New Yorks Olympiabewerbung Die wahnwitzige West Side Story
New York - Cocktails im edlen Rainbow Room. Jazz im Time Warner Center. Kutschfahrten durch den Central Park. Dinner beim Bürgermeister. Schlummern im Plaza Hotel, mit Fensterblick auf Christos Kunstwerk "The Gates". Und natürlich überall das unvermeidliche "New York, New York".
Was klingt wie ein teures, leicht abgegriffenes Touristenprogramm, ist in Wahrheit eine Milliardenwette - Ausgang offen. Mit derlei Gefälligkeiten hat New York City vier Tage lang die Auswahlkommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) umschmeichelt, um sich für die Ausrichtung der übernächsten Spiele zu empfehlen. Dazu stellten die Stadtväter den 13 Damen und Herren des IOC einen VIP-Pass für ganz Manhattan aus, welches sich wiederum in verordnetem Olympiafieber zu taumeln mühte.

An Bussen, Taxis, U-Bahnen, Flaggenmasten: Allenthalben prangten die fünf Ringe, während die IOC-Auguren stundenlang herumgekarrt wurden auf einer Art Schnitzeljagd durchs potemkinsche Olympiadorf am Hudson. Denn die eigentlichen Sportstätten existieren ja meist noch gar nicht. Doch das machte New York anderweitig wett. Claqueure jubelten vorm Plaza, Fechter lieferten sich "spontane" Duelle an der Public Library, Dutzende Leuchttafeln am Times Square verkündeten unisono "NYC 2012", Tiffany's dekorierte seine Auslagen entsprechend. Selbst Donald Trump, das Maskottchen New Yorker Dreistigkeit, ließ sich einspannen und bezeugte gestern im güldenen Foyer des Trump Towers seine Liebe zur Damengymnastik, derweil sich die Turnveteranin Nadia Comaneci vor ihm verbog.
Nur noch viertbeste Chance
Etwa drei Milliarden Dollar veranschlagt die Organisationsgesellschaft für Neubauten, Infrastruktur und laufende Kosten in der "Stadt der Träumer" (Eigenwerbung). Unabhängige Experten sprechen gar von bis zu zwölf Milliarden. Doch der teure Traum droht zu platzen, noch bevor er recht Gestalt angenommen hat. Schuld daran ist, wie so oft, jene ortstypische, explosive Mischung aus Geld, Macht und Ego.
Dabei hatte alles bis eben noch so gut ausgesehen. Die 9/11-Sympathiestimme galt klar New York, trotz hochkarätiger Konkurrenz (London, Paris, Madrid, Moskau). Alle Pläne waren fertig, virtuell zumindest. Über 30 Sportarenen, ein olympischer Park in Queens und, als Fundament der ganzen Bewerbung, ein neues, gigantisches Olympiastadion auf der West Side, das sich das Football-Team der Jets zu bauen verpflichtet hat.
Doch damit beginnen die Probleme. Denn ob dieses Stadion, mit dem New Yorks Olympia-Bewerbung nach Angaben von Bürgermeister Mike Bloomberg steht und fällt, nun tatsächlich gebaut wird, ist auf einmal wieder völlig offen - und die 2012-Chancen der Stadt damit auch. Beim Londoner Buchmacher Ladbrokes hat New York inzwischen nur noch die viertbeste Chance. "Das wird ein Zittern bis zum letzten Moment", ahnt der demokratische Landesabgeordnete (und Olympia-Befürworter) Keith Wright.
Letztes freies Bauland
Eigentlich hatten sie ja alles längst ausgetüftelt. Die Jets - an deren Stammhaus der Rost nagt - würden neben den Baukosten von über einer Milliarde Dollar, allein 100 Millionen Dollar für die Bebauungsrechte des West-Side-Geländes am Hudson-Ufer bezahlen. Derzeit ist es eine riesige Industriebrache, die sich im Besitz der Metropolitan Transit Authority (MTA), der Verkehrsgesellschaft des Bundesstaates befindet. Die Behörde betreibt unter anderem auch das New Yorker U-Bahn-System. Staat und Stadt wollten sich weitere 375 Millionen Dollar teilen, um die Schienen zu überdeckeln sowie die Fundamente und das Dach des riesigen Stadions zu konstruieren.
Ein gewagtes Vorhaben: Die Wüste auf der West Side - wie der Architekt der Olympia-Bewerbung, der Vizebürgermeister Daniel Doctoroff, das Grundstück nennt - ist immerhin das letzte, freie Bauland in ganz Manhattan. "Die Leute würden dafür jeden Preis zahlen", weiß der prominente Makler Michael Cohen.
Der Mega-Deal wurde also mit größter Vorsicht in Angriff genommen. Die Verhandlungen liefen diskret zwischen den Jets und der MTA, ohne die lästigen Kommunalbehörden. Der Ex-Senator George Mitchell, der auch den nordirischen Frieden vermittelte, wurde als Verhandlungsführer engagiert - obwohl Kritiker Zweifel an seiner Unparteilichkeit äußerten, da Mitchell zugleich der Aufsichtsratschef von Disney ist, welches über seine TV-Sportsender ABC Sports und ESPN ein großes Interesse am Ausgang dieser Debatte hat.
