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Nichts läuft ohne Tunnel

Mehr Geld denn je will die Bundesregierung in das Schienennetz der Bundesbahn stecken: In den nächsten zehn Jahren sollen 43,6 Milliarden Mark ausgeworfen werden, knapp 30 Prozent der Gesamtausgaben für den Ausbau des Verkehrsnetzes. In der abgelaufenen Dekade hatte Bonn nur 16,4 Prozent der Mittel für die Bundesbahn abgezweigt. Ob das viele Geld voll genutzt werden kann, ist offen: Ehrgeizige Gleisbau-Projekte sind blockiert.
aus DER SPIEGEL 52/1979

Naturschützer in Niedersachsen warmen vor einer »Todesfalle« für Vögel; Mitglieder von Bürgervereinen in Franken sahen ein »Monster« auf sich zukommen; Gemeindevorsteher in Württemberg riefen zur »Mobilmachung« auf. »Kampf bis zur letzten Patrone« versprach ein Kreisbauernverbands-Vorsitzender.

Schiere Wut, aber auch begründete Furcht gelten einem Projekt, mit dem die Deutsche Bundesbahn den schon vor Jahren verpaßten Anschluß im Personen- und Güterverkehr wiederherstellen will: dem Bau neuer Eisenbahn-Hochleistungsstrecken, zunächst geplant für die Routen Hannover-Würzburg und Mannheim-Stuttgart.

Bis Ende des nächsten Jahrzehnts, so hatten es sich die Planer der Bahn vorgenommen, sollten auf den neuverlegten Trassen Reisezüge mit Tempo 250 Geschäftsleute und Urlauber aus Autos und Flugzeugen auf die Schiene locken. Güter, die bislang in endlosen Lkw-Schlangen über die Autobahnen rollen, wollte die Bundesbahn mit bis zu 160 Stundenkilometer schnellen Zügen in Rekordzeit transportieren.

Seit dem ersten Rammstoß, im August 1973 bei Hannover, für die Neubaustrecke nach Würzburg und dem Baubeginn drei Jahre später bei Mannheim für den Schienenstrang nach Stuttgart blieb die Bahn allerdings auf der Strecke. Von den 327 Kilometer Gleisen der geplanten Verbindung Hannover-Würzburg sind gerade zwölf Kilometer (von Laatzen nach Rethen) verlegt. Und das sind über 150 Kilometer weniger, als die Projektleiter vorgehabt hatten.

Von der 105 Kilometer langen Trasse Mannheim-Stuttgart, auf der die Eisenbahner bereits 1985 die Signale auf Grün schalten wollten, sind erst zehn Kilometer gebaut -- statt der etwa 50 Kilometer, die erforderlich wären, soll der Terminplan eingehalten werden.

Für den Bau der beiden Strecken hatten die Planer der Bahn noch vor fünf Jahren Kosten von fast zwölf Milliarden Mark errechnet; die Preissteigerungen während der angesetzten Bauzeit waren dabei nicht einkalkuliert.

Die Rechnung aber ist längst hinfällig. Nach dem letzten Kostenvoranschlag von 1978 sind es schon 15,3 Milliarden, und die Preise laufen weiter davon.

Denn frühestens mit jeweils fünf Jahren Verspätung werden die Eisenbahner auf ihren neuen Hochgeschwindigkeitsstrecken die Bau-Ziele erreichen. »Wir haben schon jetzt«, klagt Wilhelm Linkerhägner, Chefplaner für die Bundesbahn-Neubaustrecken, »einen riesigen Investitionsstau.«

Daß es dazu kommen konnte, hat triftige Gründe. Die Bahn begann ihr Jahrhundert-Projekt just zu dem Zeitpunkt, da den Bürgern zwischen Flensburg und Füssen, zwischen Köln und Kassel zunehmend die Schäden bewußt wurden, die das hemmungslose Wirtschaftswachstum in der Umwelt angerichtet hatte.

Verschreckt von Erfahrungen mit rücksichtslosen Autobahn-Planierern, sind immer weniger Bürger noch bereit, Verkehrswege widerspruchslos hinzunehmen, die ihnen dereinst nur Dreck und Krach bescheren.

Der Widerstand gegen die neuen Schienenstränge treibt so manchen Umweltschützer in einen Konflikt, in dem das eigene und das übergeordnete Interesse nicht mehr zusammenzufügen sind.

Einerseits nämlich propagieren gerade die Grünen den Schienentransport als energiesparende und umweltfreundliche Alternative zum Automobil und seinen Rollbahnen. Andererseits werden betroffene Bürgersleute zu engagierten Umweltlern, wenn die neuen Bahntrassen hinter ihren Gemüsegärten vorbeiführen sollen.

