LÖHNE No, Sir
Die IG-Metall-Kollegen aus der Drahtzieherei Westfälische Union in Hamm/Westfalen ließen sich ihren Witz 15,60 Mark kosten. Per Telegramm ermunterten sie ihre Funktionäre während der nordrhein-westfälischen Metalltarifrunde am letzten Mittwoch im Krefelder Parkhotel: »Große Härte ist vonnöten / sonst gehen uns die Kohlen flöten / denkt an unsere Forderung.«
Wenige Stunden später knittelten die IG-Metall-Oberen den Westfalen zurück: »An Forderungen stets gedacht, leider hat"s nichts eingebracht.«
Scherze dieser Preislage lockerten nur selten die zähen Verhandlungen der Abgesandten von Kapital und Arbeit auf, die sich in der vergangenen Woche zum Höhepunkt des alljährlichen Tarifstreits in allen Ländern der Republik versammelten. Denn anders als in der alljährlichen Routine des Lohnkampfes brach diesmal sogar Streit im eigenen Haufen aus.
Ausgerechnet die schwäbischen Metallindustriellen, die einst von dem inzwischen zum Arbeitgeberpräsidenten aufgestiegenen Daimler-Vorstand Hanns Martin Schleyer zu einem kampferprobten Unternehmerklüngel ausgebildet worden waren, zogen sich die erste Rüge zu: Nach einem nächtlichen Verhandlungsmarathon hatte ihr Sprecher Heinz Dürr mit der IG Metall einen Tarifvertrag vereinbart (330 Mark für das 1. Quartal 1976, ab 1. April 5,4 Prozent Lohnzuwachs), der von seinem Dachverband Gesamtmetall wenige Stunden später als »verantwortungslos«, weil allzu arbeitnehmerfreundlich, gescholten wurde.
Offener Dissens besteht auch unter Gewerkschaftern. So entschlossen ÖTV-Chef Heinz Kluncker seine Forderung nach einem »Festbetrag von 135 Mark« für alle Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Dienstes verteidigt, so wenig will sich DAG-Vorstand Heinz Groteguth von seiner Ansicht abbringen lassen, eine prozentuale Lohnzuwachsrate sei auch diesmal das probate Mittel.
Die Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden Gewerkschaften sind inzwischen so kraß, daß vor allem Grundsätzliches eine Rolle spielt. Als am vergangenen Montag DAG-Groteguth fand, der Arbeitgeber-Unterhändler Minister Maihofer »hat noch Kleingeld in der Tasche«. blieb Kollege Kluncker stur: »No. Sir. ich höre nur auf Festbetrag.«
Mindestens vier Wochen, schätzen Experten, werden die Tarifpartner des öffentlichen Dienstes noch miteinander hakeln, um schließlich einen Kompromiß aus festem Sockelbetrag und prozentualem Zuschlag auszuhandeln.
Dann freilich werden die Metaller schon bedient sein. Trotz derzeit rasch ansteigender Unternehmensgewinne, denen Konjunkturforscher einen Jahreszuwachs von über 20 Prozent zutrauen, werden die Industriearbeiter sich erstmals damit abfinden müssen, real weniger zu verdienen als im Vorjahr.
Für IG-Metall-Vize Hans Mayr besteht denn auch »zu Überschwenglichkeit kein Anlaß«. In der Tat: Die einst mächtige IG Metall und ihre DGB-Schwesterorganisationen sind diesmal von Widersachern und Widerständen umstellt:
* Bonns regierender Sozialdemokrat Helmut Schmidt drängt gemeinsam mit FDP-Wirtschaftsminister Hans Friderichs die Gewerkschaften im Wahljahr zu äußerster Bescheidenheit und Friedfertigkeit,
* die öffentliche Meinung, fürchten die Gewerkschafter, würde eine aggressive, auch Streiks riskierende Lohnpolitik kaum tolerieren, > Konzerne und Kapitaleigner wollen nach den Lohnerhöhungen der letzten Jahre nun den Verteilungskampf zu ihren Gunsten wenden. Ihr Argument: Nur bei hohen Gewinn- und niedrigen Lohnzuwächsen seien die Arbeitsplätze zu halten.
Gerade dieser Versuch eines Rohback beunruhigt inzwischen sogar Unternehmer. »Es könnte Leute geben«, sorgte sich ein Stuttgarter Metallindustrieller, »die ein Interesse am Krach haben.«
Die verunsicherten Gewerkschafter behelfen sich derweil mit verbalen Kraftakten. Metall-Mayr wetterte erbittert gegen die »unternehmerische Offensive von seltener Militanz und Arroganz«. Und IG-Metall-Chef Eugen Loderer warnte die Gegenspieler: »Wenn sie sich als Steigbügelhalter des politischen Konservatismus« aufspielen würden, werde die Gewerkschaft »kampfbereit und entschlossen« sein.
Genau das sind die Unternehmer seit Wochen. »Diesmal«, gestand ein ranghoher IG-Metall-Funktionär, »war für uns wohl einfach nicht mehr drin.«