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ROCKEFELLER Nur ein Mythos

Den Testamentsvollstreckern des verstorbenen Nelson Rockefeller stehen harte Jahre bevor. Das Vermögen des Clans und das seines prominentesten Mannes sind schwer zu durchschauen.
aus DER SPIEGEL 6/1979

Vergangenen Montag, einen Tag früher, als die Welt es erwartet hatte, begruben die Überlebenden des Geld-Clans der Rockefeller die schillerndste Figur, die sie je hatten, und sie begruben sie auf eigenem Grund.

Flußaufwärts von New York, auf dem vom Großvater John Davison Rockefeller erworbenen 100-Millionen-Dollar-Besitz Pocantico Hills, setzten sie die Urne des einstigen Vizepräsidenten der USA, des Langzeit-Gouverneurs von New York und des Kunstsammlers Nelson Aldrich Rockefeller bei, der hundert Jahre hatte werden wollen und 70 geworden war.

Weil er noch so viel vor sich zu haben glaubte, hatte der einstige Vize des republikanischen Präsidenten Gerald Ford noch viel vor. Gleich nach dem Wahlsieg des Demokraten Jimmy Carter 1976 zog sich Nelson Rockefeller, der immer Präsident der USA hatte werden wollen, aus dem politischen Geschäft zurück und stürzte sich mit gewohnter Vitalität in die Umschichtung seines erklecklichen Vermögens.

1974 noch, als Nelson Rockefeller sich einem Senatshearing über sein Privatvermögen stellen mußte, hatte alles ganz einfach ausgesehen. Der reichste Mann auf Amerikas politischer Szene bekannte sich zu einem persönlichen Vermögen von 218 Millionen Dollar, das hauptsächlich in Kunstgegenständen (33,6 Millionen), Aktien (12,5), Liegenschaften (11,3), zwei steuerbegünstigten Fonds (116,5) und den auf Frau und Kinder weitergereichten Vermögenswerten (39,5) steckte.

Auf die Vermögensaufstellung von damals jedoch wird Nelson ("Rocky") Rockefellers Testamentsvollstrecker nur noch in Maßen zurückgreifen können. Denn schon 1977 verkaufte Rockefeller seine Washingtoner Residenz an der vornehmen Foxhall Road und ließ die darin enthaltenen Kunstgegenstände für fünf Millionen Dollar durch das Auktionshaus Sotheby Parke Bernet versteigern. Auf ähnliche Art trennte er sich von seinem ebenfalls mit Kunstgegenständen verfeinerten Sommerhaus in Maine. Aus seinen riesigen Eigentumswohnungen an New Yorks Fifth Avenue verschwand gleichfalls einiges Mobiliar beim Auktionator.

Dagegen investierte Nelson Rockefeller über die von seinem ältesten Sohn Rodman geleitete International Basic Economy Corp. 9,7 Millionen Dollar in die Nicholas Turkey Breeding Farms, die größte Truthahnzüchterei der Welt. Und mit einer Anlaufinvestition von vier Millionen Dollar begann Rockefeller vergangenes Jahr, seine 16 000 Gegenstände starke Kunstsammlung zu vermarkten.

Rocky zog einen Versandhandel mit Reproduktionen eines Teils seiner Kunstschätze auf und glaubte damit den amerikanischen Geschmack zu treffen. Als das Geschäft nur schleppend anlief, mietete er zusätzlich einen Laden an der New Yorker 57. Straße. Rocky, so hieß es offiziell, wollte sein Leben »vereinfachen«.

Das einfache Leben des Nelson Rockefeller umfaßte aber trotz solcher nur

* Von links: Rockefeller-Geschwister John D. III, Laurance, Abby, Nelson, David.

mittelmäßigen Transaktionen immer noch eine Farm in Venezuela, die größer ist als New York City, einen 15sitzigen Privatjet und Anteile an dem vielfach verschachtelten Vermögen des gesamten Rockefeller-Clans.

Was Nelson Rockefeller 1974 bescheiden mit 218 Millionen Dollar angegeben hatte, ist nämlich nur das persönliche Taschengeld gewesen, über das der prominenteste aller sechs Enkel des Standard-Oil-Gründers John D. Rockefeller (1839 bis 1937) verfügte. Denn drei Rockefeller-Generationen haben in einem 120 Jahre währenden Eroberungszug das mächtigste familiäre Finanzsyndikat geschaffen, das die Welt je kannte.