Die Aussichten, daß die Eisenbahn schon in absehbarer Zukunft mit der Autobahn konkurrieren kann, werden immer geringer. Allein entlang der Strecke Hannover-Würzburg registrierten die Bahnbauer über 40 Bürgerinitiativen, die schon im Raumordnungsverfahren Bundesbahn vorhaben zum Teil erheblich verzögerten.

Auf der Strecke Mannheim-Stuttgart, die in 25 an Gemeindegrenzen orientierte Planungsbereiche eingeteilt ist, gibt es keinen einzigen Abschnitt, auf dem die Bahn nicht mit einer Klage gegen ihr Projekt rechnen muß.

In Baden-Württemberg sind die Trassen-Planer »nach den Kernkraftwerksbauern die beliebtesten Leute«, meint ironisch Erich Fein, Leiter der Projektgruppe Mannheim-Stuttgart.

An Feins Abschnitt haben sich über 1000 Anrainer zur Aktionsgemeinschaft Schnellbahntrasse e. V. zusammengeschlossen. Der Bundesfinanzhof in München hat dem Trutzbund sogar die Gemeinnützigkeit zuerkannt: Spenden sind steuerlich abzugsfähig.

Schon gleich in Schwetzingen, gut zehn Kilometer südlich von Mannheim. ließ die Aktionsgemeinschaft das Bundesunternehmen auf den bisher stärksten Rammbock prallen.

Von der Aktionsgemeinschaft Schnellbahntrasse ermuntert und finanziell unterstützt, klagten fünf Hausbesitzer der Schwetzinger Siedlung Hirschacker gegen die Bundesbahn.

Die Hirschacker-Siedlung liegt eng eingekeilt zwischen einer Autobahn im Westen, der Bahnstrecke Mannheim-Karlsruhe im Norden und einer vier--

* Trasse eingezeichnet.

spurigen Bundesstraße mit Autobahnauffahrt im Süden.

Die Bahnplaner wollen hier ihre Trasse im Tunnel entlang der Siedlung führen.

Die Häuser der Kläger, die gegen die Bahn einen Musterprozeß führen, stünden dann zwischen knapp 30 und 95 Metern von der Tunnelstrecke entfernt.

»Wenn hier alle drei Minuten ein Zug mit Höchstgeschwindigkeit durch den Tunnel rast«, sorgt sich Hauseigentümer Richard Pfister, »dann wackeln bei uns doch die Tassen im Schrank.«

Pfister, 40, Schweißfachmann im Großkraftwerk Mannheim, und seine mitklagenden Nachbarn glauben nicht an die Beteuerungen und Gutachten der Ingenieure, die dafür sorgen wollen, daß die Häuser nicht wackeln.

Die Tunnelbauer versprachen, mit einer 19 Meter tiefen und 1,20 Meter starken Betonwand im Erdreich die Siedlungshäuser auf einer Länge von 300 Metern abzuschirmen. Daß gar Lärm von der 500 Meter entfernt liegenden Tunnelöffnung die Anwohner, wie die Kläger behaupten, nachts aus dem Schlaf reißen könnte, halten die Projektplaner für »absurd«.

Die Klage wurde in der ersten Instanz vom Verwaltungsgericht in Karlsruhe abgewiesen, die Kläger legten vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim Berufung ein.

In Schwetzingen steht für die Aktionsgemeinschaft gegen die Schnellbahntrasse wie für die Bundesbahn nicht allein mehr der bestmögliche Schutz vor Lärm und Erschütterungen, sondern vielmehr Grundsätzliches auf dem Spiel.

Vor den Mannheimer Richtern unterlag inzwischen die Bundesbahn -- wobei die Richter nicht zur Sache entschieden, sondern allein wegen eines Formfehlers im Planfeststellungsverfahren gegen die Bahn urteilten. Die Bundesbahnjuristen wollen nun in die Revision gehen.

Die Kläger versteiften sich darauf, die Neubaustrecke sei aus wirtschaftlichen Gründen gar nicht notwendig und dürfe deswegen nicht gebaut werden.

Gerade aber die wirtschaftliche Notwendigkeit der Neubaustrecken will die Bundesbahn nicht in Frage stellen lassen. Die Nord-Süd-Verbindung, so argumentieren die Bahnexperten, sei eine der am stärksten befahrenen Eisenbahnstrecken der Welt.

