Bauern Nur grüne Krawatten
In vier Jahren hat der Münsteraner Angestellte Klaus Giersiepen sechs fristlose Kündigungen und 23 Abmahnungen erhalten. Doch unverdrossen leitet Giersiepen weiterhin die Rechtsabteilung des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands (WLV).
Ganz einfach ist das nicht. Justitiar Giersiepen, 55, sitzt wenige Meter vom Amtszimmer des Mannes entfernt, der ihn loswerden möchte: des Bauernführers Constantin Freiherr Heereman von Zuydtwyck, 59.
Nicht jeder im WLV hat so gute Nerven wie der westfälische Jurist. In den vergangenen Monaten hat eine Reihe führender Mitarbeiter den Verband verlassen, der mit seinen 57 000 Mitgliedern die Hausmacht Heeremans im Deutschen Bauernverband stellt.
Im westfälisch-lippischen Verband geht es zu wie auf einer Bauernhochzeit nach Mitternacht, es geht drunter und drüber. Wichtige Posten sind nicht besetzt, Angestellte haben die Lust an der Arbeit verloren, an der Basis grummelt es. Kritik an den Zuständen wagt niemand offen auszusprechen.
Einen Tag im Monat nimmt sich der vielbeschäftigte Präsident Zeit für die Führung seines westfälischen Landesverbands. »Wir haben alles voll im Griff«, entgegnet er auf Mutmaßungen, er habe bei seinen 30 Jobs, Mandaten, Pöstchen und Ehrenämtern ein wenig den Überblick verloren.
Der Freiherr ist nicht nur Präsident des Deutschen, sondern auch des Europäischen Bauernverbands. Er sitzt im Aufsichtsrat des Chemiekonzerns Bayer, er kümmert sich nebenbei um die Geschäfte der Deutschen Genossenschaftsbank und der Amro Handelsbank, er macht Verbandspolitik bei Jägern ebenso wie bei Reitern.
Ausgerechnet in seinem Stammland Westfalen wächst nun der Unmut. Dem WLV präsidiert er, gleichsam in Erbpacht, seit 23 Jahren.
Ende September hat sein Hauptgeschäftsführer Arwed Blomeyer gekündigt, zur gleichen Zeit auch Sozialreferent Heinz Öhmann. Bereits Ende März war der Jurist Henry Kerger ausgeschieden. Zwei dem WLV unterstehende Geschäftsführer von Kreisverbänden haben neue Arbeitgeber gefunden, zwei Spitzenkräfte der angeschlossenen Buchführungsgesellschaft BSB sind gegangen.
Der bisherige stellvertretende Hauptgeschäftsführer wollte »aus gesundheitlichen Gründen« nicht zum ersten Chef unter dem Bauernführer Heereman aufrücken und begnügt sich nun mit dem Posten eines Referenten für Milchfragen. Der Leiter der Rechtsabteilung sitzt, wie Mitarbeiter berichten, nach seinen Kündigungen und Abmahnungen zwar unverdrossen, aber doch »etwas freudlos im Büro«.
Einige Stützen sind Heereman in Münster verblieben, etwa Theodor Fritzen. Der langjährige Weggefährte des Präsidenten ist zwar schon 78, hat aber seinen Arbeitsvertrag - Sachgebiet: »für besondere Aufgaben« - noch einmal um zwei Jahre verlängert.
Der Chef bestimmt gern allein, und er hat es bisher immer verstanden, jeden Hauch von Kritik im Keim zu ersticken. »Noch bin ich Präsident«, so einer von Heeremans Kernsätzen, »und wenn ihr einen anderen haben wollt, müßt ihr mich abwählen.« Das wagt keiner.
Nur wenn der Präsident im fernen Bonn weilt und keiner seiner Zuträger in Sicht ist, machen sich ehrenamtliche Bauernfunktionäre etwas Mut. »Die Zeit der Blauen ist abgelaufen«, meint einer. »Blaue« heißen beim Landvolk die Leute mit blauem Blut, die Gutsbesitzer, die seit Jahrzehnten die Politik des Bauernverbands bestimmen.
Bislang allerdings hat Heereman trotz allen Grummelns seine Bauernscharen fest im Griff, und er läßt sich keines seiner zahlreichen Ämter entreißen.
Wer aufmuckt, wird »abgekört«, wie Bauernfunktionäre Heeremans Disziplinarmaßnahmen nennen. Der Begriff _(* Auf seinem Landsitz Gut Surenburg. ) stammt aus der Landwirtschaft: Abgekört wird ein Zuchttier, wenn es nicht die gewünschte Leistung bringt - ein abgekörter Eber darf nicht mehr auf die Sau, sondern kommt zum Abdecker.
Wer von Heereman abgekört wird, hat seine Karriere im Verband beendet. Er braucht sich auch keine Hoffnung mehr auf einen der begehrten Aufsichtsratsposten bei einer Genossenschaft oder Molkerei zu machen.
Um beim Präsidenten oder seiner engeren Umgebung in Ungnade zu fallen, so spottet ein Funktionär, genüge es schon, wenn einer »so subversive Zeitschriften wie Stern, SPIEGEL oder Zeit liest«. Warum Heereman beispielsweise seinen Justitiar Giersiepen abkörte, ist vor Gericht nie klargeworden - vermutlich ist der Jurist einmal durch Widerspruch aufgefallen.
Der angebliche Kündigungsgrund jedenfalls war den Arbeitsrichtern zu fadenscheinig: Der Justitiar, seit zwei Jahrzehnten in WLV-Diensten, habe während eines Defekts der Stechuhr seine Arbeitszeiten nicht korrekt angegeben. Die weiteren fünf fristlosen Kündigungen waren allesamt juristische Lachnummern.
Giersiepens Anwalt, der Gütersloher Arbeitsrechtler Werner Gaile-Schwartz, hat in seiner langjährigen Praxis »so etwas noch nie erlebt und von einem ähnlichen Fall noch nie gehört«. Heereman und seine Verbandsoberen, meint Gaile-Schwartz, nehmen manchmal jede Kleinigkeit übel.
Der Jurist trägt es mit Spott. »Wir sind uns bewußt«, so der Anwalt in einem der vielen Prozesse, »daß wir hier einen weiteren Kündigungsgrund provozieren, weil Herr Giersiepen keine grüne Krawatte trägt.« o
* Auf seinem Landsitz Gut Surenburg.