Die wahren Vermögenswerte der Rockefellers liegen denn auch längst außerhalb der persönlichen Konten ihrer Eigentümer, sie werden straff verwaltet, über sie wird nur von allen gemeinsam entschieden, und sie sollen je nach Börsenlage zwischen sechs und zehn Milliarden Dollar umfassen.

Die Finanzentscheidungen der 33köpfigen Sippe fallen deshalb weder in den Stadtwohnungen der Clan-Mitglieder noch auf der Familienplantage Pocantico Hills, sondern in Raum 5600 des New Yorker Rockefeller Center (geschätzter Verkehrswert: eine Milliarde Dollar).

In diesem Raum treffen sich die Mitglieder und Bevollmächtigten der Sippe mit den hochdotierten Chefs ihrer Vermögensverwaltungsfirma »Rockefeller Family & Associates«, die rund 200 Angestellte beschäftigt und über eine Standleitung mit dem Chefbüro der New Yorker Chase Manhattan Bank verbunden ist, dem zweiten Zentrum des Rockefeller-Reiches.

Dort, auf dem Chef stuhl der drittgrößten Bank der Welt, thront der jüngste Rockefeller-Enkel David, 63, und betreibt nicht nur Bankgeschäfte.

David Rockefeller und sein Bruder Nelson agierten als Großmeister des Familiensyndikats, denn sie sicherten Einfluß und Reichtum der Sippe über ein festes Netzwerk von Beziehungen und mit raffinierter Personalpolitik. Ihren Brüdern John D. (1906 bis 1978), Laurance (geboren 1910) und Winthrop (1912 bis 1973) waren sie an Durchschlagskraft weit überlegen.

Dank nahezu lückenloser Beziehungen, die David in seinem berühmten Telephonbuch immer griffbereit hatte, multiplizierte sich das Milliarden-Vermögen der amerikanischen Medici auf einen nicht mehr meßbaren Wert.

Zum Rockefeller-Einfluß gehören außer der Chase drei weitere Banken von Weltformat, drei der größten Lebensversicherer des Landes und vier der größten Ölunternehmen, voran die Exxon, in deren Hochhaus an der Avenue of the Americas das Stehpult des Clan-Gründers wie ein Kronjuwel verwahrt wird.

An den meisten Unternehmen besitzen die Rockefellers selbst nur kleine Anteile. Doch die Kleinheit ist eine Formalität. Die von ihnen beherrschten Banken und Versicherungen potenzieren den Einfluß der Sippe sofort, die Rockefeller-Stiftungen runden ihn noch zusätzlich ab.

Die Stiftungen nämlich erwarben im Laufe der Jahre weit höhere Anteile an den großen Unternehmen Amerikas als die einzelnen Rockefellers. Aber sie werden von den Rockefellers und ihren Leuten beherrscht.

Das Stiftungsvermögen wurde von Gründer John D. I. mit 487 Millionen Dollar bestückt. Sohn John D. II schob noch einmal 473 Millionen Dollar nach, und die Enkel brachten über den Rockefeller Brothers Fund eine weitere Viertelmilliarde dazu. Das gegenwärtige Vermögen der Rockefeller-Stiftungen soll bei über fünf Milliarden Dollar liegen.

Zwischen Familie und Stiftungen, zwischen Wirtschaftsunternehmen, Kreditinstituten und politischen Parteien richteten vor allem David und Nelson Rockefeller so raffinierte Verbindungen auf, daß die Zugriffsmöglichkeiten des Glans, so der amerikanische Kapitalismus-Kritiker Ferdinand Lundberg, auf Werte von rund 500 Milliarden Dollar geschätzt werden.

Doch zwischen Geld und Einfluß, zwischen Sippe und Person konnten David und Nelson immer fein unterscheiden, wenn einmal öffentlich die Macht der großen Familie gescholten wurde. Im Senatshearing von 1974 tat der angehende Vizepräsident Nelson Rockefeller die Unterstellung, er sei Milliardär und übe Macht über Menschen aus, als »Mythos« ab.

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