Die Folge der hohen Streckenbelastung: »Der Eisenbahnbetrieb läuft verspätungsanfällig und zu langsam, das heißt unattraktiv und unwirtschaftlich«, berichtet Bundesbahndirektor Wilhelm Blind.

So stehen Güterzüge auf der Nord-Süd-Route fast so lange auf Überholgleisen herum, wie sie in Fahrt sind. Die Bahnbeamten rechnen vor, daß auf der vorhandenen zweigleisigen Strecke Hannover-Würzburg im Durchschnitt an den Werktagen 160 Züge in jede Richtung fahren. Und das sind jeweils 40 mehr, als technisch und wirtschaftlich nach den Berechnungen der Bahn noch vertretbar wäre.

Zwischen Mannheim und Stuttgart, sagen die Bahnverwalter, sieht es nicht besser aus. Weil Reparatur- und Wartungsarbeiten auf wenige Nachtstunden und die Wochenenden gedrängt werden müssen, ist der Streckenunterhalt schwierig und teuer.

Anders als Autobahnen und neue Bundesstraßen folgen die alten Bahnstrecken -- vor der Jahrhundertwende für leistungsschwache Dampf-Loks angelegt -- noch immer den Windungen von Flüssen und Tälern, passen sich dem Verlauf der Mittelgebirgszüge an und berühren selbst kleinste Orte.

Keine Frage, daß die Bahnexperten, als sie den Verlauf der neuen Trassen planten, oft nur Geschwindigkeit und Rentabilität im Auge hatten -- ohne Rücksicht darauf, ob Landschaften und Tierwelt zerstört, ob Menschen im Übermaß belästigt würden.

»Wir haben einst Dinge geplant«, gesteht Projektchef Linkerhägner, »da stünden uns heute die Haare zu Berge.«

Deshalb auch ist es nun für die Bundesbahn ein »Hauptproblem, Glaubwürdigkeit herzustellen«, versichert Dietrich Neidhardt von der Projektgruppe Mannheim-Stuttgart.

Neidhardt leitet ein speziell nur für diesen Streckenabschnitt eingerichtetes Dezernat für Öffentlichkeitsarbeit. Er zieht mit Streckenplänen und Modellen über die Dörfer, um Reklame für die Trasse zu machen.

Bürgermeister und Gemeinderäte, Bauern und Bürgerprotestler werden von Neidhardt an schon vorhandene Schienenstränge herangekarrt, auf denen Tempo 200 gefahren wird. Dort sollen sie selbst erleben, daß der Krach erträglich bleibt.

Die PR-Leute verschicken Rundbriefe ("Die Bahnbauzentrale informiert") und organisieren Bürgerversammlungen. Doch es nützt nicht viel. »Man glaubt uns praktisch nichts mehr«, berichtet Neidhardt.

Am allerwenigsten, daß die Strecken nötig sind. Rechnet zum Beispiel die Bundesbahn -- gestützt auf Prognosen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung -- steigenden Bahnverkehr für die nächsten Jahre vor, kontert die Aktionsgemeinschaft Schnellbahntrasse mit einer Flut eigener Berechnungen, bei denen das Gegenteil herauskommt. Ihr Fazit: »Dem Trassen-Neubau fehlt die Geschäftsgrundlage.«

Tatsächlich bleiben alle Prognosen fragwürdig. Da niemand genau weiß, wieviel in zwanzig Jahren produziert und verdient wird, ist auch schwerlich der Bedarf an Schienentransporten vorauszuberechnen.

Eingängig ist allerdings das Argument der Planer, daß die Bahn nur dann Menschen und Güter von der Straße weglocken kann, wenn sie häufiger, pünktlicher und vor allem schnellere Züge fahren läßt. Und: daß wachsender Energiemangel zwangsläufig dem sparsamsten aller Verkehrsmittel, der Bahn, wieder mehr Kundschaft zutreiben wird.

Vielleicht hätten auch mehr Anrainer Verständnis für die Wege-Nöte des Schienenunternehmens aufgebracht, wenn die Bahner selbst sich etwas umweltbewußter gezeigt hätten.

Doch die Bahnbediensteten bekennen ganz freimütig, daß sie für besondere Schutzvorrichtungen gegen Schienenlärm nur dann sorgen, »wenn sie im Rahmen von Planfeststellungen unumgänglich sind« (Bundesbahnoberrat Horst Mohr). Im Klartext: Freiwillig wird nichts getan.

