AEG Noch ein halbes Jahr
AEG-Chef Heinz Dürr und seine Bankiersgäste hatten sich den Samstag freigehalten. Sie wollten genügend Zeit haben, um über ein kompliziertes Zahlenwerk zu diskutieren.
Auf fast hundert Schreibmaschinenseiten hatte der Chef des zusammengebrochenen Elektrokonzerns ein weiteres Sanierungskonzept vorgelegt. Fünf Stunden lang am vorletzten Wochenende unterhielten sich Dürr und sein Finanzberater Klaus Kuhn mit den wichtigsten Geldgebern über Chancen der AEG, auf der Gläubigerversammlung am 9. März einen Vergleich zustande zu bringen.
Aufsichtsratschef Hans Friderichs, der Vorstandsvorsitzende der Dresdner Bank, stellte sich hinter den Entwurf Dürrs. Die beiden Vertreter der anderen Hausbanken zeigten sich hingegen skeptisch. Das Papier gehe von zu optimistischen Perspektiven aus, mäkelten Vinzenz Grothgar vom Vorstand der Westdeutschen Landesbank und Horst Burgard von der Deutschen Bank.
Dürrs jüngstes Planspiel ist in der Tat nicht viel mehr als ein Hoffnungspapier, mit dem der bislang glücklose Sanierer weiter auf Zeitgewinn spielt. Als Nahziel kommt es dem AEG-Chef darauf an, bei seinen 130 Geldgebern und bei den 60 000 übrigen Gläubigern die Zustimmung zum Vergleich zu erlangen.
Die AEG-Geschädigten sind vom Vergleichsverwalter Wilhelm Schaaf für Mittwoch der nächsten Woche nach Frankfurt geladen. In der Frankfurter Festhalle, die 11 000 Menschen faßt, wird dann die bisher größte Gläubigerversammlung der deutschen Wirtschaftsgeschichte abrollen.
Die Gläubiger des Elektrokonzerns, Lieferanten und Bankhäuser, sollen auf 60 Prozent ihrer Forderungen verzichten. Erst wenn mehr als die Hälfte aller Gläubiger mit dem Verzicht auf 1,9 Milliarden einverstanden ist, wird der drohende Konkurs noch einmal abgewendet. Das Vergleichsverfahren kann dann beginnen.
Die Mehrheit für den Vergleich ist dem AEG-Chef inzwischen sicher. Als sich am Freitagvormittag der vergangenen Woche die Unterhändler der inländischen AEG-Hausbanken im sechsten Stock des Frankfurter Dresdner-Bank-Altbaus zur Aussprache über das Vergleichspapier trafen, gab es keinen, der jetzt noch ein Veto einlegen wollte.
WestLB-Vize Grothgar und Horst Burgard von der Deutschen Bank hielten diesmal ihre Einwände gegen das Rechenwerk zurück. Die beiden Herren wollten nicht am Scheitern des Vergleichs schuld sein.
Nach der Zustimmung der Bankiersrunde vom Freitag dürfte auch die Vollversammlung der AEG-Opfer den Vergleichsvorschlag genehmigen.
Für AEG-Chef Dürr beginnt dann die schwierigste Phase seiner Aufräumarbeit. Er muß seinen Kritikern und Zweiflern im AEG-Aufsichtsrat beweisen, daß er mit der Manövriermasse, die ihm der Vergleich bringt, tatsächlich auskommt. Da wird sich Dürr schwertun: S.94 Allein der noch nicht beglichene Betriebsverlust für 1982 verschlingt 980 Millionen Mark. Für das laufende Geschäftsjahr taxiert Dürr die Verluste auf nur 200 Millionen Mark. Nach Insiderschätzungen dürften sie eher doppelt so hoch liegen. »Das ist und bleibt management by hope«, sagt ein AEG-Kenner.
Völlig im unklaren läßt der Vorstand seine Geldgeber über die Zukunft der beiden angeschlagenen Töchter Olympia und Telefunken. Die Schreibmaschinenfabrik Olympia - glaubt Dürr - sei »mittelfristig in der Lage, sich allein am Markt behaupten zu können«. Die verlustreiche Rundfunk- und Fernsehfirma Telefunken sei »mittelfristig auch allein lebensfähig«.
Dürr will mit Zuschüssen in Höhe von 366 Millionen Mark für beide Unternehmen auskommen. Doch auf den letzten Seiten seines Lageberichts bezweifelt er selbst, daß die Millionen für Olympia und Telefunken reichen werden: »Für diese beiden Gesellschaften ist vorgesehen, sie so zu stellen, als ob sie ebenfalls im Vergleich wären.« Dürr tut so, als ob die beiden Tochter-Unternehmen Vergleich angemeldet hätten, weil sich mit dieser Fiktion die Sanierungszahlen prächtig schönen lassen.
Es geht dabei vor allem um Pensionsrückstellungen. Wie bei der AEG-Mutter hat es das Konzernmanagement auch bei den Töchtern Telefunken und Olympia unterlassen, für die Ruhegeld-Zusagen genügend Reserven zu bilden. Rund 260 Millionen Mark fehlen, um alle Pensionsverpflichtungen abdecken zu können.
Dürr will 156 Millionen Mark abzweigen, um die Pensionskassen aufzufüllen. Die restlichen Millionen treibt er im Als-ob-Verfahren auf: Der AEG-Chef tut so, als ob der Pensions-Sicherungs-Verein einspränge - wie beim Vergleich der AEG-Mutter, für die der Verein die nicht beiseite gelegten Ruhestandsgelder aufbringen muß.
Tatsächlich jedoch wird der Pensions-Sicherungs-Verein bei Telefunken und Olympia nicht helfen. Denn Dürr kann für diese beiden Firmen keinen offiziellen Vergleich anmelden. Das verhindern enge finanzielle Verflechtungen zwischen der AEG-Mutter und den Töchtern. Melden auch diese Vergleich an, schwände jede Aussicht auf eine Gesundung des Schrumpf-Konzerns AEG.
In den Büchern der beiden Töchter stehen insgesamt rund 1,1 Milliarden Mark Schulden, für die der Elektro-Riese im Fall eines Vergleichs geradestehen müßte. Allein bei Olympia verunzieren etwa 650 Millionen Mark Schulden die Bilanz, die im Vergleich auf die AEG durchschlagen würden. Zum Teil schuldet Olympia der AEG dieses Geld direkt, zum Teil sind es Verbindlichkeiten, für die der Frankfurter Konzern sich verbürgt hat.
Nicht viel besser sieht es bei Telefunken aus. Zwar hat Firmenchef Josef Stoffels die Schulden der Fernsehfirma radikal heruntergedrückt. Aber immer noch stehen 460 Millionen Mark offen. Bei einem Vergleich der hannoverschen Tochter müßte die AEG auch einen gut Teil dieser Millionen abschreiben.
Wie Heinz Dürr sich da herauswinden will, ist auch Bank-Profis schleierhaft. Er setzt offenbar auf weitere Großmut seiner Geldgeber.
Damit lag er ja bisher nicht falsch. Vergangene Woche bekamen AEG-Unterhändler in Bonn die Zusage, daß die Regierung bereit sei, die Hälfte einer von der AEG beantragten Exportbürgschaft in Höhe von 750 Millionen Mark zu tragen. Die andere Hälfte stellte am Freitag die AEG-Bankenrunde in Aussicht.
»Dürr hat jetzt noch mal ein halbes Jahr Luft«, erkannte ein AEG-erfahrener Banker.