Neues Elite-Netzwerk Facebook für Angela Merkel und Tony Blair

Einmal im Jahr reicht den Machern des Weltwirtschaftsgipfels nicht: Sie wollen Davos das ganze Jahr. Virtuell. Auf einer neuen Internetplattform sollen Manager, Politiker und Experten von Weltrang nun chatten und konferieren können - und bei globalen Krisen auch mal schnell entscheiden.

Hamburg - Da mag die Welt durch Internet und Blackberrys noch so klein und vernetzt erscheinen - der Weg zum Weltwirtschaftsforum nach Davos ist oft beschwerlich. Google-Chef Eric Schmidt etwa hinderten im vergangenen Jahr heftige Schneefälle am pünktlichen Erscheinen. Bei der Eröffnungsrede von Angela Merkel blieb sein Stuhl leer.

Kanzlerin Merkel bei der Eröffnungsrede 2007: Bald soll sie im Internet mit Gleichgesinnten plaudern

Kanzlerin Merkel bei der Eröffnungsrede 2007: Bald soll sie im Internet mit Gleichgesinnten plaudern

Foto: AFP

Es gibt Orte außerhalb des auf 1560 Meter Höhe gelegenen Skiorts, an denen die Natur berechenbarer ist, doch die verschneit-romantische Kulisse gehört zum Mythos. Und Konferenzgründer Klaus Schwab schwirrt ohnehin schon eine ganz anderer Plan im Kopf herum, um Managergrößen, Staatenlenker und Wissenschaftler von Weltbedeutung auch außerhalb des jährlichen Monstermeetings zusammen zu bringen. Dieses Jahr bekommt das echte Davos ein virtuelles Pendant: die Internetplattform WELCOM, "eine Art Facebook", sagt Schwab im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Nur eben für die globalen "Decisionmaker", wie Schwab sie nennt. Mitmachen dürfen wie im realen Forum nur die Mächtigsten der Welt - die, die auch Mitglied in der World-Economic-Forums-Stiftung (WEF) sind. Politikergrößen und Topmanager wie Tony Blair, Josef Ackermann oder Merrill-Lynch-Chef John Thain, diese Liga.

Absurderweise erinnert WELCOM auf den ersten Blick tatsächlich an die bekannten Netzwerk- und Freundescommunitys. Jeder Nutzer hat ein Profil, wo er Passfoto, Fachgebiete, Funktionen und "Karrierehighlights" beschreiben kann - oder in der Rubrik "What's on my mind?" erklärt, welche Themen ihn gerade umtreiben. In einem - E-Mail-Kasten liegen die neuesten Nachrichten. Auf der "Global Agenda"-Seite ist zu lesen, was gerade so ansteht: Welche Web-Konferenzen auf WELCOM geplant sind, was es in den Communitys Neues gibt - in der Davos Climate Alliance oder in der Gesprächsgruppe für öffentlich-private Wasserprojekte. Und weil es der dringenden Angelegenheiten weltweit nach Hoffnung der Plattformmacher zu viele geben wird, um einen Überblick auf einer Seite zu schaffen, kann man auf Dutzende Unterseiten klicken. Sie sind nach Weltregionen, Industrien und Themen geordnet.

Schwab hat an das virtuelle Davos genauso unbescheidene Ansprüche wie an das wirkliche: Die Probleme, die die Welt bewegen, sollen diskutiert und analysiert werden. Parallel zu der Internetplattform baute die Forums-Stiftung als "intellektuelles Rückgrat" ein riesiges Expertennetzwerk auf mit jeweils bis zu 20 Fachleuten für Dutzende Themengebiete. Sie sollen das ganze Jahr über auf WELCOM Konferenzen abhalten. 10.000 Mitglieder sollen nach Schwabs Vorstellungen bald zu der Eliten-Community hinzukommen. Und sie sollen mehr als nur ein bisschen chatten: Die Plattform könne "auch für Krisenzwecke" gut sein, findet Schwab gar.

Schließlich kam es im echten Davos immer wieder zu historischen Deals: 1994 verkündeten PLO-Chef Jassir Arafat und Israels Außenminister Schimon Peres dort ein Gaza-Abkommen, Helmut Kohl und der DDR-Ministerpräsident Hans Modrow besprachen in Davos 1989 die Wiedervereinigung. Warum soll das nicht auch im Netz möglich sein?

Technisch jedenfalls ist an alles gedacht: Über eine Videokonferenzseite können sichere Meetings "quasi mit einer unbegrenzten Zahl von Teilnehmern" geschaltet werden, wie Schwab jubelt. Mehr als ein Dutzend Mitglieder können dabei über Webcam verhandeln, alle anderen reden per Chatfunktion oder nur übers Mikrofon mit. "So etwas ist wahrscheinlich einmalig auf der Welt", glaubt Schwab. Unterlagen, Power-Point-Präsentationen, Analysen können mit ein paar Mausklicks für alle zugänglich gemacht werden. Bis hin zu Symbol-Icons wie Daumen hoch, Daumen runter ist an alle möglichen Tools für ein reibungsloses Web-Meeting gedacht.

Man mag trotzdem gewisse Schwierigkeiten mit der Vorstellung haben, dass sich Leute wie Angela Merkel oder Henry Kissinger bald mit Passfoto im Internet für Gleichgesinnte zum Gespräch anbieten. Andererseits haben beim Start des Weltwirtschaftsforums vor fast 40 Jahren wohl auch die Wenigsten gedacht, dass der promovierte Ökonom und Politologe Schwab, dessen Englisch bis heute stark schwäbisch gefärbt ist, einmal beim Anruf im Elysée-Palast direkt zum Präsidenten durchgestellt und von Condoleezza Rice wie ein guter Freund behandelt würde.

Das Meeting auch ins Netz zu holen, davon träumt der 69-jährige Forumsgründer jedenfalls schon seit Jahrzehnten. Ein erster Versuch der World Electronic Community - für die die Abkürzung WELCOM steht - startete 1997, wurde aber drei Jahre später wieder aufgegeben. Auf jedem Computer, der zugeschaltet werden sollte, musste eine spezielle PC-Karte installiert und mit zwei ISDN-Leitungen versehen werden. Ein ungeheurer Aufwand.

Doch inzwischen ist die Technik weiter - und Schwab hat eine Menge reingesteckt in WELCOM. Er holte die ganz Großen der Branche ins Boot: Eineinhalb Jahren werkelten Mitarbeiter von Microsoft  , dem indischen IT-Dienstleister Infosys, der British Telecom, Adobe  , AMD   und der Nachrichtenagentur Reuters   an dem Projekt. Pro bono. Und trotzdem musste Schwabs Stiftung noch rund 1,25 Millionen Euro zuschießen, die Kosten für das neue Experten-Netzwerk noch nicht mitgerechnet.

Mit entsprechendem Pomp soll WELCOM im echten Davos vorgestellt und in Workshops weiterentwickelt werden. Danach wird sich zeigen, ob die Weltelite das Facebook für Mächtige auch annimmt. Derzeit testen um die 100 Probenutzer die Funktionstüchtigkeit - indem sie Sitzungen und Veranstaltungen für das reale Davos vorbereiten. Das geht am 23. Januar los - und soll auch künftig von WELCOM nicht ersetzt, sondern nur ergänzt werden. Nichts geht schließlich über den persönlichen Kontakt. Immerhin: Der Wetterbericht sieht diesmal vielversprechend aus.

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