Und weil es keine die Bahn bindenden Richtlinien darüber gibt, wie zum Beispiel eine Strecke in die Landschaft eingepaßt werden muß und wieviel Rücksicht auf gewachsene Siedlungs- und Erholungsgebiete zu nehmen ist, bleibt es häufig Gemeinden oder Bürgerinitiativen überlassen, den bundeseigenen Transportbetrieb beim allzu unbekümmerten Umgang mit Mensch und Natur zu bremsen.

»Umweltfreundlich ist die Bahn in den Augen der Leute nur dann noch«, stöhnt der Leiter der Bahnbauzentrale Linkerhägner, »wenn sie im Tunnel fährt.«

Für den Bürgermeister des schwäbischen Oberderdingen, Erwin Breitinger, sind 20 Millionen Mark, die ein Tunnel für die Strecke in der Nähe seiner Gemeinde mindestens kosten würde, lediglich »Promille-Beträge«. Breitinger: »Bei uns geht nichts, was nicht im Boden verschwindet.«

Um die Bahn zu stoppen, beschloß der Rat der Stadt Kornwestheim sogar, Grundstückseignern die Kosten für Prozesse gegen das Streckenprojekt zu ersetzen. Das Regierungspräsidium in Stuttgart pfiff die Stadträte zurück -- wogegen die wiederum Klage erhoben.

Weniger zimperlich gegenüber dem Streckenban sind manche Gemeinden dann, wenn es in einem Kompensationsgeschäft von der Bundesbahn etwas zu holen gibt. Projektstreckenleiter Fein kennt einen Bürgermeister, der meinte: »Ein Schwimmbad von euch, und ich halte das Maul.«

In Würzburg und Umgebung wären die Bahner froh, wenn sie mit einem Schwimmbad davonkommen könnten. Seit vier Jahren stehen in der Region der fränkischen Bischofsstadt für die Streckenbauer alle Räder still. Und es ist nicht absehbar, wann es weitergehen kann (siehe Photo Seite 54).

»Wird ein Plan der Bahn zum Wahn?« fragte der Bayerische Rundfunk und beschrieb damit trefflich die Stimmung in Unterfranken.

Als Wahn betrachten viele fränkische Notablen und Wähler die projektierte Trassenführung der Strecke Hannover-Würzburg über den Main.

Kurz vor Würzburg, bei den Vorortgemeinden Veitshöchheim und Margretshöchheim, sollen künftig die schnellen Züge auf einer aufgeständerten Trasse mit einer Brücke in der Mitte rollen. Das gesamte Mammut-Projekt überspannt das Maintal in einer Länge von eineinhalb Kilometern.

Gleich nach der Maintal-Überquerung, vor der Stadtgrenze Würzburgs, werden die Züge im Berg verschwinden, anschließend auf einer etwa 100 Meter langen Brücke das besiedelte Dürrbachtal überfahren und dann nach abermaliger Tunnelfahrt durch Würzburgs berühmteste Weinlage, den Steinberg, kurz vor dem Hauptbahnhof wieder ans Tageslicht kommen.

»Die Bundesbahn fährt stur durch ein Ballungsgebiet, ohne Rücksicht auf menschliche Belange«, empört sich Josef Halbleib von der Bürgeraktion Veitshöchheim, dessen Haus direkt an der neuen Trasse liegen würde.

Über alle Parteigrenzen hinweg reden die Bürgervertreter, Landes- und Kreistagsparlamentarier, der Landrat und Würzburgs Stadtoberhaupt von der »Vernichtung des mainfränkischen Landschaftsbildes« mit dem gepriesenen Weinbau.

Für die mainfränkischen Bahngegner droht gar die »Verschandelung« des berühmten Veitshöchheimer Rokoko-Gartens aus dem Jahre 1763 ("Das Kleinod am Main"), weil in den geometrischen, mit hohen Hecken abgegrenzten Sichtachsen das Brückenwerk der Bahn auftauchen würde.

Doch so idyllisch, wie die Veitshöchheimer ihre Kommune jetzt gern machen, ist die Main-Gemeinde längst nicht mehr.

Die Bahnprotestler übersehen nonchalant die Futtermittel-Silos, die in einer der Hauptblickrichtungen vom Hofgarten die Sicht beherrschen. Und die vermeintlichen Landschaftsschützer tun auch so, als seien die von Veitshöchheimer Ratsherrn genehmigten häßlichen Wohnsilos am Ortshang vom Hofgarten aus überhaupt nicht zu sehen.

Verschandelt ist das »liebliche Maintal« (Bürgerprotestler) bei Veitshöchheim seit langem. Dort, wo die Bahn den Main überqueren soll, wimmelt es von Hochspannungsleitungen, Gewerbeanlagen und den Gleisen eines großen Rangierbahnhofs.

