Neuer Volkswagen-Chef Der Rowdy kommt nach Wolfsburg
Berlin - Der Mann lächelt, als könne er kein Wässerchen trüben. Doch der Eindruck täuscht. Martin Winterkorn, amtierender Audi-Chef und designierter Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG, ist berüchtigt für seine raue Tonart. Besonders ruppig geht der passionierte Techniker mit seinen Ingenieuren um, wenn Qualitätsprobleme auftauchen oder eine technische Lösung nicht raffiniert genug ist, um ganz oben im Premium-Segment mitzumischen. "Der Druck ist enorm hoch", gab jüngst ein Audi-Manager in der "Wirtschaftswoche" zu Protokoll.
Doch das alles ist zu ertragen - weil Audi Erfolg hat. Erfolg ist sogar - gelinde gesagt - eine Untertreibung. Noch vor zehn Jahren wurde der Ingolstädter Autobauer belächelt, wenn es um den direkten Vergleich mit den auserkorenen Rivalen BMW und Mercedes ging. Inzwischen jedoch hat Audi aufgeschlossen, in einigen Bereichen sogar überholt. Vielleicht sei es die Detailversessenheit Winterkorns, die entscheidend zum Aufstieg Audis beigetragen habe, verklären manche Ingenieure das schwierige Naturell ihres Chefs.
Für Leute vom Schlage Ferdinand Piëchs gelten Eigenschaften, wie Winterkorn sie mitbringt, sogar als Essential. Der VW-Aufsichtsratschef hat den 59-Jährigen seit langem als Favoriten für den Vorstandsvorsitz bei Volkswagen auf der Liste. Vor sechs Monaten schon, während des Vertragspokers mit Pischetsrieder, hatte er versucht, seinen Schützling durchzuboxen. Damals war er gescheitert.
Jetzt also bekommt Winterkorn seine große Chance. Die Frage ist nur, ob die Rezepte, die Audi nach vorn gebracht haben, auch auf einen Konzern anwendbar sind, bei dem der Name bereits eine Verpflichtung enthält. Unter seiner Ägide baute Audi insbesondere sein Luxussegment aus, großvolumige Motoren mit Leistung ohne Ende zieren die Spitzenmodelle jeder Baureihe. Der jüngste Spross, der Geländewagen Q7, zielt von der Leistung her direkt auf die Konkurrenz aus dem Hause Mercedes, Porsche und BMW. Der handgefertigte Supersportwagen R8 ist sogar noch eine ganze Liga höher angesiedelt.
Auch bei der Entwicklung der Oberklasselimousine Phaeton stand der Schwabe Pate - ein Modell, das bis heute ein Fremdkörper im Volkswagen-Sortiment geblieben ist.
Für Winterkorn spricht jedoch, dass er wie sein Ziehvater Piëch als Techniker reinsten Wassers gilt, den die Perfektionierung eines Golf oder Polo ebenso umtreibt wie die eines R8. Winterkorn ist jemand, den erst die elegante technische Lösung befriedigt - und die kann durchaus darin bestehen, ein Modell wie den Golf trotz aufwendiger Technik so einfach - und damit billig - wie möglich zu produzieren. Kostenträchtige Improvisationen unter dem Blech liegen Winterkorn nicht, das kann man an jedem Audi-Modell feststellen.
Wer Aufsichtsratschef Piëch lediglich mit Luxusautos in Verbindung bringt, tut ihm übrigens Unrecht. Der VW-Patriarch brachte schließlich das erste echte Drei-Liter-Auto auf den Markt. Auch einen Zweisitzer, der mit weniger als einem Liter Sprit 100 Kilometer weit kommt, ließ er entwickeln. Dass diese Überlegungen auch für Winterkorn gelten, belegt sein Fast-Drei-Liter-Auto - der Hightech-Minivan A2, dessen Aluminiumkarosserie für sich schon ein technisches Meisterstück darstellt.
Ökologische Aspekte sind Winterkorn fremd
Es gibt allerdings auch gewichtige Argumente gegen den Techniker Winterkorn: Ökologische Aspekte sind dem Mann fremd. Bis heute tut sich Audi schwer, einen Rußfilter für den meistverkauften 1,9-Liter-Dieselmotor als Nachrüstsatz bereitzustellen. Ein Trend, den die Ingolstädter geflissentlich ignoriert haben. Auch beim Thema Hybrid, der Brennstoffzelle oder dem Wasserstoffantrieb wird Winterkorn einsilbig. Dabei ist sich die Fachwelt einig, dass man mit der herkömmlichen Technik allenfalls noch zehn Jahre hinkommt.
Als Konzernherr von Volkswagen wird Winterkorn nicht nur in dieser Hinsicht Visionen entwickeln müssen. Viel dringlicher ist sogar die Antwort auf die Frage, wie dieses komplizierte Geflecht unterschiedlicher Interessen von Politik, Gewerkschaften und Arbeitgebern mit den betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten in Einklang gebracht werden kann. Weder dem eisenharten Piëch noch dem Diplomaten Pischetsrieder ist es gelungen, die Volkswagen AG nachhaltig auf Kurs zu bringen. Der als "Rowdy" verschriene Winterkorn dürfte hier ein ums andere Mal anecken.
Anders als sein Vorgänger kann Winterkorn sich auch nicht sicher sein, dass der talentierte Sanierer Wolfgang Bernhard ihm loyal zur Seite stehen wird. Bernhard werden ebenfalls Ambitionen auf den Vorstandsvorsitz nachgesagt. Außerdem hat der Mann bereits bewiesen, dass er sich nicht jedem Chef unterordnet.
Auf die Loyalität der Arbeitnehmerseite kann Winterkorn ebenfalls nicht zählen. Das hat das Abstimmungsergebnis vor einem halben Jahr gezeigt, als es im Aufsichtsrat um die Frage ging, ob Pischetsrieder oder Winterkorn das Ruder übernehmen soll. Gerade dieser Fraktion gegenüber wird sich Winterkorn eine mitreißende Zukunftstory einfallen lassen müssen, um die programmierten Widerstände zu überwinden. Denn was nützt es Volkswagen, wenn ein perfekt konstruierter Golf VI nicht gebaut wird, weil die Arbeiter streiken.