien. "Und Herr Grube hat mir versichert, er werde ihn immer liebevoll behandeln", so Müller.
Was so scherzhaft rüberkommt, hat einen ernsten Hintergrund: Tatsächlich gilt Sack unter Experten als der Mann bei der Bahn, dem die Investoren trauen. Mehdorn habe eben dieses Vertrauen nie gehabt, ein Weggang von Sack wäre für den Konzern deshalb gravierender, heißt es.
Werden andere Vorstände ausgetauscht?
Allerdings ist mit Grube ein Manager an die Spitze der Bahn getreten, der dieses Vertrauen schnell gewinnen könnte: "Grube hat bei Daimler einen zwar unauffälligen, aber keinen schlechten Eindruck hinterlassen", sagt Ruland. Immerhin habe er als Strategiechef etwa für die Beendigung der Zusammenarbeit mit Chrysler gesorgt und damit Fehler aus der Vergangenheit korrigiert.
Genau das soll er jetzt auch bei der Bahn machen: "Der Umbau der Konzernstruktur ist die einzig vernünftige Reaktion auf den gesamten Datenschutzskandal", sagt auch Kay Mitusch vom Institut für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung an der Uni Karlsruhe. Allerdings seien mit den vier geschassten Vorständen nicht die tragenden Figuren des Unternehmens entlassen worden. "Interessant wird jetzt, ob Grube auch die Vorstände der verschiedenen Bahn-Gesellschaften austauscht - und mit wem."
Dazu aber wollen Müller und Grube nichts sagen. Man habe "hervorragende Persönlichkeiten" im Auge, hieß es am Mittwoch in Berlin. Voraussichtlich bis Ende Mai wolle man diese berufen.
Ein wenig Zurückhaltung nimmt sich also auch die neue Bahnführung noch heraus.