HI-FI-INDUSTRIE Nur zum Spaß
Zuerst waren nur ein paar bekannte Talente wie Udo Jürgens oder Herbert von Karajan mit dem neuen Gerät zu sehen. Vereinzelte Spinner auf den Straßen wurden kaum beachtet.
Doch dann war der Walkman plötzlich überall. Auf dem Hamburger Jungfernstieg und der Düsseldorfer Kö, auf der Kölner Domplatte und dem Berliner Ku'damm wimmelt es von Leuten, die ihre Ohren mit Kopfhörern abdichten und sich aus dem kleinen Kassettengerät auf Schritt und Tritt berieseln lassen.
Zum Erstaunen der Industrie hat das winzige Produkt eine Modewelle ausgelöst und sich einen eigenen Markt geschaffen. Allein in Deutschland wurden im vergangenen Jahr weit mehr als 1,5 Millionen Geräte verkauft.
Nichts außer vielleicht Compact-Disc-Geräte verkaufen die HI-FI-Hersteller derzeit so gut wie die tragbaren kleinen Musikmaschinen. Fast jede Firma bietet inzwischen ein oder meist mehrere handliche Abspielgeräte an. Neben Sonys Walkman gibt es den Beat Boy (Grundig), einen Clipper (Nordmende), Sky Master (Philips) oder Sportster (Sanyo). Vom billigsten Plastikspieler für 30 Mark bis zum Edel-Modell für tausend Mark, das mancher heimischen Stereoanlage im Klang überlegen scheint, ist alles dabei.
Damit das Interesse der Kundschaft nicht erlahmt, schiebt die Elektronikindustrie immer neue Varianten mit weiterem Schnickschnack nach. Da gibt es Geräte mit eingebautem Radioteil oder einem winzigen Stereo-Mikrophon. Manche werden von einer Solarzelle betrieben, andere laufen im wasserdichten Behälter, auch unter der Dusche.
Sony-Gründer Akio Morita schreibt sich die Entdeckung des Walkman zu. Einige seiner Ingenieure hatten zum Spaß ein simples Diktiergerät zu einem wohlklingenden Kassettendeck in Stereoqualität verschönt. Als der Sony-Chef Anfang 1979 die Anweisung gab, das Versuchsmodell zu einem serienreifen Produkt zu entwickeln, glaubte niemand an den Erfolg. Es kam, erzählte Morita später gerne, »fast zu einem Aufstand unter meinen Marketingexperten«.
Doch der Chef, sonst eher auf Konsens mit seinen Managern bedacht, setzte sich über alle Einwände hinweg. Schon fünf Monate später, im Sommer 1979, kam der erste Walkman in Japan auf den Markt. Die Kunden gaben Morita recht - vom Start weg waren die Musik-Minis ein Erfolg.
Auch in Amerika wurde die neue Art des Musikhörens begeistert aufgenommen. Vor allem Jogger und U-Bahnfahrer stülpten sich gern die Kopfhörer des Soundabout - so der Name des ersten in Amerika verkauften Geräts - über die Ohren. Sony ließ sich den Namen Walkman, der in den USA erfunden wurde, als Markenzeichen schützen.
Der Erfolg ließ die Konkurrenz nicht ruhen. Bald kamen immer neue Walkman-Kopien auf den Markt, die oft nicht einmal ein Viertel des Originals kosteten. Zeitweilig waren bis zu 300 verschiedene Typen im Angebot. Sony wurde schnell im Umsatz überholt.
Das änderte sich erst wieder, als Sony mit abgemagerten Spar-Modellen konterte und gerichtlich gegen Konkurrenten vorging, die das Walkman-Markenzeichen illegal benutzten. Und wie es scheint, geht der Boom nun erst richtig los. Seit dem Start vor sieben Jahren produzierte Sony insgesamt rund 20 Millionen Kassettenminis, davon die Hälfte allein in den letzten beiden Jahren.
Inzwischen beschränkt sich die elektronische Minimode längst nicht mehr allein auf die Kassettenspieler. Radios in Scheckkartenformat oder in Kopfhörer und Stirnbänder eingebaut, gehören ebenso zum Trend wie der Watchman, ein Fernseher mit fünf Zentimetern Bildschirmdiagonale. Selbst in eine Armbanduhr wurde ein TV-Gerät eingebaut - da allerdings kann der Betrachter kaum noch erkennen, ob er auf dem Bildschirm einen Mann oder eine Frau sieht.