Sündhaft teurer TV-Feldzug
Doch noch jemand hat ein Auge auf das Grundstück geworfen: der Multimillionär Charles ("Chuck") Dolan. Der über New York hinaus kaum bekannte Patriarch und sein Sohn James leiten Cablevision, ein Medien- und Entertainment-Konglomerat, dem unter anderem auch die Radio City Music Hall sowie die Sportteams New York Knicks (Basketball) und Rangers (Eishockey) gehören. Der ganze Firmenstolz ist jedoch der Madison Square Garden, die wohl berühmteste Sport- und Konzertarena der Welt. Für den Garden - seit jeher der einzige derartige Veranstaltungsort in Manhattan - wäre ein nur zwei Straßen entferntes Olympiastadion existenzbedrohend.
Zunächst bekämpften die Dolans das Stadion also mit einer mehrere Millionen Dollar teuren Werbekampagne, gegen die sich die Stadt ihrerseits mit einem sündteuren TV-Feldzug zur Wehr setzte. Dann zogen sie plötzlich das As aus dem Ärmel - ein Gegenangebot zu den Jets und der City Hall: 600 Millionen Dollar für die Landrechte an der West Side und eine Mischbebauung aus Hotels und Wohnhäusern.
"Ein verzeifelter PR-Trick einer Firma, die alles tun würde, um an ihrem Monopol festzuhalten", schimpfte Jets-Sprecher Matt Higgins. Doch die MTA horchte auf - schließlich leidet sie unter chronischer Geldnot. "So wichtig, wie mir die olympischen Spiele sind", sprach deren Vorsitzender Peter Kalikow, "mein Hauptziel ist, den besten Deal für die MTA zu erreichen." Bravo, sekundierte die "New York Times", die dem Projekt immer schon kritisch gegenüber stand: "Es muss sichergestellt werden, das dass Transitsystem der Region den maximalen Profit erhält."
Vergrätzte Grundbesitzer
Also schrieb die MTA das Olympia-Grundstück kurz vor Eintreffen der IOC-Delegation zur öffentlichen Auktion aus - ein peinlicher Schlag für Bloomberg, die Jets und NYC2012. Bürgerinitiativen und Protestgruppen, die die Pläne der Stadt als gigantomanisch kritisieren und eine Mischnutzung fordern, geben dem Großkonzern Cablevision in seltener Allianz Flankenschutz. "Je mehr wir über deren Vorschlag erfahren", sagt die West-Side-Stadträtin Christine Quinn, "um so vernünftiger und verantwortungsvoller sieht er aus."
Der immer lautere Streit machte den detailliert choreografierten IOC-Besuch zunichte. Dabei ist die West Side Story beileibe nicht der einzige Stolperstein auf dem Weg New Yorks zu 2012. Auch gegen eine geplante Sporthalle in Brooklyn und das neue Schwimmzentrum in Williamsburg gibt es scharfen Gegenwind, teils sind die Grundstücke auch noch in Privathand. "Dies sollte mein erstes Projekt werden, mein Baby", protestiert Menachem Friedfertig, einer der vergrätzten Brooklyner Grundbesitzer. "Es sollten süße Backsteinhäuser werden."
Truthahn und Dünstgemüse
Andere avisierte Stätten, die Bloomberg und Doctoroff dem IOC jetzt vorführten, lassen auf ihre Weise zu wünschen übrig. Zum Beispiel das olympische Dorf in Long Island City, gleich gegenüber von Midtown am East River: Es grenzt direkt an das verseuchteste Gewässer New Yorks, den Newton Creek. Das designierte Beach-Volleyball-Stadion in Greenpoint liegt in einem Industrieviertel, dessen Bewohner oft über Gesundheitsbeschwerden klagen. Im April treiben hier aufgrund der Strömungsverhältnisse regelmäßig die Leichen von Selbstmördern oder Mafia-Opfern an die Flussoberfläche. Die Hafenwache der Polizei nennt das flapsig die "Woche des Treibguts".
Wie Treibgut müssen sich denn diese Woche hier auch die IOC-Juroren vorgekommen sein. Was sie von all dem Hin und Her hielten, das sich während ihrer viertägigen Stadtrundfahrt abspielte, weiß man nicht, denn sie sind zum Schweigen verpflichtet. Zum Finale fuhr Bloomberg gestern Abend jedenfalls noch einmal allerlei Hollywood-Prominenz wie etwa Meryl Streep auf, um die Würdenträger bei Truthahn und Dünstgemüse gnädig zu stimmen. Danach gab es Kekse in Form der Freiheitsstatue. "Wir haben gezeigt, wie wir hier sind in New York", sprach Bloomberg optimistisch. Was die IOC-Delegation natürlich so oder so verstehen kann.