Wirtschaftsnobelpreis Erfolg der Alltagsökonomen

Wirtschaftswissenschaftler erstellen unverständliche Modelle? Für die diesjährigen Träger des Nobelpreises gilt das nicht. Sie erklären ganz praktisch, wann Manager-Boni und Privatisierungen sinnvoll sind.
Preisträger Hart und Holmström

Preisträger Hart und Holmström

Foto: JONATHAN NACKSTRAND/ AFP

Von allen Nobelpreisen ist der für Wirtschaft der umstrittenste: Ihn erhielten sowieso nur Forscher aus den USA, so die Kritik. Alfred Nobel habe seine Gründe gehabt, keinen Preis für Ökonomie zu stiften, sagen andere. Und überhaupt seien Wirtschaftswissenschaftler vollkommen weltfremd.

Viele Kritikpunkte treffen auch dieses Jahr zu. Wieder erhalten zwei Männer den Preis, wieder forschen sie an US-amerikanischen Universitäten. Aber weltfremd - das kann man Oliver Hart und Bengt Holmström schwer vorwerfen. Alltagsnäher als ihre Vertragstheorie kann Wirtschaftswissenschaft kaum sein.

Bereits in den Siebzigerjahren entwickelte der Finne Holmström die Prinzipal-Agent-Theorie mit, die heute in fast jedem VWL-Lehrbuch steht. Holmströms Frage: Wie muss ein Vertrag formuliert sein, damit alle Beteiligten sich gerecht behandelt fühlen?

Das Problem: Wenn zum Beispiel der Arbeitgeber (Prinzipal) und der Arbeitnehmer (Agent) einen Vertrag schließen, verfügt der Agent über einen Wissensvorsprung. Der Arbeitgeber weiß nicht, wie engagiert der Agent als Angestellter arbeiten wird. Holmström untersuchte, unter welchen Anreizen der Arbeitnehmer sich am meisten anstrengen wird. Etwa, wenn das Gehalt von der Leistung abhängt.

Ein Vordenker der Manager-Boni

Die in Verruf geratenen leistungsabhängigen Boni, die zahlreiche Top-Manager erhalten, sind also auch ein Ergebnis von Holmströms Forschung - und deren Fehlinterpretation. Denn der Wirtschaftsnobelpreisträger tritt keineswegs dafür ein, alle Führungskräfte mit Boni zu motivieren. Holmström ist sogar dagegen, dass Manager ausschließlich nach dem Aktienkurs ihres Unternehmens entlohnt werden.

Denn der sei zu einem Großteil Glück. Steige zum Beispiel der Ölpreis, steige auch der Wert eines Ölförderunternehmens - egal, wie gut oder schlecht dessen Geschäftsführung sich anstelle. Holmströms Lösung: Die Leistung des Unternehmens mit der Leistung der Konkurrenzfirmen in derselben Branche vergleichen. Danach solle sich dann der Lohn des Geschäftsführers richten. Zudem bietet sich der flexible Lohn Holmström zufolge nicht für Unternehmen an, deren Geschäft extremen Risiken ausgesetzt ist. Wie Banken.

Bengt Holmström

Bengt Holmström

Foto: MIT Economics/ dpa

Später erweiterte Holmström, der am Massachusetts Institute of Technology lehrt und bis vor ein paar Jahren Aufsichtsrat bei Nokia war, seinen Ansatz. Er kam etwa zu dem Schluss, dass junge Angestellte einen Anreiz hätten, härter zu arbeiten als ältere, um aufzusteigen. Zudem berücksichtigen sie aus seiner Sicht die langfristigen Folgen ihrer Entscheidungen eher, weil sie später selbst von ihnen betroffen sein können. Ein Geschäftsführer, der kurz vor dem Ruhestand stehe, wolle dagegen womöglich noch einen letzten hohen Bonus einstreichen - egal, welche Nachteile das für sein Unternehmen mit sich bringe.

Nicht alles kann man per Vertrag regeln

Ein Ansatz, der zum Teil auch auf Politiker übertragen werden kann: Wer nicht mehr zu einer Wiederwahl antritt, muss sich in der letzten Amtszeit weniger darum kümmern, wie gut seine Entscheidungen sind - und wie sie beim Volk ankommen.

Dass Holmströms Befunde mitunter banal klingen, liegt auch an ihrem Erfolg: Sie haben sich in den vergangenen Jahrzehnten so weit verbreitet, dass sie selbstverständlich wirken.

Nicht alles kann man in einem Vertrag festlegen - auf diese Überlegung baut der mit Holmström ausgezeichnete Oliver Hart auf. Der 1948 in London geborene und in Großbritannien ausgebildete US-Amerikaner lehrt an der Harvard-Universität und beschäftigt sich seit Mitte der Achtzigerjahre mit unvollständigen Verträgen.

Seine Neuerung: Ein Vertrag kann nicht alle Konflikte abdecken, die sich in der Zukunft zwischen den Parteien auftun mögen. Stattdessen sollte der Vertrag regeln, welche Seite im Streitfall entscheiden darf - laut Hart jene, die sich stärker festlegen muss. Stellen zwei Unternehmen zusammen ein Produkt her, soll zum Beispiel die Firma das Direktionsrecht erhalten, die den Maschinenpark anschafft.

Oliver Hart

Oliver Hart

Foto: Cj Gunther/ dpa

Ähnlich wie sein Kollege Holmström macht Hart mit seiner Forschung sehr konkrete Vorschläge, zum Beispiel zu Privatisierungen. Soll der Staat Krankenhäuser, Bahnstrecken und Gefängnisse betreiben oder sie an private Firmen übergeben? Die Antwort: Es kommt darauf an.

In Harts Modell können sich Unternehmenschefs zwischen zwei Arten von Investitionen entscheiden: Sie können die Qualität verbessern oder die Kosten senken. Das Problem: Die Geschäftsführer eines Staatsbetriebs hätten kaum Anreize, irgendeine Investition zu tätigen, weil sie dafür keine Belohnung erhielten, so Hart. Stiegen durch geringere Kosten die Erlöse, müsse ein Staatsbetrieb diese meist abführen. Ein Schicksal, das die Deutsche Bahn kennt.

Private Anbieter hingegen senkten die Kosten viel zu stark - zulasten der Qualität; als Beispiel nennt der Forscher die Zustände in US-amerikanischen Gefängnissen, die in privaten Haftanstalten laut Berichten des US-Justizministeriums miserabel   und schlechter sind als in öffentlichen Einrichtungen.

Kurz: Die Kosten senken, das geht eher mit privaten Firmen; in Bereichen, in denen Qualität wichtig ist, sollte der Staat selbst als Anbieter auftreten.

Das mag vielen simpel erscheinen. Doch gerade in Zeiten, in denen die Wirtschaftswissenschaft um Glaubwürdigkeit kämpft, kann der Nobelpreis für Hart und Holmström verdeutlichen, dass Ökonomie sich nicht nur um abgehobene Modelle dreht. Sondern reale Probleme lösen kann. Und seien sie noch so alltäglich.

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