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WOHNUNGSBAU Nicht präzis genug

Die gemeinnützigen Wohnungsfirmen versuchen, sozial schwache Mieter abzuwimmeln. Bonns Bauminister Schneider will die Aufnahme per Gesetz erzwingen. *
aus DER SPIEGEL 40/1983

Helmut Tepper ist zornig auf die Bundesregierung. Ausgerechnet die sich so marktwirtschaftlich gebende Koalition, mosert der Vorstandsvorsitzende des Gesamtverbandes Gemeinnütziger Wohnungsunternehmen, plane staatliche Reglementierungen.

Tepper ärgert sich über den Bonner Wohnungsbauminister Oscar Schneider. Der Minister hat sich mit den gemeinnützigen Wohnungsfirmen angelegt, weil er findet, daß die steuerlich bevorzugten Unternehmen sich nicht mehr richtig um ihre Aufgaben kümmern: Die Firmen, mahnte Schneider, müßten künftig »mehr dazu beitragen«, sozial schwachen Mietern eine Bleibe zu verschaffen.

Schneider steht mit seiner Beschwerde nicht allein. In zahlreichen Gemeinden häufen sich die Klagen, daß gemeinnützige Wohnungsunternehmen sich davor drücken, sogenannte Problemmieter wie Arbeitslose, kinderreiche Familien mit wenig Geld oder Ausländer in ihren Wohnungen aufzunehmen.

Die Wohnungsfirmen ziehen Mieter vor, die zuverlässig zahlen. Sie fürchten sich vor sozialen Spannungen, die sich zuweilen in jenen Gettos, in denen die Ärmsten der Armen leben, in gewalttätigen

Auseinandersetzungen entladen. Außer dem Einsatz vereinzelter Sozialarbeiter, die in derart schwierigen Wohngebieten total überfordert sind, fiel den Wohnungsfirmen zur Lösung des Problems nichts ein. Also versuchen sie, die wenig bemittelten Wohnungssucher von vornherein abzuwimmeln.

Die Gemeinnützigen sind nicht verpflichtet, für ihre rund 900 000 nicht öffentlich geförderten Wohnungen sozial Schwache zu akzeptieren. Gerade diese Wohnungen aber, meist vor dem Krieg gebaut, würden sich besonders eignen, weil die Mieten niedrig sind.

Auch in den 2,4 Millionen öffentlich geförderten Sozialwohnungen der Gemeinnützigen können die Gemeinden schwierige Mieter nicht ohne weiteres unterbringen. In einigen Bundesländern und Ballungsgebieten haben die Kommunen zwar das Recht, drei Mieter vorzuschlagen. Aber es gibt lediglich eine stille Übereinkunft, daß die Gemeinnützigen einen der drei akzeptieren. Eine gesetzliche Handhabe, sie dazu zu zwingen, fehlt bislang.

Die Wohnungsunternehmen müssen bei der Vermietung nur bestimmte Einkommensobergrenzen beachten. Die Firmen bevorzugen Mieter mit einem sicheren Gehalt und möglichst hohem Einkommen. Die sogenannten Problemmieter bleiben meist draußen.

Auch die steigende Nachfrage nach billigen alten Wohnungen sorgt dafür, daß die sozial Schwächsten kaum zum Zuge kommen. Die alten Wohnungen liegen meist zentral, die neuen, teureren Sozialwohnungen an den Stadträndern, so daß die Fahrtkosten zum Arbeitsplatz oder in die Stadt das Wohnen zusätzlich noch verteuern.

Das Angebot an billigen Sozialwohnungen sinkt überdies. Seit 1978 wurden rund 400 000 Sozialwohnungen, zwar meist von Privaten, aber auch von Gemeinnützigen verkauft. In der Mehrzahl erwarben clevere Geschäftemacher die Wohnungen, vertrieben mit unlauteren Methoden die Mieter und wandelten die modernisierungsbedürftigen Objekte in teure Eigentumswohnungen um, die mit vielfachem Gewinn zu verkaufen waren.