Daß einige tausend Menschen durch die vorbeifahrenden Züge belästigt werden, bestreiten auch die Techniker der Bundesbahn nicht. Aber sie schwören, daß der Lärm die als zumutbar geltenden Grenzen im Mittelwert nicht überschreiten wird: 55 Dezibel nachts, 65 Dezibel tags*.

Die Anti-Bahnlobby fordert, statt der Trassenführung über Brücken und Tunnel einen 11,3 Kilometer langen Tunnel vom Würzburger Hauptbahnhof bis weit außerhalb der Stadt zu bauen. Die Bahn hält das wegen der Mehrkosten für unzumutbar: über 400 Millionen Mark, 120 Prozent mehr, als die bisher projektierte Trasse kosten würde.

Für diese Rechnung, behaupten Kommunen und Bürgerinitiativen, gebe es keinen Beleg. Sie stützen sich auf ein Gutachten, das Stadt und Landkreis Würzburg bei der Frankfurter Verkehrs- und Industrieplanung GmbH unter Professor Kurt Leibbrand bestellt hatten. Darin werden die Mehrkosten auf 110 Millionen Mark beziffert.

Nicht wahrhaben wollen die fränkischen Umweltschützer auch das Argument der Bahn, ein Tunnel würde Würzburgs Trinkwasserquellen gefährden. Doch das Bayerische Geologische Landesamt bestätigte: Der Tunnel müßte »wahrscheinlich irreparable Absenkungen des Grundwassers nach sich ziehen«.

Ungehört bleibt bei Kleinkriegen wie in und um Würzburg die lauwarme Mahnung des Bonner Verkehrsministers Kurt Gscheidle, der Bahn sei nicht damit gedient, »wenn ihr von allen Seiten in der Öffentlichkeit zwei ihrer

* Ein Lärmpegel von 55 Dezibel wird zum Beispiel in 25 Meter Entfernung einer Straße erreicht, auf der jede Minute ein Auto fährt.

Vorzüge -- Umweltfreundlichkeit und sparsamer Umgang mit Energie -- immer wieder attestiert werden, gleichzeitig aber ihre Baumaßnahmen mit allen zur Verfügung stehenden rechtlichen und politischen Möglichkeiten blockiert werden«.

Kurt Gscheidle besäße sicher größere Glaubwürdigkeit als Advokat der umweltfreundlichen Bahn, hätte er nicht eine Verkehrspolitik zu verantworten, bei der seit Jahren ohne Rücksicht auf den Menschen und die Natur Autostrecken in die Landschaft gebolzt werden. Es wäre die Aufgabe des schwäbelnden Verkehrslenkers gewesen, frühzeitig bei den Bürgern um Verständnis dafür zu werben, daß für das Transportmittel der Nach-Ölzeit neue Verkehrswege gebaut werden müssen.

Gscheidle ließ die Eisenbahner statt dessen alleinstehen. Ohne erkennbaren Rückhalt aus Bonn dürfen sie sich republikweit mit Anrainern oder Provinz-Honoratioren herumschlagen.

Und so gern sich die Widersacher der Bahn auch als Umweltschützer darstellen -- in Wahrheit schützen sie meist nichts anderes als ihre eigenen Interessen.

Natürlich darf die Bahn ihre neuen Schienenstränge nicht so bürgerfeindlich bauen, wie der Bund 20 Jahre lang seine Autobahnen durch Wälder und Wohngebiete schlug. Doch es besteht andererseits kein Zweifel, daß neue Bahnrouten gebaut werden müssen, daß eine Industriegesellschaft mit extrem arbeitsteiliger Wirtschaft einen flotten Eisenbahnbetrieb braucht. Je teurer (und knapper) das Öl wird, um so mehr schlägt sich der Güter- und der Personenverkehr auf die Bahn nieder. Dies erwies sich schon in den letzten Monaten, in denen die Bundesbahn erstmals seit vielen Jahren wieder mehr Menschen und Material über die Schienen rollen lassen konnte.

Selbst professionelle Umweltschützer wie der Bundesverband Bürgerinitiativen/Umweltschutz (BBU) und der SPD-Grüne Erhard Eppler erklärten sich folgerichtig mit der Bahn solidarisch.

»Die Eisenbahn«, weiß BBU-Vorstandsmitglied Josef Leinen, »ist schließlich die einzige Alternative zum monströsen Autoverkehr. An den Schnellstrecken führt kein Weg vorbei.«

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