Um mehr Geld für neue teure Sozialwohnungen - zu Kostenmieten bis zu 30 Mark je Quadratmeter - freizubekommen, beteiligten sich Bund und Länder daran, den preiswerten Wohnungsbestand abzubauen. Seit 1977 dürfen öffentliche Wohnungsbaudarlehen vorzeitig zurückgezahlt werden. Die vorzeitige Rückzahlung wird sogar mit einem Bonus honoriert. Einzige Bedingung: In Ballungsgebieten darf den Sozialmietern acht Jahre lang nicht gekündigt werden.

Von 1987/88 an, so schätzen daher Bonner Planer, wird das Angebot an Sozialwohnungen drastisch zurückgehen. Die letzten Raten vieler öffentlicher langfristiger Darlehen werden dann fällig. Pro Jahr dürften über 200 000 Sozialwohnungen ausscheiden.

Damit fallen zwar nicht die Mietbindungen weg. Denn auch im freien Wohnungsbau der Gemeinnützigen darf eine bestimmte sozial bemessene Miete nicht überschritten werden. Doch die Gemeinden haben dann überhaupt keine Möglichkeit mehr, auf die Wohnungsfirmen Druck auszuüben: Für Mieter mit wenig Geld werden immer weniger Wohnungen da sein. Schneider schätzt, daß der gesamte öffentliche Wohnungsbestand von annähernd fünf Millionen Wohnungen bis 1995 halbiert sein wird.

Deshalb faßte der Wohnungsminister einen Plan, der Tepper und seinem Verband so sehr mißfällt: Die gemeinnützigen Wohnungsfirmen sollen gesetzlich verpflichtet werden, Problemmieter in ausreichendem Maße aufzunehmen. Als Gegenleistung will sich Schneider bei Finanzminister Gerhard Stoltenberg stark machen, den Gemeinnützigen die Steuerfreiheit zu erhalten. Der Bonner Finanzverwalter hatte bei seiner ständigen Suche nach Einsparmöglichkeiten bereits ein Auge auf die Steuerprivilegien der Neuen Heimat und der anderen gemeinnützigen Firmen geworfen.

Doch so einfach, wie sich Schneider das vorgestellt hatte, lief es nicht. Da im sozialen Wohnungsbau ohne die Länder nichts geht, berief der Minister zunächst eine Bund-Länder-Kommission zur Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts. Die Kommission - einige Mitglieder sitzen in den Aufsichtsräten der Gemeinnützigen - kam im Sommer mit dem erwartet dürftigen Zwischenergebnis über. Zwar sollen die Gemeinnützigen angehalten werden, mit den Gemeinden Verträge über eine soziale Wohnraumversorgung abzuschließen. Eine gesetzliche Handhabe, falls sie sich weigern, oder gar Ordnungsstrafen sieht die Kommission nicht vor. Schneider: »Das ist mir nicht präzis genug.«

Die Experten im Wohnungsbauministerium planen etwas anderes. Wenn die Gemeinnützigen sich freiwillig bereit erklären, einen Teil der Problemmieter unterzubringen, dann sollen sie den Rest ihrer frei werdenden Wohnungen frei vermieten können. Falls sie sich aber weigern, sollen die Kommunen das Recht erhalten, jede zweite frei werdende Wohnung mit sozial Schwachen zu besetzen.

Als Vorbild für diesen Plan gilt das Bremer Modell. In der Hansestadt haben Senat und Landesverband der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen einen Vertrag geschlossen. Darin verpflichten sich die Gemeinnützigen, einen bestimmten Prozentsatz von Problemmietern in ihren Wohnungen aufzunehmen.

Regelmäßig treffen sich Behörden- und Unternehmensvertreter und teilen die besonders sozial schwachen Wohnungssuchenden auf verschiedene Siedlungen auf. Mit ihrer freiwilligen Kooperation verhindern sie, daß bestimmte Wohngegenden zu Gettos für Problemfälle werden.

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